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mit dem Rücken ge­gen die Ecke sei­ner Loge und nahm der Un­be­kann­ten rück­sicht­los den hal­b­en Aus­blick auf die Büh­ne, ge­ra­de­so, als wäre sie für ihn Luft, als wüß­te er gar nicht, daß eine schö­ne Frau hin­ter ihm saß. Die Nach­ba­rin ahm­te Va­len­tins Stel­lung ge­nau nach. Sie hat­te ih­ren Ell­bo­gen auf die Brüs­tung der Loge ge­stützt und wand­te den Kopf zu drei Vier­teln den Sän­gern zu; es sah aus, als säße sie ei­nem Ma­ler. Die bei­den gli­chen zwei ver­zank­ten Lie­ben­den, die schmol­len, sich den Rücken zu­keh­ren und sich beim ers­ten Lie­bes­wort wie­der um den Hals fal­len. Manch­mal streif­ten die leich­ten Ma­ra­bu­fe­dern oder die Haa­re der Un­be­kann­ten Ra­phaels Kopf und er­reg­ten ein sinn­li­ches Ge­fühl in ihm, ge­gen das er sich tap­fer wehr­te; bald spür­te er die schmei­cheln­de Berüh­rung der Spit­zen­rü­schen, mit de­nen ihr Kleid be­setzt war, ver­nahm das sei­di­ge Ra­scheln der Fal­ten, ein frau­li­ches Geräusch, süß und be­stri­ckend; end­lich teil­ten sich die kaum merk­li­chen Atem­be­we­gun­gen der Brust, des Rückens, der Klei­der der schö­nen Frau, ihr gan­zes hol­des Le­ben Ra­pha­el mit, wie ein elek­tri­scher Fun­ke, der über­springt. Der Tüll und die Spit­zen, die an sei­ner Schul­ter hin­stri­chen, über­tru­gen ihm ge­treu­lich die köst­li­che Wär­me die­ses wei­ßen nack­ten Rückens. War es eine Lau­ne der Na­tur, daß die­se bei­den durch den gu­ten Ton ge­trenn­ten und durch die Ab­grün­de des To­des ge­schie­de­nen We­sen im sel­ben Takt at­me­ten und viel­leicht an­ein­an­der dach­ten? Ein durch­drin­gen­des Alo­epar­füm be­rausch­te Ra­pha­el vollends. Sei­ne Ein­bil­dungs­kraft, durch ein Hin­der­nis ge­reizt und die ihr auf­ge­zwun­ge­nen Fes­seln bis ins Phan­tas­ti­sche ge­stei­gert, ent­warf ge­dan­ken­schnell in feu­ri­gen Li­ni­en das Bild ei­ner Frau. Er wand­te sich rasch um. Die Un­be­kann­te, der es ge­wiß un­an­ge­nehm war, mit ei­nem Frem­den in Berüh­rung zu kom­men, mach­te die glei­che Be­we­gung; ihre Ge­sich­ter, die der­sel­be Ge­dan­ke be­seel­te, ver­harr­ten ein­an­der un­mit­tel­bar ge­gen­über.

      »Pau­li­ne!«

      »Mon­sieur Ra­pha­el!«

      Starr vor Stau­nen, sa­hen sie ein­an­der einen Au­gen­blick lang schwei­gend an. Ra­pha­el sah Pau­li­ne in schlich­ter und ge­schmack­vol­ler Toi­let­te. Durch den Schlei­er, der ih­ren Bu­sen keusch ver­hüll­te, hät­te ein schar­fes Auge die li­li­en­wei­ße Haut se­hen und For­men er­ra­ten kön­nen, die jede Frau be­wun­dern wür­de. Dazu be­stach sie wie einst durch ihre jung­fräu­li­che Be­schei­den­heit, ihre himm­li­sche Un­schuld, ihre an­mu­ti­ge Hal­tung. Der Stoff ih­res Är­mels ver­riet das Zit­tern, wel­ches sich von ih­rem be­ben­den Her­zen auf ih­ren Kör­per über­trug.

      »Oh«, sag­te sie, »kom­men Sie mor­gen in das Ho­tel Saint-Quen­tin und ho­len Sie Ihre Pa­pie­re! Ich bin um zwölf Uhr dort. Sei­en Sie pünkt­lich!«

      Sie stand rasch auf und ent­fern­te sich. Ra­pha­el woll­te Pau­li­ne fol­gen, fürch­te­te, sie zu kom­pro­mit­tie­ren, blieb, sah Fœ­do­ra an und fand sie häß­lich; da er aber der Mu­sik nicht mehr zu fol­gen ver­moch­te, in dem Saal fast er­stick­te und das Herz ihm über­ström­te, stand er auf und fuhr nach Hau­se zu­rück.

      »Ich will von Pau­li­ne ge­liebt wer­den!« rief er am nächs­ten Tag und blick­te mit un­be­schreib­li­cher Angst auf den Ta­lis­man.

      Das Le­der be­weg­te sich nicht um ein Haar­breit, es sah aus, als hät­te es sei­ne Kraft, sich zu­sam­men­zu­zie­hen, ein­ge­büßt. Ohne Fra­ge konn­te es einen Wunsch, der schon er­füllt war, nicht noch ein­mal er­fül­len.

      »Ah!« rief Ra­pha­el. Er fühl­te sich wie von ei­nem blei­er­nen Man­tel be­freit, der seit dem Tage, an dem er den Ta­lis­man er­hal­ten hat­te, auf ihm las­te­te.

      »Du lügst«, rief er aus, »du ge­horchst mir nicht, der Pakt ist ge­bro­chen! Ich bin frei, ich wer­de le­ben. Al­les war nur ein schlech­ter Scherz.«

      Wäh­rend er die­se Wor­te sprach, wag­te er nicht, an sei­ne ei­ge­nen Ge­dan­ken zu glau­ben. Er klei­de­te sich so ein­fach wie frü­her und ging zu Fuß in sei­ne eins­ti­ge Woh­nung. Un­ter­wegs ver­such­te er, sich in jene glück­li­chen Tage zu­rück­zu­ver­set­zen, wo er sich ge­fahr­los sei­nen ra­sen­den Be­gier­den über­las­sen konn­te, wo er noch nicht al­len mensch­li­chen Freu­den ab­ge­schwo­ren hat­te. So ging er sei­nes Wegs, sah Pau­li­ne vor sich, nicht mehr die Pau­li­ne des Ho­tel Saint-Quen­tin, son­dern die des ver­gan­ge­nen Abends, die­se vollen­de­te Ge­lieb­te, die er so oft er­träumt hat­te, ein klu­ges, lie­be­vol­les jun­ges Mäd­chen, das künst­le­ri­sches Ge­fühl be­saß, Dich­ter und Dich­tung ver­stand und im Lu­xus leb­te; mit ei­nem Wort: Fœ­do­ra, nur mit ei­ner schö­nen See­le be­gabt, oder Pau­li­ne als Com­tes­se und zwei­fa­che Mil­lio­nä­rin, wie Fœ­do­ra es war. Als er auf der ab­ge­tre­te­nen Schwel­le stand, auf der zer­bro­che­nen Flie­se an die­ser Tür, wo er so oft mit sei­nen ver­zwei­fel­ten Ge­dan­ken ge­stan­den hat­te, trat eine alte Frau aus dem Vor­saal und frag­te ihn:

      »Sind Sie nicht Mon­sieur Ra­pha­el de Va­len­tin?«

      »Ja­wohl, gute Frau«, ant­wor­te­te er.

      »Sie ken­nen Ihr al­tes Zim­mer«, fuhr sie fort, »Sie wer­den dort er­war­tet.«

      »Wird die­ses Haus nicht mehr von Ma­da­me Gau­din ge­führt?« frag­te Ra­pha­el.

      »O nein, Mon­sieur, Ma­da­me Gau­din ist jetzt Baro­nin. Sie wohnt in ei­nem schö­nen Haus, das ihr ge­hört, auf der an­de­ren Sei­te des Flus­ses. Ihr Mann ist zu­rück­ge­kehrt. Ja, se­hen Sie, der hat einen schö­nen Bat­zen Geld mit­ge­bracht. Die Leu­te sa­gen, sie könn­te das gan­ze Quar­tier Saint-Jac­ques kau­fen, wenn sie woll­te. Sie hat mir die gan­ze Ein­rich­tung und die rest­li­che Pacht um­sonst über­las­sen. Ja, sie ist eine gute Frau ge­blie­ben. Sie ist heu­te nicht stol­zer, als sie ges­tern war.«

      Ra­pha­el stieg lang­sam zu sei­ner Man­sar­de hin­auf. Als er die letz­ten Trep­pen­stu­fen er­reich­te, hör­te er die Klän­ge des Kla­viers. Pau­li­ne war da; sie trug ein ein­fa­ches Kat­tun­kleid; aber der Schnitt des Klei­des, die Hand­schu­he, der Hut, der Schal, nach­läs­sig aufs Bett ge­wor­fen, spra­chen von großem Reich­tum. »Aber da sind Sie ja!« rief Pau­li­ne und wand­te sich um. Sie sprang rasch auf und ver­hehl­te ihre Freu­de nicht. Ra­pha­el setz­te sich ne­ben sie. Er war er­rö­tet, be­schämt, glück­lich. Er be­trach­te­te sie, ohne ein Wort zu sa­gen.

      »Wa­rum ha­ben Sie uns denn ver­las­sen?« frag­te sie, schlug die Au­gen nie­der, und pur­pur­ne Röte über­zog ihr Ant­litz. »Wie ist es Ih­nen er­gan­gen?«

      »Ach, Pau­li­ne, ich war sehr un­glück­lich und bin es noch!«

      »Ach!« rief sie be­wegt; »ich habe Ihr Schick­sal ges­tern abend ge­ahnt. Ich sah, wie fein Sie ge­klei­det wa­ren, wie reich Sie aus­sa­hen, aber in Wirk­lich­keit, nicht wahr, Mon­sieur Ra­pha­el, ist es im­mer noch wie frü­her?«

      Va­len­tin konn­te die Trä­nen nicht zu­rück­hal­ten, die aus sei­nen Au­gen roll­ten. »Pau­li­ne! …« rief er. »Ich …«

      Er brach ab. Sei­ne Au­gen strahl­ten vor Lie­be, und

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