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Phan­tasi­en ihm sein Aben­teu­er deu­te­ten und ihm noch eine Hoff­nung lie­ßen. Als er aber sei­ne Au­gen wie­der ins Foy­er der Oper senk­te, er­blick­te er an­stel­le der Hei­li­gen Jung­frau ein rei­zen­des Mäd­chen, die ver­dor­be­ne Eu­phra­sie, die Tän­ze­rin mit dem bieg­sa­men und gra­zi­ösen Kör­per, die in ei­nem strah­len­den, mit ori­en­ta­li­schen Per­len über­la­de­nen Ge­wand un­ge­dul­dig auf ih­ren un­ge­dul­di­gen Greis zu­schritt und sich mit ke­cker Stirn und blit­zen­den Au­gen dreist die­ser nei­disch lau­ern­den Ge­sell­schaft prä­sen­tier­te, um den gren­zen­lo­sen Reich­tum des Händ­lers zu be­zeu­gen, des­sen Schät­ze sie ver­schwen­de­te. Ra­pha­el ent­sann sich des spöt­ti­schen Wun­sches, mit dem er das ver­häng­nis­vol­le Ge­schenk des Al­ten an­ge­nom­men hat­te, und ge­noß alle Won­nen der Ra­che, da er nun die tie­fe Er­nied­ri­gung die­ser er­ha­be­nen Weis­heit sah, de­ren Sturz noch vor kur­z­em un­mög­lich schi­en. Das Gra­bes­lä­cheln des Hun­dert­jäh­ri­gen war an Eu­phra­sie ge­rich­tet, die es mit ei­nem Lie­bes­wort er­wi­der­te; er bot ihr sei­nen Kno­chen­arm, mach­te zwei- oder drei­mal die Run­de um das Foy­er, emp­fing se­lig die lei­den­schaft­li­chen Bli­cke und die Kom­pli­men­te, wel­che die Men­ge sei­ner Ge­lieb­ten zu­warf, ohne das ver­ächt­li­che La­chen und den bei­ßen­den Spott zu be­mer­ken, des­sen Ge­gen­stand er war.

      »Auf wel­chem Kirch­hof hat die­ser jun­ge Vam­pir den Leich­nam aus­ge­scharrt?« rief der ele­gan­tes­te der Ro­man­ti­ker.

      Eu­phra­sie lä­chel­te. Der Spöt­ter war ein schlan­ker jun­ger Mann mit blon­den Haa­ren, blau­en, strah­len­den Au­gen und ei­nem Schnurr­bart; er trug einen kur­z­en Frack, den Hut auf dem Ohr, war nicht auf den Mund ge­fal­len: ganz die Spra­che der neu­en Schu­le.

      »Wie vie­le Grei­se«, sag­te sich Ra­pha­el im stil­len, »krö­nen ein ehr­ba­res, ar­beit­sa­mes, tu­gend­haf­tes Le­ben mit ei­ner Tor­heit! Der steht schon mit den Fü­ßen im Grab und hält sich eine Ge­lieb­te.«

      »Nun, wie ist es?« rief er den Händ­ler an und lieb­äu­gel­te mit Eu­phra­sie; »er­in­nern Sie sich nicht mehr der stren­gen Grund­sät­ze Ih­rer Phi­lo­so­phie?«

      »Ach«, ant­wor­te­te der Händ­ler mit schon ge­bro­che­ner Stim­me, »ich bin jetzt glück­lich wie ein Jüng­ling! Ich hat­te das Le­ben ver­kehrt an­ge­fan­gen. In ei­ner Lie­bes­stun­de liegt ein gan­zes Le­ben.«

      In die­sem Au­gen­blick er­tön­te das Klin­gel­zei­chen, und die Zuschau­er ver­lie­ßen das Foy­er, um sich auf ihre Plät­ze zu be­ge­ben. Der Alte und Ra­pha­el trenn­ten sich. Als der Mar­quis in sei­ne Loge trat, be­merk­te er Fœ­do­ra, die ihm ge­ra­de ge­gen­über auf der an­de­ren Sei­te des Thea­ters saß. Sie war of­fen­bar eben erst ge­kom­men, lös­te ih­ren Schal, ent­blö­ßte den Hals und voll­führ­te all die un­be­schreib­li­chen klei­nen Be­we­gun­gen ei­ner Ko­kot­te, die sich zur Schau stellt: alle Bli­cke wa­ren auf sie ge­rich­tet. Ein jun­ger Pair von Frank­reich be­glei­te­te die Com­tes­se; sie ließ sich von ihm das Opern­glas rei­chen, das sie ihm zu tra­gen ge­ge­ben hat­te. An ih­ren Ges­ten, an der gan­zen Art, wie sie den neu­en Ver­eh­rer an­sah, er­riet Ra­pha­el, wel­cher Ty­ran­nei sein Nach­fol­ger un­ter­wor­fen war. Si­cher eben­so be­zau­bert, eben­so be­tro­gen wie einst er sel­ber und wie er mit der gan­zen Kraft ei­ner wah­ren Lie­be ge­gen die kal­ten Be­rech­nun­gen die­ser Frau an­kämp­fend, muß­te die­ser jun­ge Mann Qua­len er­lei­den, auf die Va­len­tin zu sei­nem Glück ver­zich­tet hat­te. Nach­dem Fœ­do­ra ihr Opern­glas auf alle Lo­gen ge­rich­tet und mit ei­nem Blick die Toi­let­ten ge­mus­tert hat­te, strahl­te un­be­schreib­li­che Freu­de aus ih­rem Ge­sicht; denn sie hat­te sich ver­ge­wis­sert, daß sie mit ih­rem Schmuck und ih­rer Schön­heit die schöns­ten und ele­gan­tes­ten Frau­en von Pa­ris aus­stach; sie lach­te, um ihre wei­ßen Zäh­ne zu zei­gen, und neig­te ih­ren blu­men­ge­schmück­ten Kopf leb­haft, um sich be­wun­dern zu las­sen. Ihr Blick glitt von Loge zu Loge; mal mach­te sie sich über ein Ba­rett lus­tig, das schlecht auf dem Kopf ei­ner rus­si­schen Fürs­tin saß, mal über einen ge­schmack­lo­sen Hut, der ei­ner Ban­kier­s­toch­ter ab­scheu­lich schlecht stand. Plötz­lich wur­de sie blaß, sie war den star­ren Au­gen Ra­phaels be­geg­net; ihr ver­schmäh­ter Lieb­ha­ber schmet­ter­te sie mit ei­nem un­er­träg­li­chen Blick der Ver­ach­tung nie­der. Kei­ner ih­rer in Un­gna­de ge­fal­le­nen Lieb­ha­ber ent­zog sich ih­rer Macht, nur Ra­pha­el war, als ein­zi­ger von al­len, ge­gen ihre Ver­füh­rungs­küns­te ge­feit. Eine Macht, der man un­ge­straft trot­zen kann, nä­hert sich dem Un­ter­gang. Die­ser Grund­satz ist in ein Frau­en­herz tiefer ein­ge­gra­ben als in das Hirn der Kö­ni­ge. So sah denn Fœ­do­ra in Ra­pha­el das Ende ih­res Ruhms und ih­rer Ko­ket­te­rie. Ein Wört­chen, das er ges­tern in der Oper hat­te fal­len­las­sen, war in sämt­li­chen Pa­ri­ser Sa­lons von Mund zu Mund ge­gan­gen. Der schnei­den­de Witz die­ses furcht­ba­ren Epi­gramms hat­te die Com­tes­se un­heil­bar ver­letzt. Wir kön­nen in Frank­reich zwar eine Wun­de aus­bren­nen, aber wir ken­nen noch kein Heil­mit­tel ge­gen den Scha­den, den ein Wort an­rich­tet. In dem Au­gen­blick, da alle Frau­en ab­wech­selnd auf den Mar­quis und auf sie blick­ten, hät­te Fœ­do­ra ihn in ein Ver­lies der Ba­stil­le stür­zen mö­gen; denn trotz all ih­rer Ver­stel­lungs­kunst, die Ri­va­lin­nen er­rie­ten, wie sie litt. Und schließ­lich wur­de sie ih­res letz­ten Tros­tes be­raubt. Die köst­li­chen Wor­te: »Ich bin die Schöns­te!«, die­ser ewi­ge Satz, der alle Küm­mer­nis­se ih­rer Ei­tel­keit be­sänf­tig­te, fing an zur Lüge zu wer­den. Wäh­rend des Vor­spie­les zum zwei­ten Akt nahm eine Frau in Ra­phaels Nähe Platz, in der Nach­bar­lo­ge, die bis da­hin leer ge­blie­ben war. Aus dem Par­terre drang ein Mur­meln der Be­wun­de­rung. Alle Au­gen und alle Sin­ne in die­sem Meer von mensch­li­chen Ge­sich­tern wa­ren auf die Un­be­kann­te ge­rich­tet. Jung und alt ge­rie­ten in eine so lang an­hal­ten­de Un­ru­he, daß die Mu­si­ker im Or­che­s­ter sich, wäh­rend der Vor­hang hoch­ging, erst ein­mal um­dreh­ten, um Schwei­gen zu ge­bie­ten; aber auch sie bra­chen in bei­fäl­li­ge Rufe aus und ver­mehr­ten so den wir­ren Lärm. Leb­haf­te Un­ter­hal­tung setz­te in je­der Loge ein. Die Frau­en hat­ten sich alle mit ih­ren Opernglä­sern be­waff­net, Grei­se wur­den wie­der jung und putz­ten mit dem Le­der ih­rer Hand­schu­he die Lor­gnet­ten. All­mäh­lich flau­te die Be­geis­te­rung ab; auf der Büh­ne be­gann der Ge­sang; al­les kehr­te zur Ord­nung zu­rück. Die gute Ge­sell­schaft schäm­te sich, ei­ner na­tür­li­chen Re­gung nach­ge­ge­ben zu ha­ben, und nahm wie­der die ari­sto­kra­ti­sche Käl­te ih­rer hö­fi­schen Ma­nie­ren an. Die Rei­chen wol­len über nichts stau­nen, sie wol­len beim ers­ten An­blick ei­nes schö­nen Werks den Feh­ler ent­de­cken, der sie der Be­wun­de­rung – ei­nem nie­de­ren Emp­fin­den – ent­hebt. In­des­sen blie­ben doch ei­ni­ge Män­ner reg­los, ohne die Mu­sik zu hö­ren, in nai­ver Be­wun­de­rung ver­lo­ren und hör­ten nicht auf, Ra­phaels Nach­ba­rin zu be­trach­ten. Va­len­tin be­merk­te in ei­ner Par­ter­re­lo­ge ne­ben Aqui­li­na das ge­mei­ne, blut­un­ter­lau­fe­ne Ge­sicht Tail­le­fers, der ihm wohl­wol­lend zu­grins­te. Dann sah er Émi­le, der in sei­ner Or­che­s­ter­lo­ge stand und ihm zu sa­gen schi­en: »Aber sieh doch das himm­li­sche Ge­schöpf ne­ben dir an!« Schließ­lich ent­deck­te er noch Ras­ti­gnac, der ne­ben Ma­da­me de Nu­cin­gen und ih­rer Toch­ter saß und die Hand­schu­he un­ru­hig in der Hand ball­te, als sei er ver­zwei­felt, an sei­nen Platz ge­bannt zu sein und nicht zu

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