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Mami Staffel 8 – Familienroman. Lisa Simon
Читать онлайн.Название Mami Staffel 8 – Familienroman
Год выпуска 0
isbn 9783740946098
Автор произведения Lisa Simon
Жанр Языкознание
Серия Mami Staffel
Издательство Bookwire
»Mußt du mich so erschrecken?« fragte Julia.
»In Ordnung, nächstes Mal klopfe ich an.«
Gemeinsam verließen die beiden hübschen jungen Frauen den Waschraum.
»Willst du mir endlich erklären, weshalb du so einen weltentrückten Gesichtsausdruck mit dir herumschleppst?«
Als Julia nicht gleich antwortete, rief sie: »Laß mich raten – du bist verliebt!«
Nun mußte Julia doch wider Willen grinsen. »Wie kommst du denn darauf?«
»Also, wenn du ein Auge auf Dr. Jäger geworfen haben solltest, dann laß dir gleich gesagt sein, daß ich mir den unbedingt angeln will!«
»Meinetwegen!« Julia machte ein gleichgültiges Gesicht und zuckte die Achseln. Dr. Wolfgang Jäger war Zahnarzt und besuchte halbjährlich das Waisenhaus zur Zahnkontrolle der Heimkinder. Er war der Schwarm fast aller weiblicher Angestellten, doch Julia hatte noch nicht einen einzigen Gedanken an den gutaussehenden Zahnmediziner verschwendet. Seit der Enttäuschung mit Kai vor einem halben Jahr hatte sie keine Sehnsucht mehr nach einer Beziehung; Kai hatte Julia von einem Tag auf den anderen erklärt, daß er sich in eine andere Frau verliebt hätte.
Diana hingegen verliebte sich alle naselang, und immer war es ›der Richtige‹ – jedenfalls so lange, bis die Beziehung dann doch in die Brüche ging. Doch Diana machte sich nicht viel daraus, immerhin gab es noch jede Menge anderer attraktiver Männer!
Doch man konnte sich durchaus auch vernünftig mit Diana Zenker unterhalten. Sie hielt Julia am Arm fest. »Im Ernst, etwas liegt dir doch auf der Seele, hm?«
Julia nickte. »Ja, aber es hat mit keinem Mann zu tun, wenn du das meinst.«
»Möchtest du trotzdem darüber reden?«
Und dann erzählte Julia alles über Kevins sinnloses Warten auf seine Mutter und die Ernsthaftigkeit, die ein kleiner Junge seines Alters eigentlich nicht haben sollte…
Auch Diana war natürlich längst aufgefallen, daß Kevin mehr unter dem Leben im Heim zu leiden schien als die anderen Kindern. »Ja, mir tut der Kleine auch immer leid, wenn er sehnsüchtig darauf wartet, daß er geholt wird. Aber wie können wir ihm helfen?«
»Ich fürchte, überhaupt nicht; daß ist ja das Schlimme. Er weiß ja nicht einmal, daß seine Mutter nicht im Traum daran denkt, ihn zu sich zu nehmen. Im Gegenteil – sie will nichts von ihm wissen.«
Sie waren an der Haustür angekommen, die in den Garten führte. An diesem Tag war es bewölkt und kühl, doch das hielt die Kleinen nicht davon ab, draußen herumzutoben und zu spielen.
Diana lehnte sich mit unter der Brust verschränkten Armen an den Türrahmen und sagte leise: »Manchmal wünschte ich, einen anderen Beruf gelernt zu haben. Es ist doch schlimm, daß es Menschen gibt, die Kinder in die Welt setzen und dann einfach abschieben.«
»Und dabei haben es unsere Kinder noch gut«, erwiderte Julia traurig. »In manchen Heimen fehlt soviel Personal, daß die Angestellten sich kaum um die Belange der Kleinen kümmern können.«
»Ich hätte am liebsten auch hin und wieder zwanzig Hände zum Arbeiten und mehrere Ohren zum Zuhören.« Diana brachte ein klägliches Lächeln zustande.
Julia legte der Freundin einen Arm auf die Schulter. »Wir brauchen uns keine Vorwürfe machen; wir tun doch, was wir können – aber manchmal kommen mir ähnliche Gedanken.«
»Sieh mal, da ist Kevin.« Diana zeigte mit dem Kopf auf die Stelle, wo er jetzt stand – ganz allein, den Teddy wie immer fest an sich gedrückt. Die anderen Kinder hatten es längst aufgegeben, Kevin zum Mitspielen zu überreden. Er wollte ja sowieso nie, außer mit Philipp…
*
»Julia, kommen Sie bitte mit in mein Büro«, sagte einige Tage später Bärbel Clasen im Vorbeigehen zu Julia. »Es gibt da etwas, was wir unbedingt besprechen müssen.«
Schnell erledigte Julia ihre angefangene Arbeit und klopfte wenig später an die Bürotür der Heimleiterin.
»Gut, daß Sie so schnell kommen konnten«, sagte diese. »Sie kümmern sich doch immer so liebevoll um unseren Kevin Seifert, nicht wahr?«
Julia nickte stumm. Worauf wollte Frau Clasen hinaus?
»Wie kommt er mit dem kleinen Philipp Kramer zurecht?« fragte Frau Clasen. »Ich meine, ansonsten ist er ja ziemlich verschlossen.«
»Die beiden teilen sich ein Zimmer. Philipp ist das einzige Kind, mit dem Kevin spielt oder mit anderen Dingen beschäftigt.«
Frau Clasen runzelte die Stirn. »Dann wird es ein ziemlicher Schock für Kevin sein, daß Frau Krämer sich entschlossen hat, Philipp zu sich zu nehmen. Sie hat geheiratet, und ihr Mann ist damit einverstanden, den Kleinen nach Hause zu holen.«
Julia schloß die Augen. »Das wird furchtbar für Kevin werden. Ich hatte gedacht, er wäre auch zur Adoption bestimmt?«
»Nein, Frau Kramer hat nie einen solchen Antrag gestellt. Wie sie mir am Telefon sagte, wußte sie nach Philipps Geburt nicht, wie sie Geld verdienen und gleichzeitig für das Kind sorgen sollte. Eine Pflegefamilie hatte sie kategorisch abgelehnt, sie wollte sich wohl ein Hintertürchen offenlassen.«
»Und ich soll Kevin jetzt beibringen, daß er bald seinen einzigen Freund verlieren wird?« fragte Julia verzweifelt.
»Einer muß es ja tun. Glauben Sie mir, ich selbst würde auch mit dem Jungen reden, aber er hat zu Ihnen einfach mehr Vertrauen.«
»Weiß Philipp schon von seinem Glück?«
»Noch nicht. Frau Kramer wird mit ihrem Mann am Wochenende hierherkommen, um ihren Sohn abzuholen. Ich halte es einfach für besser, wenn er vorerst nichts davon erfährt. Sie wissen ja, wie das ist: Da freut sich das Kind, endlich von hier wegzukommen, und dann passiert irgend etwas, daß es dann doch nicht klappt. Nein, nein, dieses Risiko gehen wir lieber nicht ein.«
Julia stand schon an der Tür. »Dann ist es wohl besser, ich rede mit Kevin erst, wenn Philipps Mutter hier aufgetaucht ist.«
Bärbel Clasen nickte. »Das halte ich auch für das Vernünftigste.«
Wie in Trance erledigte Julia an diesem Tage ihre Arbeit. Kevin würde daran zerbrechen, wenn er seinen einzigen Freund verlöre! Am schlimmsten war, daß Frau Kramer in einer anderen Stadt lebte, so daß es für die beiden Jungen keinerlei Möglichkeit gab, sich wenigstens hin und wieder zu treffen.
Das würde eine große Enttäuschung für Kevin sein. Schlimm genug, daß er ständig darauf wartete, daß seine Mutter kommen würde – warum war das Schicksal so ungerecht?
Im MARIENKÄFER lebten über einhundert Kinder; der Begriff Waisenhaus traf nicht ganz zu, denn die meisten Kinder waren keine Waisen, sondern Kinder, deren Eltern sich nichts aus ihnen machten.
Natürlich hatte das eine oder andere Kind seine Eltern oder zumindest einen Elternteil tatsächlich verloren, doch fast alle Kinder hatten nie die Liebe einer Mutter oder eines Vaters erfahren.
Und in ein paar Tagen war Kevins Geburtstag! Julia hatte mit den Kolleginnen gemeinsam entschieden, dem Jungen ein paar Bilderbücher und Malstifte zu schenken; außerdem würde es natürlich wie für jedes Geburtstagskind am Nachmittag im Speisesaal Kakao und Kuchen geben.
Julia hatte in einem Schreibwarengeschäft ein bezauberndes Malbuch mit Teddymotiven gekauft, welches sie ihm heimlich überreichen wollte. Davon brauchten die anderen nichts zu wissen. Eigentlich sollte Julia so etwas nicht tun, aber Kevin war etwas Besonderes, und außerdem brauchte er einen kleinen Trost, um über den Verlust seines Freundes hinwegzukommen.
*
Dann kam der Tag, vor dem sich Julia insgeheim gefürchtet hatte. Sabine Kramer, die jetzt Frau Birkner hieß, kam pünktlich um zehn Uhr morgens mit ihrem Mann. Julia hätte an diesem Wochenende eigentlich frei gehabt, aber angesichts der Lage hatte sie ihren Dienst