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aWay. Nic Jordan
Читать онлайн.Название aWay
Год выпуска 0
isbn 9783958893757
Автор произведения Nic Jordan
Жанр Книги о Путешествиях
Издательство Bookwire
Die Realität des englischen Wetters riss mich mit peitschenden Regentropfen gegen mein Fenster aus meiner Traumwelt. Ich ging rüber zum Wasserhahn und füllte mein Glas auf. Das Leitungswasser in London schmeckte übrigens nach Schwimmbad, was gerade nicht relevant war, aber mir in dem Moment wieder auffiel, weil ich beim ersten Schluck mein Gesicht verzog. Während ich da am Waschbecken herumstand, kehrte der Gedanke, nach Australien zu trampen, wie ein penetrantes Echo in meinen Kopf zurück und zwängte meiner Fantasie die ersten Bilder auf. Ich musste schmunzeln, und mein Blick wanderte zum Fenster. Man konnte vor lauter Regen kaum noch etwas sehen.
Mit einem klirrenden Geräusch stellte ich das halb volle Glas Wasser ab und ging wie hypnotisiert zurück zum Bildschirm, auf dem mir immer noch die Weltkarte farbig entgegenleuchtete, setzte mich davor und fing an, jeden Ort zu vergrößern, an den ich theoretisch gerne reisen wollte. Ich musste mir nun Gedanken machen, ob es in der Praxis überhaupt möglich war.
Meine erste Wahl fiel auf Skandinavien, doch den Gedanken verwarf ich beinah direkt wieder, als mir bewusst wurde, dass ich da wohl im Winter wäre, und im Winter war es da verdammt kalt und dunkel. Weiter südlich wäre die Überquerung in Richtung Asien allerdings wesentlich gefährlicher und auch schwerer. In diesem Moment stellte ich fest, dass ich bereits dabei war, meine total irre Idee in die Realität umzusetzen …
»Wieso eigentlich nicht«, nuschelte ich vor mich hin, während mein Cursor wieder nach Skandinavien flitzte. Eben hatte ich mir noch vorgenommen, Ängste zu überwinden und mich Herausforderungen zu stellen, um zu wachsen, und nun wollte ich Skandinavien nicht besuchen, weil es da kalt war? Nein, ich würde durch Skandinavien reisen und dann durch Russland, was bedeutete … Schluck. Sibirien! Was wusste ich schon über Sibirien? Wer ging denn schon mal einfach so nach Sibirien? Was konnte man in Sibirien überhaupt machen? Und vor allem: Fuhr da jemand Auto?
Das verrückte Schmunzeln von vorhin machte sich wieder auf meinen Lippen bemerkbar. ›Ich! Ich werde nach Sibirien gehen!‹, beschloss ich in diesem Moment. Ich stellte mir vor, wie sich die Kälte dort anfühlte und wie lang die Mauer in China wohl ist, wie es wäre, im Indischen Ozean zu schwimmen, und wie still es in finnischen Wäldern werden kann. Ich malte mir aus, wie ich in Moskau auf dem Roten Platz stehe und mich die ganzen prachtvollen Gebäude klitzeklein aussehen lassen. Ich konnte fast schon den Fahrtwind spüren, wenn ich in Bali mit dem Fahrrad zwischen Reisfeldern herumdüse, am besten mit einem Strohhut auf dem Kopf auf der Suche nach frischen Früchten, die von lächelnden Menschen am Straßenrand verkauft werden. Meine Fantasie arbeitete gerade auf Hochtouren. Jedes dieser Bilder fühlte sich klar und echt an, fast so, als hätte ich diese Reise schon einmal gemacht.
Ich traf die Entscheidung schnell und tatsächlich unüberlegt, wusste aber in dieser Sekunde des Leichtsinns auch, dass mich kaum etwas noch davon abhalten konnte. Ich würde auf die andere Seite der Welt reisen, einmal per Anhalter nach Australien.
Ich ging nach oben und lief in meinem knapp zehn Quadratmeter großen Zimmer auf und ab. Der Blick aus dem Fenster ließ mich wie immer die Stirn runzeln. Ein Meer aus Grautönen!
Der penetrante Regen hatte mittlerweile eine Pause eingelegt. Die Wolken zogen schnell vorbei, und dahinter kamen nur noch mehr graue Wolken zum Vorschein. Vor den Häusern auf der gegenüberliegenden Seite beobachtete ich, wie die Bäume in den Londoner Mini-Vorgärten sich fast schon lustlos im Wind bewegten.
Weder Winter noch Frühling, das spiegelte auch meinen Gemütszustand perfekt wider. Ich hatte beinah vergessen, dass ich quasi etwas zu feiern hatte. Das Grau da draußen konnte mich heute nicht beeindrucken und auch nicht meine Stimmung töten. Ganz im Gegenteil, je mehr Grau meine Augen erblickten, desto farbiger wurde meine Gedankenwelt. Aus dunkelgrauen Häuserwänden zauberte meine Vorfreude saftig grüne Reisfelder. Und aus der nass-grauen Straße einen bunt bepflasterten Pfad in einer schönen, unbekannten Altstadt.
Begeisterung und Aufregung flossen wie eine Droge durch meine Venen, und alles um mich herum wurde von neuem Licht geflutet. Und siehe da, ich hatte ein Lächeln auf den Lippen! Ein echtes Lächeln! Ich hatte fast schon vergessen, wie es sich anfühlte, wenn mein Gesicht sich vor Freude verzog. Es war das erste Mal seit Langem … ein Licht am Ende des Tunnels. Des verdammt langen Tunnels!
Ich hielt es für eine gute Idee, mein Vorhaben so vielen Leuten zu erzählen wie möglich. Damit wollte ich bewirken, dass es unmöglich wäre, einen Rückzieher zu machen. Ich wollte auf Nummer sicher gehen. Wer wusste schon, wie weit ich letztendlich kommen würde? Aber das war auch nicht wichtig. Es wäre fast ein Wunder, wenn ich das überlebte und tatsächlich in Australien ankäme. Aber eines wusste ich mit Sicherheit: dass jeder Kilometer es wert wäre und mich mit Erinnerungen füllen würde, die die letzten farblosen Monate auch tatsächlich verblassen lassen könnten.
Ich riss meine klemmende Zimmertür mit einem lauten Quietschen auf, schlüpfte in meine Stiefel und ging nach draußen. Aufregung pochte durch meinen Köper und brachte mich in Bewegung. Mein Spaziergang führte mich durch zahlreiche kleine, mit dreckigen Pfützen übersäte Straßen in Camden. Zwar merkte ich, wie ich vorankam, aber ich war in einer anderen Welt versunken, irgendwo tief in der neu entdeckten bunten Welt in meinem Kopf. Ein Auto hupte mich beim Überqueren einer Straße an, beinah hätte es mich wegen meiner Tagträumerei überfahren. Viel Kraft für Negativität hatte ich nicht, also lachte ich dem Fahrer einfach ins Gesicht. Auch ein Radler war kurz davor, mich in einer Seitenstraße umzufahren, und auch er bekam nur ein müdes Lächeln als Antwort auf: »For fuck’s sake, watch the road and don’t fucking daydream, mate.« Beinah belog ich mich vor Glücksgefühlen selbst und dachte: ›Ach, ich werde diese Briten vermissen.‹ Kopfschüttelnd versuchte ich den Gedanken wieder loszuwerden.
Stattdessen wollte ich über all die anderen wichtigen Dinge nachdenken, zum Beispiel wo ich das Visum für China herbekam? Wann musste ich was beantragen? Passte alles, was ich brauchte, in meinen Rucksack? Wie kalt war es an den meisten Orten tatsächlich? Ich trabte die Gassen entlang, und nicht mal meine mittlerweile nassen Socken störten mich.
Eine Graffiti-überzogene Wand nach der anderen zog an mir vorbei. Von Amy Winehouse über die Beatles bis hin zu Che Guevara waren allerlei Motive hundertfach und in allen Farben mühsam auf die Hauswände gesprüht worden.
›Einen Drink, ich brauche einen Drink‹, dachte ich und steuerte zu dem veganen Café, in dem ich einst gearbeitet hatte. Mit Sicherheit würde ich hier auf jemanden treffen, dem ich von meinem verrückten Vorhaben erzählen konnte.
Mein ehemaliger Boss Christian stand, wie erwartet, an der Theke und musterte mich misstrauisch: »You look different! What is it? Hmm, let me see. You look kinda happy today.«
Ich lächelte und fühlte, wie meine Augen strahlten. Christians Aussage machte mir gute Laune, weil er bemerkt hatte, dass ich etwas Großes plante. Eine Idee muss bei ihrer Geburt so viel Energie ausstrahlen wie eine werdende Mutter. Man weiß nicht genau, was anders ist, aber man fühlt eine gewisse Veränderung, die unerklärlich scheint. Es platzte aus mir heraus: »I will leave London soon. I am going to hitchhike to Australia.« Triumphierend plusterte ich mich auf wie ein Gockelhahn.
Doch das erwartete Staunen blieb aus. Christian sah mich einen kurzen Moment reaktionslos an und lachte nur kurz auf. »Why does it not surprise me coming from you? So when are you leaving?«
Seine Gelassenheit verdutzte und nervte mich zugleich. Wieso fiel er nicht aus allen Wolken? Warum war er nicht total aus dem Häuschen? Er gab mir das Gefühl, entweder nicht ernst genommen zu werden oder sogar, dass meine Idee nicht ganz so verrückt und außergewöhnlich war, wie sie für mich schien. Mit einem leicht unterdrückten eingeschnappten Unterton berichtete ich weiter: »Well, I will save some money in the next six months and leave. I mean like for real. I will hitchhike once across the globe and maybe I will not survive this crazy adventure.« Damit hatte ich klar genug dargelegt, wie ernst ich es meinte, und mir offiziell ein Zeitlimit gesetzt, das ich wohl einhalten musste. Sechs Monate also!
Christian brachte mich zum Nachdenken, als er fragte, ob ich denn in sechs Monaten genug Geld ansparen könnte und wie ich es denn mit den Visa machen würde. Gute Fragen, zugegeben, mit denen