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kurze Pause, verlässt seinen Posten und wärmt sich am trägen Ofen am anderen Ende der Halle auf.

      Später werde ich mehr über Pressurots Leben erfahren. Nachdem er mit einundzwanzig Jahren das Waisenhaus verlassen hat, arbeitet er in allen möglichen Berufen und macht sich dabei seine Kraft zunutze: Tagsüber schuftet er, nachts lässt er es krachen: Er verspielt seine Kohle und feiert die Nächte durch. Dann, eines Tages, heiratet er, schlecht. Seine Frau ist hart mit ihm, wird krank, Tuberkulose. Also arbeitet er, was er kann, um sie zu retten. Er wäscht Kies an den Ufern der Loire: Man schaufelt ein Sand-Kies-Gemisch auf ein großes Sieb, der Sand fällt durch, der Kies bleibt übrig. Es ist eine Arbeit, die man im Sommer macht, wenn die Loire Niedrigwasser hat. Pressurot beginnt um drei Uhr morgens, er hat eine riesige Schaufel. Den ganzen Tag wirft er seine Schaufelladungen auf das Sieb, sogar in der größten Mittagshitze. Um sieben Uhr abends hört er auf.

      Das hindert seine Frau nicht daran, zu sterben. Jetzt lässt er so richtig die Sau raus. Sobald er ein bisschen Geld hat, verprasst er es auf Sauftouren, von denen man in Muides noch fünfzehn Jahre später spricht.

      Zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau heiratet er die Tochter eines Holzhändlers. Obwohl der Alte mit der Heirat nicht einverstanden ist, baut er für Pressurot die kleine Kistenfabrik auf, in der wir nun arbeiten.

      Aber Pressurot hat nicht genug Kapital, um richtig loszulegen, noch dazu hat er seine Saufgewohnheiten beibehalten. Trotzdem schlägt er sich wie ein Löwe. Er stellt einen Arbeiter an, Bibi, und zu zweit hauen sie rein. Pressurot arbeitet Tag und Nacht, er sägt sein Holz eigenhändig an einer großen Kreissäge von einem Meter zehn Durchmesser. Da er nichts vom Handwerk versteht, montiert er seine Säge schlecht, was die Arbeit gefährlich macht. Er ist der Einzige, der es wagt, sich ihr zu nähern. Sogar Bibi, der immerhin schon zuvor in einem Sägewerk gearbeitet hat, hat Schiss.

      Als es ihm am Anfang nicht gelingt, sie zum Laufen zu bringen, heult er vor Frust. Eines Tages wird er mir sagen: »Bei unserem Hochzeitsessen war die ganze Familie meiner Frau da, die ganzen fetten Holzhändler und Sägewerksbesitzer. Alle haben über ihre Abholzmenge, ihr Werk, ihr Kapital geredet. Ich habe nichts gesagt. Meine Schaufel war im Keller, das Einzige, was ich bei mir hatte, war das Klappmesser meiner Hosentasche. Deswegen will ich diesen Sauhunden beweisen, dass ich meine Frau ernähren kann.«

      Er schuftet so unermüdlich, dass er sich schließlich eine Blockbandsäge anschaffen kann. Allerdings begeht er den Fehler, die Säge seinem Schwager abzukaufen, und der ist ein Mistkerl. Die Maschine ist unter aller Sau und hat so gut wie gar keine Leistung: Es ist dieselbe, die ich bei ihm gesehen habe und an der auch ich später gearbeitet habe.

      Trotz alledem, trotz dieser Scheißsäge, die mir so viel Ärger gemacht hat, schafft er es, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Dieser Typ ist nicht kleinzukriegen. Er ist eine Naturgewalt. Er arbeitet ohne Methode, aber wenn es um Arbeit geht, kennt er nichts. Er schiebt sein Holz wie ein Wahnsinniger in die Säge. Bibi dagegen ist ein Mistkerl und völlig unfähig. Die ersten Unfälle passieren: Pressurot sägt sich zweimal in die Hände, und Bibi reißt sich bei einem dummen Unfall die Backe auf.

      Trotz aller Rückschläge: Als ich zu Pressurot komme, arbeiten zehn Arbeiter im Werk, außerdem gibt es die Blockbandsäge, eine Abrichte mit Taumelsägen und eine Kreissäge. Als das Werk schließt, gibt es noch eine zweite Abrichte und eine Fräse.

      Unglücklicherweise kann Pressurot nicht gut mit seinem Geld umgehen. Er geht immer wieder auf Sauftouren, außerdem lässt er sich beim Holzeinkauf übers Ohr hauen, macht krumme Geschäfte und verliert große Summen. Und hier liegt das Problem: Um sein Holz und seine Arbeiter bezahlen zu können, muss er überall Geld zusammenkratzen. Und irgendwann ist es kein Zusammenkratzen mehr, sondern eine einzige Gaunerei.

      Die Art und Weise, wie er die Arbeit organisiert, ist widerlich. Die Kistenbauer werden pro Stück bezahlt: Je mehr sie zusammenbauen, desto mehr verdienen sie. Doch damit sie ohne Unterbrechung arbeiten können, müssen die Männer, die das Holz zuschneiden und die ihrerseits pro Stunde bezahlt werden, genug liefern.

      Nun ist es aber so, dass diese Kerle an Maschinen stehen, an denen Pressurot aus Gründen sogenannter Wirtschaftlichkeit nicht die notwendigen Sicherheitsvorrichtungen hat anbringen lassen.

      Mit vollem Tempo an einer solchen Maschine zu arbeiten bedeutet, früher oder später einen Finger zu verlieren (oder noch mehr). Es ist dieses verdammte System, das für die widerliche Stimmung im Werk sorgt.

      Zwei Gruppen: die Leute, die pro Stunde bezahlt und von denjenigen angetrieben werden, die pro Stück Lohn erhalten. Jeder ist der Meinung, im besten Recht zu sein: Die Kistenbauer wollen ihr Brot verdienen und sind neidisch auf die Typen, die jede Stunde automatisch siebzig Francs bekommen. Die Stundenlohnfraktion hasst diejenigen, die pro Stück bezahlt werden und deretwegen sie sich an den gefährlichen Maschinen abmühen und herumärgern müssen.

      Die große Bandsäge, an der sich Gauthier abrackert, liefert ständig. Der ganze Schlamassel beginnt an der Kreissäge, an der die Bretter auf die richtige Größe zum Zusammenbauen zugesägt werden. Vom Typen an der Kreissäge hängt die Arbeit der Kistenbauer ab, er ist am Drücker. Wenn er nichts liefert, können wir nicht mehr arbeiten, müssen dauernd warten, schaffen immer weniger, was sich auf die Bezahlung auswirkt, und dann verdienen wir nicht genug zum Leben.

      Der Gipfel der Katastrophe: Der Typ an der Kreissäge ist Bibi, und Bibi ist ein Arschloch.

      Natürlich hat er immer ein Auge darauf, dass seine Tochter genug Bretter in der richtigen Größe hat, damit sie ohne Unterbrechung arbeiten kann. Wir dagegen sind ihm völlig egal. Außerdem ist er zwar ein geschickter Arbeiter, aber ziemlich faul. »Bibi, es fehlen Vierer (Brettchen von vier Zentimetern).« Er dreht sich langsam zu mir. »Was soll ich machen?« »Säg’ welche!« »In einer Viertelstunde kann ich sehen, was sich machen lässt.«

      Das ist heute das vierte Mal, dass er sich mir gegenüber so etwas erlaubt. Ich balle die Fäuste: Mein Tag ist gelaufen. Er blickt mich mit einem falschen, zahnlosen Grinsen an: Ich kann nichts dagegen tun, das ist im Moment Tatsache. Doch ich schwöre mir, dass ich ihn irgendwann drankriegen werde. Später wird es mir übrigens gelingen, und zwar auf ziemlich hässliche Art. So bin ich nach und nach zu einem boshaften Menschen geworden.

      Übrigens kann ihn auch ansonsten niemand leiden. Weder die Arbeiter noch Pressurot – vor allem nicht Pressurot. Er muss einmal eine große Dummheit vor Bibi begangen haben (niemand hat je herausgefunden, welche). Deswegen gibt Bibi vor allen anderen damit an, dass Pressurot ihm gar nichts zu sagen hat, und deswegen traut sich Pressurot nicht, ihn hinauszuwerfen. Bibi ist ein meisterhafter Erpresser. So sieht es aus, auf der Arbeit.

      Ich erfahre von diesen Geschichten im Laufe der Zeit, und sie machen mich krank vor Traurigkeit und Ekel.

      Durch die Kälte wird die Arbeit so mühsam, dass Pressurot sogar kurz daran denkt, das Werk stillzulegen. Doch das wäre für ihn ein großer Verlust. Daher quälen wir uns tagelang im Eisnebel, der durch jede Ritze dieser Bruchbude kriecht. Das Holz gefriert und splittert, sobald ein Nagel eingeschlagen wird, die Säge schreit und windet sich bei jedem Angriff.

      Mittlerweile schaffe ich zwischen fünfunddreißig und vierzig Kisten pro Tag, aber am 24. Dezember ist es so kalt, dass ich nur neunzehn fertigbringe. Ich hüpfe auf der Stelle, um mich aufzuwärmen. Pressurot entscheidet, dass wir, sollte es am 26. Dezember weiterhin so kalt sein, erst bei wärmeren Temperaturen weiterarbeiten.

      Wäre ich gläubig, würde ich beten, dass es weiterhin so kalt bleibt. Leider wird es am 25. Dezember milder. Ein trauriges Fest, das wir gemeinsam mit der Familie Sorieul feiern.

      Am Montag, den 26. gehe ich wieder zur Arbeit, mit einer dumpfen Lust, alles und jeden zum Teufel zu jagen. Das Leben geht weiter. Mitten im Winter fahre ich bei jedem Wetter zu einer Arbeit, die mir alle Hoffnung nimmt, meine Kollegen sind ein Haufen von Idioten und Arschlöchern. Zumindest haben sie einen gewissen Respekt vor mir. Erstens, weil ich Pressurot zwei- oder dreimal ziemlich angeschnauzt habe.

      Zweitens, weil ich ein paarmal bei schwereren Arbeiten ausgeholfen habe und dabei eine Kraft an den Tag gelegt habe, die die anderen anscheinend beeindruckt hat. Unter den erstaunten

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