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das Holz geritzte Herz. T + B. Bettina konnte sich noch ganz genau erinnern, wann es entstanden war.

      Sonne, Wind und Wetter hatten es verwittern lassen.

      Behutsam malte Bettina mit ihrem rechten Zeigefinger die Konturen nach, ehe sie sich hinsetzte und auf das Wasser blickte.

      Enten kamen schnatternd an den Steg geschwommen, um dann beizeiten abzudrehen, als sie merkten, daß es hier nichts zu holen gab. Weiter draußen entdeckte Bettina ein Boot, das langsam über das Wasser glitt. In den Bäumen zwitscherten die Vögel, und ganz in der Nähe hämmerte ein Specht sein gleichmäßiges tak-tak-tak in einen Baum.

      Als sie jung gewesen war, hatte sie sich darüber überhaupt keine Gedanken gemacht, was die Fahrenbachs hier besaßen. Aber jetzt allmählich dämmerte ihr, was ihr Vater ihr hinterlassen hatte, nicht nur den Hof mit all seinen Nebengebäuden und dem Land, das teilweise verpachtet war. Auch der See gehörte dazu mit dem darangrenzenden Wald.

      Offensichtlich war es auch ihren Geschwistern und deren Partnern nicht bewußt, was sie geerbt hatte, denn sonst hätten sie sie ja nicht bedauert, weil es »bloß« der Fahrenbach-Hof war.

      Irgendwie kam Bettina sich wie ein Kind vor, das wußte, was es zu Weihnachten bekommen würde, weil es sich ja gewünscht hatte

      und dann nach dem Auspacken dennoch vollkommen überwältigt war.

      Sie hatte sich den Fahrenbach-Hof zwar nicht gewünscht, aber sie kannte ihn, und erst jetzt, ganz allmählich, begann sie zu begreifen, was ihr jetzt gehörte.

      Sie wußte nicht, wie lange sie dagesessen hatte. Erst als ein leichter Wind aufkam und eine dunkle Wolke sich vorübergehend vor die Sonne schob, stand sie auf.

      Im Haus roch es jetzt schon viel besser. Ihrem Impuls, den dunkelblauen Pullover an sich zu nehmen, widerstand sie. Sie war emotional genug bewegt.

      Rasch schloß sie die Fenster, die Haustür, deponierte den Schlüssel an sein Versteck, dann lief sie, nach einem letzten Blick auf den See, zu ihrem Fahrrad.

      Inzwischen war es fast Mittag geworden, aber sie wollte doch noch einen kleinen Abstecher ins Dorf machen.

      Ihr fielen sofort einige kleine, sehr hübsche Einfamilienhäuser auf, die sie noch nicht kannte. Das verwunderte sie sehr, denn solange sie zurückdenken konnte, hatte sich in Fahrenbach nichts verändert.

      Zumindest der Gasthof ZUR LINDE schien unverändert. Es war ein weißgetünchtes behäbig wirkendes großes Gebäude, das wohl gerade einen frischen Anstrich erhalten hatte, genauso wie das Holzwerk, das in frischem Glanz erstrahlte. Das Haus machte einen sehr gepflegten Eindruck. Es wurde eingerahmt von zwei riesigen Linden, die dem Gasthof auch den Namen gegeben hatten. Neu war der Biergarten seitlich vom Haus. Offenbar ging man auch in Fahrenbach mit der Zeit mit.

      Bettina erinnerte sich an das köstliche, selbstgemachte Eis, das es im Sommer in der LINDE immer zu kaufen gab. Und sie erinnerte sich an Linde, die Tochter des Wirts, mit der sie sich angefreundet und die so unglücklich darüber gewesen war, daß man sie so einfallslos nach dem Gasthof benannt hatte. Was wohl aus ihr geworden war?

      Irgendwie hatte die Neugier sie gepackt. Sie wollte es jetzt wissen. Also stellte sie ihr Fahrrad ab und ging in den Gasthof hinein.

      Drinnen war alles fast unverändert geblieben, und das war auch gut so. Es wäre unverzeihlich gewesen, diese anheimelnde Atmosphäre durch Neuerungen zu zerstören.

      Auf den blanken Holztischen standen Blumen.

      Ihr Blick glitt in die Ecke mit dem Kachelofen, der zwar keinerlei Funktion mehr hatte, aber dem Raum sehr viel Gemütlichkeit verlieh. An dem vor dem Ofen stehenden Tisch hatten sie immer gesessen. Voller Wehmut dachte sie an die Zeit zurück, als sie scheinbar noch eine glückliche Familie gewesen waren.

      »Ich komme sofort, einen Augenblick«, rief eine Stimme aus dem Hintergrund, die sie sofort als die von Linde erkannte.

      Gespannt blickte Bettina in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.

      »Entschuldigung, ich mußte nur…«

      Die junge Frau, die zum Vorschein gekommen war, stellte die Flaschen ab, die sie auf dem Arm trug. Mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck blickte sie zu Bettina.

      »Ich glaube es nicht… ich glaube es nicht… die Bettina Fahrenbach.«

      Dann kam sie um die Theke herumgelaufen und nahm Bettina resolut in den Arm. »Wenn das keine Überraschung ist. Wie lange haben wir uns nicht gesehen.«

      »Mehr als zehn Jahre.«

      »Unglaublich, komm, jetzt setz dich erst mal. Willst du einen Kaffee… oder einen Schnaps… ich könnte dir ein Fahrenbach Kräutergold anbieten.«

      »Kaffee wäre gut, Schnaps nein. Außerdem, willst du mich vergiften? Unser Kräutergold gibt es seit bestimmt zwanzig Jahren nicht mehr. Und es spricht nicht unbedingt dafür, daß Ihr noch immer Bestände davon habt nach so langer Zeit, fragt wohl keiner danach.«

      »Ganz im Gegenteil, da irrst du dich aber gewaltig. Es ist der Renner, aber warte, ich hol nur schnell den Kaffee. Was nimmst du? Milch und Zucker?«

      »Nur schwarz.«

      Bettina blickte ihrer Jugendfreundin nach. Sie hatte sich überhaupt nicht verändert, nur daß sie natürlich älter geworden war, und etwas zugenommen hatte sie auch, aber das paßte zu ihr.

      Linde kam mit dem Kaffee zurück und setzte sich.

      »Was hast du mit dem Kräutergold gemeint?« wollte Bettina wissen.

      »Ganz einfach, daß es hier in unserer Gegend der absolute Renner ist, nicht nur hier im Dorf, sondern auch drüben in den mondänen Restaurants.«

      »Aber Kräutergold wird nicht mehr produziert.«

      »Doch, mein Vater hat die Produktion auf dem Fahrenbach-Hof niemals eingestellt. Es wundert mich, daß du das nicht weißt.«

      Bettina schüttelte den Kopf.

      »Ich habe es nicht gewußt, niemand von uns.«

      »Es war ja auch keiner von euch hier. Ich glaube, dein Vater war sehr unglücklich darüber. Er hat hier alles sehr geliebt und hätte es bestimmt gern mit euch geteilt… es tut uns allen so leid, daß er so plötzlich gestorben ist. Er war ein wunderbarer Mensch.«

      Bettina hätte am liebsten angefangen zu weinen. Es war furchtbar, daß Fremde mehr über ihren Vater wußten als sie selbst. Und auch, daß er die Produktion einfach fortgeführt hatte, nachdem ihre Brüder der Meinung gewesen waren, dieses Relikt aus alter Zeit passe nicht mehr in das Programm des Weinkontors.

      »Ich habe meinen Vater sehr geliebt, und ich bedaure sehr, daß ich so viele Jahre nicht hier war.«

      »Ja, das ist wirklich schade, ich hätte dich auch gern öfter gesehen. Warum bist du eigentlich nicht mehr gekommen. Ich hatte immer das Gefühl, daß du dich hier sehr wohl fühlst.«

      Bettina seufzte.

      »Das ist eine lange Geschichte, die ich dir irgendwann einmal erzählen werde.«

      »Hat dein Vater verfügt, wie es mit dem Hof weitergehen soll?«

      »Er hat mir hier alles vererbt, und ich bin seit gestern da, um mir ein Bild zu machen und zu überlegen, wie es weitergehen soll.«

      Linde schaute ihre Freundin aus Kindertagen ernst an.

      »Es ist schön, daß du den Hof geerbt hast. Dein Vater wußte, daß du – nichts gegen deine Geschwister – die einzige bist, die schätzen kann, was das hier bedeutet.«

      »Wie meinst du das?«

      »Etwas zu erben, was seit Generationen in der Familie ist, ist eine Verpflichtung es weiter zu erhalten, auch wenn es manchmal bedeutet, seine Lebensziele zu verändern. Ich hätte auch gern ein anderes Leben geführt, aber ich wurde mein Leben lang darauf vorbereitet, eines Tages das hier alles zu übernehmen, und als mein Vater krank wurde und

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