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aWay. Nic Jordan
Читать онлайн.Название aWay
Год выпуска 0
isbn 9783958893757
Автор произведения Nic Jordan
Жанр Книги о Путешествиях
Издательство Bookwire
Nach einem Jahr, in dem ich zum ersten Mal verstanden hatte, was ›Depression‹ bedeutete, hatte ich das Verlangen nach Freiheit und nicht nach Flucht. Geflohen war ich schon mehrmals, und bis auf eine kurzfristige Veränderung meiner äußeren Welt hatte sich sonst nie viel getan. Diesmal wollte ich nicht mehr weglaufen und fliehen, nein, diesmal wollte ich auf die Suche gehen. Auf die Suche nach was? Hmm, da war ich mir noch nicht so ganz sicher, um ehrlich zu sein. Aber ich wusste, dass es mehr da draußen gab. Mir war bewusst, dass ich mich nicht für immer meinen Ängsten hingeben konnte, um bequem, umgeben von Langeweile, vor mich hinzuvegetieren.
Ich wollte Wunden der Vergangenheit heilen lassen und sie nicht nur sporadisch abdecken. Ich wollte mal wieder genug Energie haben, um mich kopfüber ins Leben zu stürzen und neue Wunden zu erlauben. Jede Narbe ist eine Lektion, ein Geschenk und ein Schritt nach vorne. Allerdings war die letzte, die mir zugefügt worden war, so tief, dass mir nicht ganz klar war, was ich daraus lernen sollte. Meine Sicht war verschwommen, als würde ich durch eine verschmierte Brille schauen. Fast so, als hätte ich eine Extrarunde auf dem Karussell gedreht, und der Schwindel wollte nicht schwinden.
Beziehungen hatten mich jahrelang davon abgehalten, richtig auszubrechen und mich einfach mal um mich selbst zu kümmern. Paradoxerweise war es irgendwie immer ›Liebe‹, nach der ich mich sehnte und vor der ich zugleich fortlief. In dieser Zeit vergaß ich komplett die wichtigste Liebe von allen, nämlich die zu mir selbst.
Die Beziehungen, die ich führte, waren fast wie ein Vorwand, den ich mir selbst gab. Der Vorwand, nicht zu weit weg zu können, und im selben Moment gab ich ihnen die Schuld dafür, dass ich mich unbeweglich fühlte. Ich denke, das ist oft ein Fehler, den Menschen im jungen Alter machen: Sie fesseln sich an Dinge, um sich nicht zu sehr herauszufordern und um am Ende einen Schuldigen zu haben, wenn sie aus eigener Feigheit doch nicht glücklich werden.
Ich hatte wie die meisten Menschen in der westlichen Welt einen routinierten Alltag, der mich genug ablenkte, um nicht den Verstand zu verlieren. Mein Kellner-Job in einer Restaurantkette hielt mich auf Trab, auch wenn ich ehrlich zugeben muss, dass ich eigentlich alles daran hasste. Kennen wir das nicht alle, dass wir für Geld einem Job nachgehen, der sämtlichen unserer Grundvorstellungen widerspricht? Täglich zwang ich mich aufs Neue in die knallenge weiße Uniform und servierte mit einem aufgesetzten Lächeln double bacon, und das definitiv nicht aus artgerechter Haltung. Das Einzige, was mich vorantrieb, war der schwere, mit Geld gefüllte Kellnergeldbeutel, den ich jeden Tag erschöpft nach Hause trug. Ich war mir ganz sicher, dass ich das angesparte Geld für irgendetwas Großes verwenden würde. Jede Münze wurde von mir zur Seite gelegt. Ich lebte so sparsam wie möglich für einen Plan, der bis jetzt noch nicht mit einer Idee gesegnet war.
Ich zahlte zu viel Geld für ein Zimmer, das sich wie ein Schuhkarton anfühlte. Zwar hatte ich es mir gemütlich gemacht, und es war in dieser Zeit mein Zufluchtsort, aber da sind wir auch wieder bei dem Wort ›Flucht‹. Ich wollte gerne wissen, wie es sich anfühlt, diesen Ort gar nicht mehr zu haben und irgendwo zu sein, wo man auch nicht mal eben kurz bei Freunden und Familie unterkommen kann. Das Gefühl des kompletten ›Alleinseins‹ machte mir Angst. Ich meine die Art von Alleinsein, wenn nichts in deiner Nähe bekannt ist und komplette Stille herrscht, dein Handy nicht funktioniert und du dir einfach selbst helfen musst. Ich konnte nur darüber fantasieren, was es hieß, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und damit meinte ich nicht Selbstständigkeit an sich, diese beherrschte ich. Im Alltag war ich schon immer selbstständig gewesen.
Als die Schule kein Thema mehr war, war ich nach Spanien gereist, um auf eigenen Füßen zu stehen und in der Sonne zu leben. Das waren meine ersten richtigen Schritte in ein langes, leicht unstrukturiertes, zugegeben auch sehr impulsives Vagabundenleben gewesen. Diese ständigen Reisen und Ortswechsel hatten mich zu dem geformt, was ich heute war. Auf Reisen und in der Sonne ging es mir immer gut, ich war zufrieden, anonym und frei.
Was machte ich eigentlich schon wieder in London? Hier war es kalt, laut und dreckig. Ich war zwar anonym, aber Sonne, Zufriedenheit und Freiheit gab es hier definitiv nicht.
Ein weiterer Tag in der Londoner Underground auf dem Weg zum Green Park, um mal wieder meine Zeit mit Arbeit zu füllen. Auf der Scheibe in meinem Blickfeld schien sich jemand künstlerisch ausgelebt zu haben, hatte mit einem dicken Filzstift ein Bild von einer nackten Frau gemalt und darübergeschrieben ›Love yourself‹. Immer wieder las ich das Wort ›Selbstliebe‹, jeder schien damit um sich zu werfen. Auf Bildern mit Yogis und Buddha drauf sah man es fast täglich auf irgendwelchen Social-Media-Kanälen. Wussten all diese Menschen denn tatsächlich und wahrhaftig, was es bedeutet, sich selbst zu lieben? Ich wusste noch nicht mal, wer zur Hölle ich überhaupt war. Also noch mal, was hatte ich schon zu verlieren?
Ich hatte ja schon mal den ›kleinen Plan‹ gehabt, nach Australien zu reisen, um diesen Ort, Byron Bay, zu suchen, von dem mir dauernd erzählt worden war. All die coolen, langhaarigen Reisenden sagten »Da musst du hin!« und »Da wirst du dich wohlfühlen!«. Besonders da ich in all den europäischen Orten, in denen ich gelebt hatte, immer ein Unikat gewesen war, ohne richtiges Zuhause, immer auf Reisen, nicht nur ein Jahr zwischen Abi und Uni, bevor ›der Ernst des Lebens losgeht‹. Ich hatte es weder bis zum Abi geschafft, noch hatte ich eine Ahnung, wieso sich Menschen hingezogen fühlen zu etwas, das sich ›der Ernst des Lebens‹ nennt.
An sich ist das alles nichts Schlechtes, doch es kam mir so vor, als liefen die Menschen immer in die entgegengesetzte Richtung. Auf Dauer ließ mich mein Lebensstil sehr einsam werden. ›Einsamkeit‹, was bedeutete das eigentlich? Wieso hatte ich immer dieses zerreißende Gefühl der Einsamkeit, obwohl ich durchgehend von Menschen umgeben war? Wenn ich so darüber nachdachte, stellte sich mir die Frage, ob es vielleicht nicht mehr so wäre, wenn ich mal wirklich allein wäre? Das alles ließ sich nur herausfinden, indem ich den Absprung wagte und meine Idee in die Realität umsetzte. Meine Idee von einer Reise. Einer richtig großen Reise … Doch wohin? Wie lange? Erst mal einfach nach Australien?
Es war Dienstag, und ich hatte frei. Einer von wenigen Tagen, an denen ich mir eine Auszeit gönnte und nicht versuchte, mich mit Sport oder anderen Aktivitäten von meiner Unzufriedenheit abzulenken. In unserer kleinen chaotischen Wohnküche saß ich am Laptop. Emily, meine italienische Mitbewohnerin, hatte mir ihren geborgt, da ich selbst keinen besaß. In dieser Zeit wohnte ich mit drei Mädels zusammen in einem typisch englischen zweistöckigen Haus im Norden Londons. Meistens jedoch verkroch ich mich in meinem Zimmer oder war arbeiten.
An besagtem Tag wollte ich einen Flug nach Australien buchen. Ich war stolz auf mich, dass ich mich wenigstens dazu entschlossen hatte. Es hatte eine Weile gedauert, bis ich gesagt hatte: ›Ich mache das jetzt.‹ Es war eher eine Art Ich-weiß-nicht-was-ich-sonst-machen-soll-Plan. Ich saß also konzentriert vor dem Laptop und wollte einfach nur einen Flug buchen, wie man das eben macht, wenn man ins Ausland möchte. Ganz normal mit einer Suchmaschine nach ›Schnäppchen‹ stöbern oder so. Zuerst einmal kratzte ich mich am Kopf, ich war gnadenlos überfordert von all den Flugangeboten, Airlines und verschiedenen Seiten im Netz. Bis jetzt hatte ich immer nur Kurzstreckenflüge gebucht, die nicht mehr als 100 Euro gekostet hatten. Hier wurde ich nun mit Preisen zwischen 600 und 2.000 Euro erschlagen und schnaufte erst mal gestresst auf.
Worauf musste ich denn überhaupt achten? Ich meine, wenn ich keinen Zeitdruck hatte, war ich sonst immer per Anhalter durch die Gegend gereist. Dabei sieht man auch am meisten und überfliegt nicht einfach all die kleinen Orte, die die meisten Touristen nie zu sehen bekommen.
Ich sah mir eine Weltkarte an und ging in meinen Gedanken all die magischen Orte durch, von denen ich mein Leben lang schon träumte. Das lag wohl alles zwischen hier und Australien. Wie wenig ich bislang von der Welt gesehen hatte, und jetzt würde ich mit dem Flugzeug über all die Länder drüberfliegen … es sei denn … ich … fuhr per Anhalter …?
Einen Augenblick lang starrte ich erstaunt und fast schon ein wenig erschrocken von meinem Gedanken auf die Weltkarte, die auf dem Bildschirm so winzig wirkte. Plötzlich lachte ich laut auf. Würde ich das wirklich bringen? Den Daumen