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betrogene Mädel.

      Na, sie würde schon dafür sorgen, dass die kleine Grübchen, die an den Wangen der Kleinen nur schwach zu erahnen waren, wieder zum Vorschein kämen! Lilo lächelte entschlossen und warf einen kurzen Kontrollblick in das Spiegelbild der Fensterscheibe. Ihre weißen Löckchen kringelten sich perfekt und harmonierten mit den langen Perlengehängen an ihren Ohren. Mochte ihr Gesicht inzwischen auch faltig geworden sein – die strahlenden Augen blitzten noch immer wie bei einem jungen Mädchen.

      »Guten Tag, Frau Benedikt!« Verena streckte der alten Dame die Hand entgegen, die auch gleich mit festem Griff gepackt wurde.

      »Jetzt komm einmal herein, Mädl! Und nix da mit Gnä’ Frau oder solchen Spompanadeln. Ich bin die Lilo. Und sag bitte Du zu mir. Sonst komm’ ich mir ja noch älter vor, als ich eh schon bin! Außerdem bin ich die beste Freundin deiner Oma. Wie geht es ihr denn, meiner lieben Grete?«

      »Ach, danke der Nachfrage. Sie leidet halt sehr an der Arthritis. Aber im Kopf ist sie fit wie eh und je!«

      »Na, das ist doch die Hauptsache. Dass es ständig irgendwo zwickt, ist in unserem Alter ganz normal. Ich sag immer: wer nicht alt werden will, muss jung sterben. So, und jetzt willst wahrscheinlich erst einmal deine Sachen auspacken und dich unter die Dusche stellen. Dein Zimmer ist oben, aber sei mir nicht bös, wenn ich dich nicht rauf begleite. Meine Haxen sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.«

      Die alte Dame zeigte mit einem bunt beringten Finger zur Treppe. »Und wenn du nachher fertig bist mit dem Eingewöhnen, dann freu ich mich auf deine Gesellschaft. Wenn du Hilfe brauchst, meine Perle Anna ist in der Küche.«

      »Danke«, murmelte Verena, und sie konnte nicht verhindern, dass bei so viel Herzenswärme Tränen in ihre Augen stiegen.

      »Na, na, na!«, sagte die Ältere und tätschelte ihr den Rücken. »Mach dich nur erst einmal frisch. Ich warte hier unten. Und keine Angst: ich renn dir nicht weg!« Und dann lachte sie schallend, wobei ihre Stimme in ein Krächzen überging.

      Wie ein freundlicher Papagei, dachte Verena und musste im Stillen lachen. Ja, der Vergleich passte gut zu der Gestalt in dem smaragdgrünen fließenden Kleid, mit den hochgesteckten weißen Haarlöckchen und den knallrot lackierten Fingernägeln.

      Atemberaubend! Ja, anders konnte man es nicht ausdrücken. Große Fenster gaben den Blick auf die Hügellandschaft und die kleinen Berge des Wienerwaldes frei – auf der einen Seite. Auf der anderen Seite lag Wien mit seinen vielen Kirchtürmen und Kuppeln wie ein glitzerndes Meer in Braun- und Rottönen. Dazwischen leuchtete das Grün der Frühlingsbäume in den unzähligen Parks und Grünflächen.

      Das Mansardenzimmer war nicht besonders groß, aber wunderbar hell. Es war die perfekte Wohnung für eine junge Malerin. Und genau das wollte Verena ja auch werden, nachdem sie ihren Traum so viele Jahre vor sich hergeschoben hatte. Nein, falsch: Sie hatte ihn Bernds Wünschen untergeordnet. Seiner Idee, eine eigene Firma zu gründen und natürlich hatte sie seine Freundin, hinter ihm gestanden und ihm den Rücken freigehalten.

      Für Bernd, als Sohn eines Fernsehproduzenten, war es eine abgemachte Sache, ebenfalls in das Medien-Business einzusteigen. Er gründete ein kleines Magazin für Promi-Klatschgeschichten. Verena, die ihn ihr Leben lang kannte – und die Hälfte dieser Zeit in ihn verliebt gewesen war – unterstützte ihn, wo sie nur konnte. Sie war die gute Fee im Hintergrund, immer zur Stelle, wo sie gebraucht wurde. Auch seine Familie erkannte ihr Potential, und so wurde aus der Kunststudentin eine weitere Hilfskraft im Haushalt der Grünbachs. Verena Königshofer bekam eine Anstellung als Privatsekretärin und ein kleines Gehalt. Sie war gut zu gebrauchen gewesen, vor allem, als es Ärger mit Bernds drogensüchtigem Bruder gab. Wer war nachts losgezogen und hatte den Jungen schließlich am Hafen aufgestöbert? Wer hatte Bernds kapriziöse Mutter nach ihrem Skiunfall bedient und gepflegt, sechs Wochen lang – und dafür den ganzen Jahresurlaub geopfert? Wer hatte nie ein Dankeswort für all das bekommen? Wer hatte die ganze Buchhaltung der Firma bewältigt, während sich der coole Chef mit seinen Geschäftsfreunden in Bars vergnügte? Wer hatte sein Kunststudium geschmissen und Bernds ewigen Beteuerungen: »Nächstes Jahr heiraten wir, und dann kriegst du dein Baby!«, geglaubt, Jahr für Jahr? Wer hatte schließlich aus dem Radio erfahren, dass Bernd sich mit Elke verlobt hatte, der Moderatorin des ange­sagtesten Popsenders der Stadt?

      Was für eine dumme Nuss war sie gewesen! Idiotin! Am liebsten hätte Verena sich selbst ins Gesicht geschlagen.

      Sie seufzte und warf einen Blick in den Spiegel. »Aber ich stehe immer noch da«, sagte sie und straffte ihre Schultern. »Und ich werde endlich tun, was ich selbst will. Ich werde malen und meine Freiheit genießen.«

      Dann machte sie sich daran, ihren Koffer auszupacken.

      *

      Die Mittagssonne malte helle Flecken auf die weiße Bürowand im zweiten Stock des Palais Bäumler. Automatisch hielt Carl Graf von Bäumler nach einem Angestellten Ausschau, den er beauftragen konnte, die Jalousien herunter zu lassen. Da aber außer ihm nur sein Sohn Markus anwesend war, erhob sich der hünenhafte Mann schließlich selbst aus seinem ledernen Schreibtischsessel. Bevor er die Sonne verbannte, warf er noch einen flüchtigen Blick auf die Stadt zu seinen Füßen. So modern und auch wieder so altmodisch, dachte er. Als Oberhaupt der Kaiserlich-Königlichen Hoftischlerei Bäumler vertrat Graf Bäumler immer noch die traditionelle Seite und war damit auch lange Zeit erfolgreich gewesen. Nun aber kämpfte die Firma schon seit einigen Monaten um lukrative Aufträge. Die gewöhnlichen Leute kauften ihre Wohnungseinrichtungen lieber in schicken Möbelhäusern und schraubten die Kästen dann selbst zusammen. Er seufzte, fuhr sich mit der Hand durch das silbergraue Haar mit dem akkuraten Kurzhaarschnitt. Schließlich ließ er die Jalousien selbst herunter.

      »Wir haben ein Problem«, wandte er sich nun an seinen Sohn. »Einerseits heißt es, modern zu sein und am Puls der Zeit zu bleiben, andererseits müssen wir uns auf unsere alten Werte stützen. Und dafür benötige ich deine Hilfe. Ich will, dass du so bald wie möglich die kleine Rütter heiratest: Gute alte Familie, viel Geld. Und ihr beiden mögt euch ja auch.«

      »Eigentlich Paps«, antwortete Graf Markus und straffte seine Schultern, »möchte ich was ganz Anderes. Nichts gegen Sonja Rütter! Aber gleich heiraten … Soll ich dir sagen, was ich wirklich will? Ich möchte in der Werkstatt arbeiten, schließlich bin ich doch auch ausgebildeter Tischlermeister! Die Arbeit mit dem Holz erfüllt mich. Ich möchte dir gern einmal meine Entwürfe zeigen.«

      Graf Carl schüttelte unwirsch den Kopf und ließ seinen behäbigen Körper zurück in den Stuhl fallen. Was hatte er nur falsch gemacht mit diesem Jungen? Da stand sein dreißigjähriger Sohn mit leuchtenden braunen Augen und seiner wirren Bubenfrisur und redete von Holz. Markus, der seinen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaft mit Auszeichnung erlangt hatte, wollte lieber Bettpfosten schnitzen! Im Grunde seines Herzens konnte der alte Graf das sogar nachempfinden, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für väterliche Nachsicht. Jetzt musste er seinem Sohn deutlich machen, dass der Fortbestand der K & K-Hoftischlerei Bäumler einzig davon abhing, dass der Junge mit einer guten Ehe für frisches Blut und vor allem für frisches Kapital sorgte.

      »Du weißt, dass ich mich nicht auf deine Schwester Gabriela verlassen kann. Als Marketingchefin ist sie unschlagbar, aber sie ist nicht wirklich loyal. Sie würde, fürchte ich, dasselbe auch für jede andere Firma tun, die sie gut bezahlt. Es liegt an dir, Markus. Du bist der Erbe der Firma und der Erbe unseres Titels. Tischlern kannst du hobbymäßig, wenn du einmal alt bist.«

      »Ich habe dir doch von dem Emir aus Fudschaira erzählt, der sich für meine Arbeiten interessiert. Das könnte ein Riesen-Auftrag werden, Paps! Da geht es um einen ganzen Palast!«, beharrte der junge Mann auf seinem Argument.

      Wie er ihn anblickte! Wie damals, als er um das Rennrad gebettelt hatte. Wie lang war’s her? Aber nein, er durfte nicht sentimental werden, wo so viel auf dem Spiel stand. Es ging um die Firma, die schon seit mehr als dreihundert Jahren in Familienbesitz war. Die Firma war wichtiger als der treuherzige Blick dieses Jungen.

      »Hirngespinste!«, sagte Carl Graf von Bäumler deshalb brüsk und erhob sich ächzend. Er blickte auf seine Uhr und das hieß soviel wie: Raus hier!

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