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die meisten Preise gewannen und dass sie bei allen als die tapfersten Soldaten galten.

      Natürlich waren sie nur Kaufleute und die meisten von ihnen zudem Kaufleute aus dem Ausland, aber das Abhalten von Turnieren verlieh allen Städtern das Gefühl, von Adel zu sein, und sei es nur für einen Moment. Und Freisinger war sich ziemlich sicher, dass es für ihn oder einen anderen gestandenen Schwarzhäupter ein Leichtes war, so manchen harrischen Vasallen mit der Lanze aus dem Sattel zu heben.

      Clawes Freisinger lebte seit nunmehr fünf Jahren in Reval und er hielt es für seinen Verdienst, dass die Schwarzhäupter, die vorher ein Schattendasein geführt hatten, nun in der ganzen Stadt bekannt und berühmt waren.

      Freisinger war ledig und in Reval ein begehrter Bräutigam. Er war es gewohnt, dass die Kaufmannsfrauen ihm nachsahen. Die Mädchen hatte er für ihre Gesellschaft niemals bezahlen müssen. All dies war auch für Fräulein Hedwig kein Geheimnis, ganz bestimmt nicht.

      Clawes Freisinger blieb stehen und wartete geduldig, bis das Mädchen ihn bemerkte. Dann nickte er ihm vorsichtig zu und machte mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung Westseite des Marktplatzes. Dort würde es ihnen wohl gelingen, sich zu treffen und sich in einer verborgenen Ecke das zu schwören, was sie einander das letzte Jahr immer wieder geschworen hatten.

      Zu seiner eigenen Überraschung war Clawes Freisinger zu dem Schluss gelangt, dass er das Fräulein Hedwig Casendorpe aufrichtig und innig liebte und wohl bereit war, den Preis zu zahlen und den Schwarzhäupterstand aufzugeben, wenn er nur diesen Körper, den er im Moment unter den Kleidern des Mädchens nur erahnte, als rechtmäßig angetraut in sein Bett holen konnte.

      Ich sollte stärker als die Verlockung sein, dachte er, als er nun Fräulein Hedwig wie ein Schafhirte hinterher lief.

      Kapitel 5

       Dominikanerkonvent 16. Mai, Morgen

      Der Dominikanerprior Baltazar Eckell fühlte sich schon seit geraumer Zeit schlecht. Ihn plagten Schmerzen und Sodbrennen, er hatte keinen Appetit, ihm wurde schwindlig und schwarz vor Augen und manchmal, wenn es ihm besonders schlecht ging, glaubte er die Stimme des Erzengels Michael zu hören, der ihn rief und ihm mitteilte, dass er erwartet würde. Vielleicht war seine Zeit auf Erden tatsächlich bald zu Ende, obwohl er doch noch so viel zu tun hatte, vom Bösen verursachte Dinge wieder gut zu machen. Aber gestern war die Zeit auf Erden für einen Mann tatsächlich zu Ende gegangen, das hörte er jetzt von Cellerarius Hinricus, der es vom Koch des Klosters gehört hatte, und der wiederum hatte es auf dem Markt gehört.

      Henning von Clingenstain war auf dem Domberg ermordet worden. Ihm war der Kopf abgeschlagen worden. Der Herr sei ihm gnädig.

      Prior Eckell saß zusammen mit dem jungen Cellerarius im Skriptorium des Klosters. Die Kapitelversammlung war gerade zu Ende gegangen. Schon seit Jahren kam der Prior im Anschluss an die Kapitelversammlung ins Skriptorium, um über himmlische und weniger himmlische Dinge nachzudenken. Die Klosterbrüder waren um diese Zeit in der Stadt beim Predigen oder erledigten andere Dinge für den Konvent, so dass der Prior ungestört seinen Gedanken nachgehen konnte. Und heute hatte er es sehr nötig gehabt nachzudenken, denn gebetet hatte er bereits. Er konnte sich nicht erinnern, ob er diese Nacht überhaupt geschlafen hatte. Beten war eine Kunst, das wahre Beten, die flehende Kraft, die aus dem Inneren des Menschen hervorbricht und Gott erreicht, diese Kunst musste man lernen und zwar mit Hingabe. Prior Eckell hatte gelernt, vor dem Einschlafen so zu beten, dass seine Gebete die ganze Nacht über bei ihm blieben, bis in seine Träume. In seinen Träumen durchlebte er sie noch einmal, sie umkreisten seine Gedanken und er hörte sich sogar mit den Engeln und Heiligen sprechen. Er hatte sich diese Fähigkeit schon als junger Mann angeeignet, um Zuflucht vor den begehrlichen Träumen zu finden, die ihn, den zwanzigjährigen Mönch, des Nachts heimsuchten. Und diese Fähigkeit, diese Kunst hatte er sich erhalten. Die Sünde lauerte dem Menschen bei jedem Schritt auf. Die Gedanken eines Mönches mussten wie eine mit sicheren Mauern geschützte Stadt sein, im Schlaf aber standen die Stadttore offen und die Stadtwächter waren mitsamt den Torschlüsseln verschwunden. Deshalb lernte der junge Baltazar eifrig, mit seinen Träumen zu kämpfen, damit die Versuchungen der Nacht seine Gedanken am Tage nicht vergifteten.

      In der vergangenen Nacht hatte er diese Fähigkeit sehr gebraucht.

      »Hochwürden, diesem Ordensmann habt Ihr doch gestern auf dem Domberg die Beichte abgenommen?«, fragte der Cellerarius Hinricus beunruhigt.

      »Ja, das habe ich«, antwortete Eckell müde.

      »Als ob es also himmlische Vorhersehung gewesen wäre? Tagsüber will er beichten und schon ein paar Stunden später stirbt er durch das Schwert. Als ob er es geahnt hätte?«

      Aber Eckell antwortete nicht. Er sagte Hinricus nicht, dass der Ordensgebietige Clingenstain keinen Grund zur Annahme gehabt hatte, an diesem Abend auf dem Domberg seinen Tod zu finden. Die Heiligen sehen es als die Pflicht eines Priors, junge Mönche von weltlichen Gräueln fernzuhalten. Sie kannten den Tod noch nicht, sie kannten seinen Geruch noch nicht, sie erinnerten sich nicht an den Tod, so wie ein Prior sich erinnerte. Und er, Baltazar Eckell, erinnerte sich an sehr viele verschiedene Tode, er erinnerte sich an ihre Farben, Gerüche, Geräusche ... oh nein, ganz sicher hatte Clingenstain nicht damit gerechnet, dass sein Tod die Farbe hellroten Blutes hatte, das auf einen grauen Steinboden floss, und nach maßlos gezechtem Bier roch.

      »Soll ich dem Infirmarius auftragen, dass er Euch einen Efeuaufguss kocht?«, fragte Hinricus plötzlich besorgt. »Ihr seid blass, Hochwürden.«

      »Ich bin blass, weil mein Blut schon so weiß geworden ist wie mein Haar«, entgegnete der Prior. »Nein, den Infirmarius braucht es nicht. Weißt du, wo Wunbaldus ist?«

      »Vorhin war er in der Braustube und probierte sein kupferfarbenes Bier. Das Bier, welches heute Abend bei den Schwarzhäuptern bewertet wird. Soll ich ihn rufen lassen?«

      »Ja ... oder besser, nein«, murmelte der Prior. »Ich muss nachdenken.« Ich muss mich beruhigen und nachdenken. »Lass bitte mein Schachbrett in Wunbaldus‘ Arbeitsstube bringen und ...« Er verstummte plötzlich. Hinricus wartete geduldig. Der alte Mann atmete schwer, seine Hand ruhte auf dem Buchdeckel und sein Blick war ans Fenster geheftet, als hätte er dort die heilige Katharina erblickt. Von draußen drang Vogelgezwitscher in die heilige Stille des Skriptoriums mit seinen feuchten Wänden. Er spürte, wie ihm sein Gedankengang entglitt und wie Schnee im Frühling schmolz.

      »Schneit es noch, Hinricus?«, fragte der Prior unvermittelt, den Blick immer noch am Fenster, durch das die knospenden Obstbäume des Klosters zu sehen waren.

      »Nein, Hochwürden, es schneit nicht mehr«, antwortete Hinricus leise. Schon zwei Monate schneit es nicht mehr, die Jungfrau Maria sei uns gnädig.

      »Der Schneefall hat also nachgelassen«, flüsterte der Prior. »Das ist gut, Hinricus, gelobt sei der Herr, das ist sehr gut.«

      Kapitel 6

       Melchiors Apotheke 16. Mai, Morgen

      »Das arme Mädchen«, wiederholte Keterlyn, als sie neben ihren Gemahl trat und Gerdrud nachschaute.

      »Alles andere als das, meine Liebe«, sagte Melchior und schmunzelte. »Gerdrud ist vielleicht unglücklich, aber arm ist sie nicht, denn Herr Mertin ist einer der reichsten Männer Revals.«

      »Doch was nutzt dir der Reichtum, wenn du keinen Pfennig davon siehst und jeden Tag die geschwollenen Beine deines kranken Gemahls einreiben musst wie ein Armenpfleger?«, fragte Keterlyn. »Ich kenne Gerdrud schon seit meiner Kindheit, als wir zusammen auf der Wiese vor der Stadt gespielt haben, sie sprudelte nur so vor Lebensfreude, ein so vergnügtes Mädel, aber sieh sie dir jetzt an ...«

      Der Apotheker zuckte die Achseln. »Natürlich haben Gerdruds Eltern nicht so sehr für ihre Tochter gesorgt, dass sie sie einem jungen, tüchtigen Apotheker zur Frau gegeben hätten, aber wenn man den Brautpreis anschaut, den der alte Mertin Gerdruds Eltern gezahlt hat und das, was ich deinen Eltern geben konnte ...«

      »Mein

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