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willst du eigentlich von mir?«, fragte sie gequält. »Was hast du von diesem Gespräch?«

      Auf diese Frage antwortete Nicole Ziegler nicht sofort. Auch sie war erschöpft von dieser Unterhaltung. Doch es musste sein, war schon so viele Jahre überfällig.

      »Weil ich etwas gutmachen will, auch wenn ich weiß, dass du mit Uritz nie glücklich geworden wärst. Ich wünsche mir, dass auch du endlich eine Liebe erleben kannst. Dass du endlich den Mut findest, dieses Risiko einzugehen. Weil das vielleicht die letzte Gelegenheit ist. Wenn du sie vorüberziehen lässt, wirst du es vielleicht für den Rest deines Lebens bereuen.« Unvermittelt schwammen Nicoles Augen in Tränen. Gleichzeitig ballte sie die Hände auf der Bettdecke zu Fäusten. »Verdammt noch mal, Jenny. Liebst du diesen Mann? Dann zeig es ihm doch endlich.«

      Als Klinikchefin war Jenny Behnisch es nicht gewohnt, dass in so einem Ton Klartext mit ihr gesprochen wurde. Sie hatte schwer zu kauen an Nicoles Worten, wusste aber gleichzeitig, dass sie einer gewissen Wahrheit nicht entbehrten. Endlich fand sie den Mut, den Kopf zu heben und ihrer Cousine in die Augen zu sehen.

      »Und wie stellst du dir das vor?«, fragte sie schroff. »Roman ist spurlos verschwunden. Und ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, ihn zu suchen.«

      Doch auch darauf hatte Nicole eine Antwort.

      »An deiner Stelle würde ich dort anfangen, wo ihr zusammen am glücklichsten ward.«

      *

      Glücklicherweise musste Marianne Hasselt an diesem Nachmittag keine Torte mehr dekorieren.

      »Andernfalls könnte ich nicht dafür garantieren, dass ich die Sahnerosetten statt mit Marienkäfern mit Totenköpfen garniere«, schimpfte sie, während sie eine Tortenschachtel nach der anderen zur Auslieferung in den Wagen packte.

      »Hui, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«, wunderte sich Tatjana über die plötzlich so schlechte Laune ihrer Mitarbeiterin. »Oder sollte ich lieber fragen, welcher Asternkavalier?« Obwohl sie gehört hatte, dass Mario die Bäckerei mit beschwingten Schritten verlassen hatte, kam kaum ein anderer Schluss in Frage. Irgendetwas an Marios Verhalten hatte Marianne zutiefst verstört. Das spürte Tatjana mit der ihr eigenen Sensibilität, die sie ihrer Sehbehinderung verdankte. »Sag, was hat er getan?«, fragte sie Marianne und packte sie am Arm, um sie festzuhalten.

      »Ach … der ist doch auch nicht besser als alle anderen Männer!«, schimpfte die Konditorin. »Erzählt mir, dass er keine Frauen mag, die Spielchen spielen, und tut es selbst.« In knappen Worten berichtete sie von der Unterhaltung, die sie mit dem Kinderarzt geführt hatte, und fast sofort hatte Tatjana Mitleid mit Marianne. Sie wusste selbst um die Qualen junger Liebe, erinnerte sich noch gut an ihre eigene Unsicherheit, als sie frisch in Danny Norden verliebt gewesen war. Jedes Wort, jeden Satz hatte sie damals seziert und auf seine Bedeutung untersucht.

      »Fast immer bin ich daneben gelegen mit meinen Vermutungen, und alles war ganz anders, als ich dachte«, wollte sie Marianne beruhigen.

      Die ließ Schultern und Kopf hängen und starrte blicklos auf die schöne, alte Vitrine, die inzwischen den Verkaufsraum zierte.

      »Ich weiß ja selbst nicht, warum ich so unsicher bin«, gestand sie zerknirscht ein. »Stell dir vor: Ich bin sogar eifersüchtig auf eine blutjunge Lernschwester. Ist das noch zu fassen? Manchmal frage ich mich, ob ich es nicht lieber lassen und allein mit Tobias bleiben sollte.«

      »Wenn ihr euch erst besser kennengelernt habt, kommt deine Sicherheit von selbst wieder«, erwiderte Tatjana und küsste Marianne zum Abschied rechts und links auf die Wange.

      Es wurde Zeit, die Torten auszuliefern, eine Beschäftigung, die die Konditorin zumindest für einige Zeit auf andere Gedanken brachte.

      Doch kaum hatte sich die letzte Tür eines Kunden vor ihr geschlossen, zog sie schon wieder das Handy aus der Tasche und starrte auf das Display.

      »Nichts. Kein Sterbenswörtchen von Mario«, stellte sie deprimiert fest und verfluchte gleichzeitig die modernen Kommunikationsmittel, die immer und überall Kontakt ermöglichten und das Leben von Liebenden damit nicht unbedingt leichter machten.

      Übellaunig fuhr sie nach Hause und begrüßte ihren Sohn entsprechend unfreundlich.

      »Wie oft muss ich dir eigentlich noch sagen, dass wir ein Schuhregal haben?«, fauchte sie. »Und direkt daneben ist übrigens die Garderobe.« Sie bückte sich nach der Sweat­jacke auf dem Boden und warf sie Tobias zu, der sie geschickt auffing. Seine Miene sprach Bände.

      »Mann, ich hasse es, wenn du erst mal meckerst, wenn du heimkommst«, beschwerte er sich lautstark. »Dabei hast du gar keinen Grund dazu.«

      Marianne, die schon seine Turnschuhe in den Händen hielt, um sie der Jacke folgen zu lassen, hielt in der Bewegung inne.

      »Wie meinst du das?«, fragte sie argwöhnisch, und Tobias wusste, dass er gewonnen hatte.

      »Na, ich hab dir Blumen besorgt. Weil du eine so liebe Mama bist«, antwortete er und deutete auf den Strauß tiefroter Rosen, die in einer Vase auf dem Tisch standen.

      Sofort wusste Marianne, dass er gelogen hatte. Doch diesmal konnte sie ihrem Sohn nicht böse sein. Im Nu verflog ihre schlechte Laune, und wie auf Wolken schwebte sie hinüber zum Tisch. Sie entdeckte die Karte im Strauß und las die Zeilen, die Mario der Blumenverkäuferin diktiert hatte.

      Tobias beobachtete seine Mutter dabei.

      »O Mist«, entfuhr es ihm.

      Die Karte hatte er übersehen, und in Erwartung eines neuerlichen Donnerwetters hielt er die Luft an.

      Wie groß war seine Erleichterung, als sich seine Mutter mit einem engelsgleichen Lächeln zu ihm umdrehte.

      »Die Rosen sind ja schon fantastisch … Aber dass du mich auch noch zum Essen einlädst …« Weiter kam sie nicht, denn in diesem Augenblick brach sie gleichzeitig mit Tobias in amüsiertes Gelächter aus.

      Alle Wolken waren verschwunden, und Mariannes Himmel hing wieder voller Geigen, als sie ihren Sohn umarmte und küsste und dann ins Bad ging, um sich auf ihre Verabredung mit Dr. Mario Cornelius vorzubereiten. An diesem Abend und auch in Zukunft sollte er nur noch die schöne, starke Marianne zu Gesicht bekommen. Das nahm sich die Konditorin in diesem Augenblick fest vor.

      *

      Nur zwei Tage nach Roman stand Dr. Jenny Behnisch ohne es zu ahnen an derselben Stelle vor dem Flughafen wie ihr Lebensgefährte. Auch ihre Augen wurden geblendet vom gleißenden Licht der afrikanischen Sonne. Als ihr Blick die staubigen, palmengesäumten Straßen hinunter wanderte, ihre Lunge die warme Luft voll fremder Gerüche einsog, wusste sie, warum Roman dieses Land so sehr liebte.

      »Wie oft hat er mich gebeten, mit ihm hierher zurückzukehren?«, murmelte sie leise vor sich hin. »Aber ich hatte nie Zeit. Immer gab es Wichtigeres. Was für ein fataler Fehler.«

      »Madame?« Der Fahrer eines Taxis war ausgestiegen und musterte die fremde Frau interessiert.

      In perfektem Französisch erklärte Jenny Behnisch, welches Ziel sie hatte, und saß wenig später auf dem staubigen Rücksitz des Taxis, das sie hoffentlich zu Roman bringen würde. Nach dem Gespräch mit Nicole hatte sie einer inneren Eingebung folgend die Koffer gepackt und einen Flug gebucht. Und nun war sie hier und konnte nur hoffen, sich nicht geirrt zu haben.

      Jenny war so in Gedanken versunken, dass sie die märchenhafte Umgebung nicht bemerkte und auch das Meer übersah, das in leuchtendem Türkis zwischen Häusern und Palmen aufblitzte.

      Erst die sanfte Stimme ihres Chauffeurs weckte sie aus ihren Gedanken und Erinnerungen.

      »Wir sind da, Madame!«

      »Vielen Dank.« Jenny gab ein großzügiges Trinkgeld und wandte sich dann dem weitläufigen, strahlend weißen Gebäuden zu. Glückliche Erinnerungen überschwemmten sie wie ungestüme Wellen einen Sandstrand. Als sie die Lobby betrat, versanken ihre Füße im dicken Teppich. Der Herr an der Rezeption hob den Kopf. Trotz der Jahre, die inzwischen vergangen

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