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ihren Spitzen wie herunterhängende Eiszapfen aus.

      Ich bin so sehr von diesem Anblick fasziniert, dass ich gar nicht merke, wie wir vor einer magischen Barriere halten. Dadurch wäre ich beinahe in meinen Vordermann hineingelaufen, doch im letzten Moment komme ich ebenfalls zum Stehen.

      Einer der Soldaten macht einen Schritt nach vorne. »Die Gefangene Ravanea Cahem wird vom Imperator im Speisesaal erwartet.«

      Über die Schulter der Männer blickend, erkenne ich einen Diener, der in ebenfalls grauer Kleidung eine Rune in der Wand betätigt, sodass die Barriere vor unseren Augen verschwindet.

      Dann stimmt es also, dass der Imperator unantastbar ist. Wenn er mehrere solcher Barrieren in seinem Palast errichtet hat, wird nicht einmal der beste Kämpfer an ihn herankommen.

      Er weiß sich gut zu schützen. Doch wovor? Ist die Zahl seiner Feinde in Baltora etwa gewachsen? Aber ist er nicht stark genug, um sich diese vom Hals zu schaffen? Schließlich hat er sich mit der Macht von portes tenebra vereinigt.

      Nach einem weiteren Flur treffen wir endlich auf die Flügeltüren, die in den Speisesaal führen. Obwohl ich bereits einige Gespräche erwartet habe, ist es so unheimlich still, dass es mir einen Schauer über den Rücken jagt. Nur das Klackern der Rüstungen und unsere Schritte hallen durch den riesigen Raum.

      Bevor mein Blick zum Tisch gleitet, erhasche ich das Glasdach, das wie geschliffenes Eis wirkt. Die Wände sind tiefblau und der Boden besteht aus schwarzem Mosaik. Auch wenn es nicht kalt ist, fröstle ich dennoch, da die tristen Farben Einsamkeit und Trostlosigkeit ausstrahlen.

      Der Tisch ist aus weißem Elfenbeinholz und mit blauen Rändern verziert. Eine schwebende Kristallleuchte befindet sich direkt darüber und ähnelt einem gigantischen Edelstein, herausgebrochen aus den Bergen Amateas.

      Mein Blick fällt letztendlich auf die einzige Person, die am Ende des Tisches wie ein Herrscher auf seinem Thron sitzt. Der Mann hat dunkelgraues Haar, seine Haut ist aschfahl und die Augen leuchten rot. Ich bin von dem Antlitz so erschrocken, dass ich mich nicht einmal traue, einen weiteren Schritt zu tun.

      »Guten Abend, Ravanea«, begrüßt mich der Mann mit einer finsteren Stimme, die meine Angst nur noch schürt.

      Ist das etwa …?

      ›Ja, er ist es. Der Imperator‹, bestätigt mir Danev. ›Er besitzt dieselbe Aura, die ich zuvor schon einmal gespürt habe. Sein Körper ist allerdings bereits von portes tenebra zerfressen. In ihm wird wohl nichts Menschliches mehr stecken – wenn überhaupt, dann nur ein winziger Teil.‹

      »Hab keine Angst, setz dich zu mir.«

      Die Wachen räumen mir den Weg frei, sodass ich ungehindert auf den Tisch zugehen kann. Meine Beine bewegen sich jedoch nur zögerlich und ich entscheide mich für den letzten Stuhl des Tisches, weit weg vom Imperator.

      Doch bevor ich mich überhaupt setzen kann, wendet er erneut etwas ein. »Dein Platz ist hier.«

      Er tippt mit der Hand die Lehne eines Stuhles an, der sich direkt neben ihm befindet. Aber so einfach werde ich es ihm nicht machen.

      »Sollte dort nicht Eure Gattin sitzen?«

      Sein Ausdruck offenbart keine einzige Emotion, als wären all seine Muskeln starr. »Sie ist heute Abend nicht zugegen.«

      Wieso? Geht es ihr nicht gut? Hat sie keinen Hunger? Vielleicht ist ihr die Anwesenheit des Imperators genauso zuwider wie mir.

      Da ich mich nicht traue, noch einmal etwas zu entgegnen, gehorche ich und nehme direkt neben dem Imperator Platz. Aus der Nähe erkenne ich unter seiner Haut dunkelgraue Adern, die besonders an seinem Hals und an den Augen hervorstechen. Er sieht aus, als wäre er von einer tödlichen Krankheit befallen oder ein Untoter, dessen Körper von innen heraus fault.

      Ich rücke langsam, so weit es geht, mit dem Stuhl von ihm weg. Je mehr Abstand zwischen uns kommt, desto sicherer fühle ich mich.

      Der Imperator besitzt unter seinen Augen dunkle Schatten und Fältchen, die mir Aufschluss darüber geben, dass er mindestens an die vierzig Jahre alt sein muss. Die roten Augen erinnern mich an Blut.

      »Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich«, beginnt er.

      Mit ihm allein an einem Tisch zu sitzen, fühlt sich wie pure Folter an. Einerseits will ich ihm den Kopf von den Schultern reißen, andererseits hat er Finn und Ravass in der Hand, deren Leben ich nicht so einfach aufs Spiel setzen kann.

      »Ihr habt sie getötet«, knurre ich feindselig. »Genau wie meinen Vater.«

      »Deine Mutter konnte dank Nura wiederbelebt werden«, argumentiert er, als würde das sein Verbrechen wiedergutmachen. »Deinen Vater allerdings habe ich der Bestie zum Fraß vorgeworfen. Sie bevorzugt Menschenfleisch.«

      Die Bestie? Das haben auch die Leute erwähnt, als sie uns auf dem Weg zum Palast rüde Sachen an den Kopf warfen.

      Ich versuche die Vorstellung, wie ein Monster den toten Körper meines Vaters zwischen seinen Zähnen zermalmt, zu verdrängen. Der Gedanke lässt meinen Magen verkrampfen und treibt mir Tränen in die Augen, als wäre ich selbst dabei gewesen.

      Ich darf nicht darüber grübeln, sonst werde ich schneller meinen Verstand verlieren, als mir lieb ist. »Meint Ihr damit etwa Euch?«

      Er wirkt gelangweilt und scheint gar nicht auf meine Beleidigung einzugehen. »Sie ist also nicht bis zu deinen Ohren gedrungen? Vielleicht sollte ich sie dir vorstellen.«

      Mein Herz klopft furchtsam in der Brust. »Nein danke.«

      »Sie wird dir gefallen.«

      Anscheinend habe ich überhaupt keine Wahl, weswegen ich einfach den Mund halte, statt erneut zu widersprechen. »Was habt Ihr mit meinem Bruder und Finnigan gemacht?«

      Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück, der eher wie ein Thron wirkt, und zuckt nur mit den Schultern. »Ich habe sie meinem Sohn zum Spielen gegeben.«

      Erschrocken reiße ich die Augen auf. »Euer Sohn?«

      Der, der Nuras Tafel besitzt? Möglicherweise bin ich doch nicht ganz unnütz hier. Ich könnte bereits in Erfahrung bringen, in welchem Teil seines Körpers sich die Tafel befindet. Sie zu entnehmen, werde ich nicht fähig sein, da dies nur der Erbauer zu tun vermag. Genau aus diesem Grund begab ich mich vor wenigen Wochen auf die Suche nach ihm. Wenigstens ist er in guten Händen.

      Gerade als ich eine Antwort vom Imperator erwarte, ertönen erneut Schritte im Raum und ich wende mich zu der offenen Flügeltür.

      »Guten Abend!«, ruft jemand mit einem schelmischen Grinsen auf den Lippen. Der schlaksige Mann in den schwarzblauen Gewändern tritt auf mich zu und bleibt interessiert vor mir stehen. Durch seine dunklen Haare kommt mir seine blasse Haut beinahe wie Schnee vor. »Das ist also das Kind der Streunerin?«

      Welcher Streunerin? Reden sie etwa über meine Mutter? Der Imperator muss gewusst haben, dass sie adlige Wurzeln hat und damals davongelaufen ist, weil sie es nicht mehr beim Adel aushielt.

      Der dunkle Herrscher nickt. »So ist es. Setz dich bitte, Roan.«

      Er kommt der Bitte seines Vaters nach und nimmt gegenüber von mir auf dem Stuhl Platz. »Wieso speist sie mit uns? Sollte sie nicht unten in den Gewölben Kora unterliegen?«

      Der Imperator greift zu seinem silbernen Weinkelch und nippt zuerst daran, bevor er Roan antwortet. »Ich habe meine Gründe. Stell also bitte diesbezüglich keine Fragen mehr.«

      Roan hat ungeheuren Respekt vor seinem Vater, denn er widerspricht ihm kein einziges Mal. Gut, er könnte von seiner Macht mit portes tenebra wissen und sich eher davor fürchten, dennoch glaube ich, dass der Imperator keine angenehme Person ist, wenn man ihn verärgert.

      Roan wendet sich plötzlich an mich. »Du bist doch mit deinem Streuner-Bruder und diesem Kopfgeldjäger hierhergebracht worden, oder?«

      Eigentlich will ich nicht antworten, weil ich mich viel zu sehr davor fürchte, was er über sie erzählen wird. Der Imperator hat

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