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seinen buschigen Patriarchenbart. Nun, Markus ist wohlgeraten, dachte er. Der Junge kam eben eher nach der Mutter, die mit Anfang fünfzig immer noch schlank und sehnig war. Carl kniff die Augen zusammen. Er musste hart bleiben, Vertraulichkeiten würden alles nur verkomplizieren. Er öffnete die Tür und schob Markus hinaus.

      »Du solltest wieder mal zum Friseur gehen!«, rief er ihm unwirsch nach und wandte sich seinem Terminkalender zu.

      *

      Es regnete. Verena klemmte ihre Mappe fester unter den Arm, während sie mit der anderen Hand ihren Regenmantel vor der Brust zusammenhielt. Nun gut, als Hamburgerin war sie noch ganz andere Wetterkapriolen gewöhnt, sie würde sich von ein paar Regentropfen schon nicht unterkriegen lassen.

      Das war nun die fünfte Galerie, der sie Fotos ihrer Bilder zeigen wollte, und trotzdem hatte sie zwischendurch weder Bus noch Straßenbahn benutzen müssen. Wie nett in dieser schönen Stadt alles beisammen liegt, dachte Verena und schritt durch das Michaelertor Richtung Kohlmarkt. Kaum verließ sie das schützende Gewölbe, als der Regen auch schon wieder auf sie herunter prasselte. Sie überquerte die Straße, wich einem vorbeifahrenden Fiaker aus und lenkte ihre Schritte in die Herrengasse. Nach er Vorsprache in dieser Galerie wollte sie wieder zurück nach Sievering fahren. Ihr Magen knurrte ohnehin schon gewaltig.

      Trotz der Skulpturen in der Auslage wäre Verena beinahe an dem kleinen Schauraum vorbei gegangen. Mit einem leisen Quietschen schob sie die schmale Tür auf, das Bimmeln einer Glocke kündigte ihren Besuch an.

      »Kann ich Ihnen helfen?« Ein älterer Herr mit gestutztem Vollbart hob den Kopf und sah sie so missmutig an, dass Verena am liebsten kehrt gemacht hätte. Mit unsicherer Stimme brachte sie ihr Anliegen vor und ärgerte sich dabei selbst über den missglückten Auftritt. Sie war doch keine Bittstellerin!

      Achtlos blätterte der Galerist indessen ihre Mappe durch. Bis auf ein Grunzen von Zeit zu Zeit kam nichts über seine Lippen.

      »Schön«, sagte er nach einer Weile. »Ich werde nachdenken. Falls ich Interesse an Ihren Arbeiten habe, dann rufe ich Sie an. Darf ich Sie um Ihre Karte bitten?«

      Mit leicht zitternden Händen wies ihn Verena auf ihre hübsche Visitenkarte hin, die vorne an der Bewerbungsmappe steckte.

      »Gut, gut«, sagte der Alte und wandte sich wieder einem Katalog zu. »Ich wünsche einen schönen Tag.«

      »Danke«, stammelte Verena und schon stand sie wieder draußen im Regen.

      Nun aber war es für heute genug. Lilo wartete sicher schon mit dem Mittagessen, und Anna hatte ihr ein typisch wienerisches Menü versprochen.

      Anna und Herr Franz waren die beiden anderen Mitbewohner im Hause Lilo Benedikt. Anna kümmerte sich um den Haushalt und zauberte wunderbare Menüs – leider etwas kalorienhaltig wie die ganze Wiener Küche. Wenn ich weiterhin so gemästet werde, muss ich mir für den Sommer einen neuen Badeanzug kaufen, war Verenas Sorge schon nach wenigen Tagen gewesen. Aber es war ja erst Mai, vielleicht würde sich Annas Begeisterung, mit der sie den deutschen Gast bekochte, bald einmal legen. Oder sie, Verena, würde sich eben beim Essen zurück halten müssen. Wenn es nur nicht so gut schmecken würde! Anna selbst war eine rundliche Mittvierzigerin mit rot gefärbten Haaren. Rot war anscheinend ihre Lieblingsfarbe, immer trug sie mindestens ein Kleidungsstück in dieser Farbe, auf jeden Fall aber knallrote Converse-Schuhe, mit denen sie von früh bis spät durch das Haus lief. Verena hatte sich mit ihr von Anfang an gut verstanden.

      Eine Sympathie, die sich beim zweiten Mitbewohner der Villa Benedikt ebenfalls von selbst einstellte: Herr Franz war ein alter, leicht übergewichtiger Mops. Gleich am ersten Tag ihrer Ankunft war er nicht mehr von Verenas Seite gewichen und ließ sich unentwegt das cognacfarbene Fell kraulen.

      Sie alle warteten auch heute sicher schon auf sie. Verena lächelte. Noch keine Woche war seit ihrer Ankunft vergangen, und sie fühlte sich schon völlig zu Hause.

      *

      »Meinen Schatz.« So bezeichnete Lilo Benedikt jene Truhen voller Fotos, Textbücher, Zeitungsausschnitte und Programmhefte, die sie in der kleinen Kammer neben dem Salon hortete. Die alte Schauspielerin führte ihren jungen Gast durch das leicht angestaubte Zimmer, das ihre ganze Vergangenheit barg. Ob als Julia, Desdemona oder später als Mutter Courage, Lilo Benedikt war weit über die österreichischen Grenzen für ihr kompromissloses Schauspiel gelobt worden. Die Preise und Auszeichnungen schmückten den ganzen Raum. Allein, Lilo Benedikt betrat dieses Zimmer so gut wie nie. Das sollte sich nun aber mit Verenas Hilfe ändern.

      »Manchmal ist Zeit für Chaos, dann wieder ist Zeit, aufzuräumen«, verkündete Lilo jetzt und goss sich aus der schnörkeligen Porzellankanne eine weitere Tasse Kaffee ein. »Und es wäre nett, Verena, wenn du mir dabei helfen könntest.«

      Sie ließ ihre Augen durch den Salon schweifen. Der Raum war voller Antiquitäten und mit Einzelstücken aus dunklem Holz möbliert. Zwischen den Fensterflügeln, die sich in den verwilderten Garten öffneten, stand ein mit Intarsien geschmückter Schreibtisch, in der Ecke ein verziertes Tischchen und neben einer Ottomane mit dunkelrotem Rosenmuster erhob sich eine Lampe in Form einer nackten Frauengestalt hoch in den Raum. An Novembertagen war es hier wahrscheinlich düster, aber inzwischen hatte eine warme Nachmittagssonne den Regen abgelöst und brachte die Blattgoldverzierungen der Decke zum Glitzern.

      Lilo sah das Ganze weniger romantisch.

      »Hier sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. Aber das ist meine Schuld, ich sage Anna immer, sie braucht in diesem Raum nicht zu putzen. Jetzt haben wir den Salat!« Bevor sie selbst anfangen konnte herumzuwischen, schnappte Verena nach dem Staubtuch. »Lass nur, ich mach’ das schon!«

      Und dann kniete sie sich vor die erste Kommode und öffnete eine der geschnitzten Laden. Mindestens so wertvoll wie deren Inhalt schienen die Möbel selbst zu sein. Verena konnte sich gar nicht satt sehen! Lilo erklärte ihr die Namen und Herkunft der einzelnen Stücke. »Dies ist eine Chiffoniére von Bäumler aus dem frühen 19. Jahrhundert. Sie passt sehr gut zu dem Nähtisch in meinem Schlafzimmer, auch von Bäumler, das ist der ehemalige kaiserliche Hoftischler. Du erkennst seine Arbeiten an dem eingelegten B an der Unterseite.«

      Verena drehte einen Stuhl um und betrachtete den verschnörkelten Buchstaben aus Silber.

      Derweil plauderte Lilo weiter: »Ich habe mich immer schon für Antiquitäten interessiert und denke, das war keine schlechte Investition. Na ja, und jetzt bin ich selber eine Antiquität und habe nicht genug Platz für meine schönen Möbel.« Sie lachte. »Vielleicht magst du dir das eine oder andere Stück mit in die Mansarde hinauf nehmen?«

      Ehrfürchtig nickte Verena.

      »Das wäre großartig. Ich muss nur aufpassen, die wertvollen Möb­el nicht mit Farbe zu bekleckern.«

      »So wild malst du also?«, lachte Lilo.

      »Manchmal. Das hängt ganz von meiner Stimmung ab. Zur Zeit male ich eher Aquarelle in Pastelle«, erklärte Verena mit leiser Stimme.

      »Ich verstehe. Das ist der Vorteil von euch Malern. Als Schauspielerin musste ich mich den Gefühlen meiner Figuren unterordnen, und das war nicht immer einfach. Vor allem, wenn ich Liebeskummer hatte. Zum Glück haben die meisten klassischen Frauengestalten ein tragisches Schicksal. Da kann man sich dann so richtig gehen lassen, wenn man den Ehemann gerade mit seiner Kollegin im Bett erwischt hat!« Sogar nach so vielen Jahren musste Lilo in der Erinnerung an diesen traurigen Augenblick seufzen. »Du siehst«, sagte sie schließlich, »Zeit heilt nicht alle Wunden. Manches trägst du immer mit dir herum. Aber wenn du daraus lernst, dann hat auch das Schlimme im Leben seinen Zweck erfüllt. Wenn du nicht daraus lernst, ist Kummer doppelt un­nötig.«

      Ja, da war was dran. »Haben … hast du dich danach noch einmal verliebt?«, fragte Verena, die vor Ehrfurcht beinahe wieder in das förmliche Sie gefallen wäre.

      »Ach Gott, Schätzchen, oft und öfter. So richtig weh tut es ja nur das eine Mal, nicht wahr. Aber das alles ist schon so lange her, dass ich es kaum glauben kann. Und jetzt gehe ich fast nicht mehr aus dem Haus, da kann ich wohl auch keinen Mann mehr finden. Denkst du, ich sollte es mit einem Inserat

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