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dass alle Lieder nur davon handeln sollten, wie Männer sich mit Würfeln die Zeit vertreiben?«

      »Dem Meistersänger Kilian Rechperger aus Nürnberg hat es vom vielen Meistersingen wohl ganz die Sprache verschlagen?«

      Die Fragen prasselten auf Kilian herab, die Mädchen lachten und von Weitem sah Kilian, wie Gerdrud sich näherte. Die junge Frau hatte einen Marktkorb unter dem Arm und bemerkte Kilian. Und sie bemerkte auch die zwei Mädchen, die seiner Musik zuhörten. Wäre Kilian alleine gewesen, wäre Gerdrud vielleicht zu ihm gekommen und hätte ihn gerügt, dass er den Tag so nutzlos mit Lautenspiel vorbeiziehen ließ, nun aber trat sie nicht näher. Sie nickte ihm nicht einmal zu, sondern wandte den Blick ab, als hätte sie Kilian gar nicht gesehen, als wäre Kilian gar nicht da.

      Das tat weh, doch es war ein süßer Schmerz, der Kilians Herz erfüllte.

      »Ganz und gar nicht, gnädige Fräulein«, sagte er dann und strich mit den Fingern über die Lautensaiten. »Aber noch bin ich kein richtiger Meistersänger, ich bin erst ein Schulfreund, ein Wandergeselle. Nichtsdestotrotz singe ich Euch gerne etwas vor. Für jeden Menschen, sei er alt oder jung, dick oder dünn, hübsch oder hässlich, Mann oder Frau, Räuber oder Heiliger, gibt es auf dieser Welt ein Lied.«

      »Und was sind wir Eurer Meinung nach? Jung oder alt? Dick oder dünn?«, fragte Birgitta. »Hübsch oder hässlich, Räuber oder Heilige?«

      »Frauen oder Männer?«, kicherte Katrine.

      »Wer Ihr seid, gnädige Fräulein, liegt an Euch zu entscheiden, zu suchen und zu finden. Ich habe meinen Weg gewählt und gehe ihn mit Gesang. Wisst Ihr, in unserer Gilde wird nur der ein wahrer Meistersänger, der auf der Stelle ein Lied erschaffen kann, aus der Luft, aus dem Nichts, ein ganz eigenes und neues Lied, das es vorher noch nicht gegeben hat«, erzählte Kilian eifrig. Gerdrud war jetzt schon in der Nähe, doch zu Kilian schaute sie nicht hinüber.

      »Und Ihr beherrscht diese Kunst, Kilian Rechperger?«, erkundigte sich Katrine.

      »Wie ich schon sagte, bin ich erst Geselle. Von der wahren Kunst des Meistersingens bin ich noch weit entfernt.«

      »Seid doch nicht so bescheiden, Kilian. Wir haben doch gehört, wie Ihr vorhin gesungen habt.«

      »Sagt, könntet Ihr beispielsweise sofort ein eigenes Lied erfinden, einfach so, aus dem Nichts?«

      »Oder ein Lied über etwas, was Ihr gesehen habt und was Euch gefällt?«

      »Ach, singe ich denn nicht die ganze Zeit davon, was mir gefällt und was mir am Herzen liegt? Kann man denn überhaupt von etwas anderem singen?«, fragte Kilian bedrückt.

      Die Mädchen spornten ihn weiter an. Kilian sträubte sich nicht ernsthaft, er wartete einfach.

      »So singt doch, Kilian! Das ist doch Eure Aufgabe, herumzureisen und den Leuten etwas vorzusingen«, verlangte Birgitta.

      »Schön, dann singe ich«, versprach er. »Aber worüber?«

      »Singt über irgendetwas! Oder nein, singt über das Nichts! Ja, genau, singt Euer eigenes, neu erfundenes Lied, das von nichts handelt«, riefen die Mädchen durcheinander.

      »Über das Nichts? Gut, das mache ich«, war Kilian einverstanden. Gerdrud war nun ganz nah, so dass sie ihn hören musste. Kilian sah nicht, dass auch Apotheker Melchior und Gerichtsvogt Dorn unterhalb des Kirchgartens aufgetaucht waren. Dorn regelte dort etwas mit seinen Amtskollegen, Melchior kam aber ein paar Schritte näher, winkte Kilian kurz zu und blieb stehen, um das Lied anzuhören.

       Dies ist ein Lied über das Nichts

       Es ist nicht über mich, nicht über einen anderen

       Nicht über die Liebe, nicht über die Jugend

       Auch über nichts anderes, über nichts

       Es kam mir in den Sinn, als ich schlief

       Und auf meinem Pferd durch die Einsamkeit trabte

       Ich weiß nicht, wann ich geboren wurde

       Ich bin weder glücklich noch böse

       Ich bin hier kein Fremder

       Und habe hier doch keinen Platz

       Daran kann ich nichts ändern

       Eine Bergfee hat mich verzaubert

       Ich weiß nicht, ob ich wache oder träume

       Mein Herz bricht fast entzwei, ich bin so bekümmert

       Aber das kümmert mich nicht im Geringsten

       Ich bin in jemanden verliebt, ich weiß nicht, wer sie ist

       Denn ich habe sie noch nie gesehen

       Niemals hat sie mich erfreut oder mich betrübt

       Und auch das kümmert mich nicht

       Ich habe sie nie gesehen, doch ich liebe sie so sehr

       Sie hat mir weder das zukommen lassen, was sie sollte, noch das, was verboten ist

       Sehe ich sie nicht, bin ich glücklich

       Gar nichts mache ich mir aus ihr

       Denn ich kenne eine, die netter ist als sie und hübscher und reicher noch dazu

       Ich weiß nicht, wo sie wohnt

       Oben in den Bergen oder auf dem ebenen Feld

       Es schmerzte zu sehr euch zu erzählen, wie sie mich quält

       Und zu sehr schmerzt es hier zu bleiben

       Daher gehe ich

       Hier ist mein Lied

       Ich weiß nicht, wovon es handelt

       Ich schicke es jemandem

       Der es mit jemand anderem an jemanden in Nürnberg schickt

      Vielleicht kann sie mir den Schlüssel ihrer Truhe schicken, mit dem ich dieses Rätsel lösen kann.

      Gerdrud schritt an Kilian vorbei, als wäre der Junge überhaupt nicht anwesend, Melchior aber hörte interessiert das Lied zu Ende und eilte dann dem Gerichtsvogt hinterher.

      Kapitel 8

       Domberg, Kleine Ordensburg 16. Mai, Mittag

      Melchior wartete beim Rathaus, während Dorn den Hilfsschreiber, den Juristen und die Gerichtsdiener zusammentrommelte, sie ordentlich maßregelte und hieß, auf den Domberg mitzukommen. Von der Unterstadt führten zwei Wege auf den Domberg. Den größeren und besseren Weg, den auch Lastpferde hinaufkamen und den das Vieh entlang getrieben wurde, nannte man den Langen Domberg. Dieser begann am Ende der Raderstraße beim neuen Torturm, der in Melchiors Jugendjahren erbaut worden war. Der zweite Weg, der Kurze Domberg, wurde von einer Torschranke mit einem schmalen Durchgang begrenzt. Beide Tore wurden abends abgeschlossen und die Schlüssel von den Stadtwächtern im Rathaus verwahrt. Im Frühjahr bestand allerdings keine große Hoffnung den Fußweg am Kurzen Domberg passieren zu können. Er war zu steil, schlüpfrig und matschig. Schon viele hatten sich hier die Knochen gebrochen und ein Ordensdiener kürzlich sogar das Genick.

      Im Mai war aber auch der Lange Domberg schwer passierbar, der Weg war voller Schlamm und Viehmist, hatte große Löcher und war stellenweise so eng, dass Pferdewagen kaum ein Durchkommen hatten. Zudem hagelte es vom Steilhang, an dessen oberer Kante die Außenmauer der Großen Festung verlief, ständig Steine und Schutt auf den

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