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      Auf Korfu suchten die Reisenden die klassischen Gegenden und Szenen und vermeinten in den Korfioten die Ebenbilder des alten Griechentums wiederzufinden. Viele antike Plätze und Ruinenstätten auf dem griechischen Festland waren vor 150 Jahren trostlose Orte, mit Unrat übersät, in den Überresten der Tempel hausten Schafe und Ziegen … Die Mitteleuropäer fühlten sich in ihrem realitätsfernen Bildungstraum gestört und wechselten nach Korfu, das von den Türken nicht erobert worden war und eine venezianische Eleganz ausstrahlte. Elisabeth schrieb an Valerie, dass es »nichts Schöneres auf der Welt« gebe als Korfu, ihr Herz könne sich »gar nicht fassen vor so viel ewiger Herrlichkeit«.

      Doch beließ es die österreichische Monarchin nicht beim Schwärmen. Sie las altgriechische Literatur und beschäftigte zu diesem Behufe verschiedene Griechischlehrer, junge »Exoten und Sonderlinge«, die ihr eifersüchtiger Mann durchwegs nicht leiden konnte. Elisabeth verbrachte wesentlich mehr Zeit in der Gesellschaft der jungen Griechen als mit ihrem Kaiser, der die hellenischen Alleinunterhalter mit wechselnden, wenig schmeichelhaften Epitheta wie »der Schreiende« (Nikolaos Thermojannis), »der Bucklige« (Konstantin Christomanos), »der Großhaxerte« (Rhoussos Rhoussopoulos) oder »der Parfümierte« (Alexander Mercáti) bedachte.

      Besondere Bedeutung für die Nachwelt sollte der Student Christomanos erlangen, der in seinen »Tagebuchblättern« die Begegnungen mit Elisabeth in der Art eines Chronisten festhielt. Bei seinem Antrittsbesuch bedeutete man ihm, in der Nähe der Hermesvilla zu warten. Er dürfte wohl sehr nervös gewesen sein:

      Plötzlich stand sie vor mir – eine schlanke, schwarze Frau. Ihr Kopf hob sich vom Hintergrund eines weißen Schirms ab, durch den Sonnenstrahlen drangen. In der Linken hielt sie einen schwarzen Fächer, leicht an die Wange geneigt. Ihre Augen fixierten mich goldhell.

      Drei Stunden spazierten die Kaiserin und ihr zukünftiger griechischer Vorleser durch den frühlingshaften Lainzer Tiergarten: »Dieses Wandern zwischen den hellen Stämmen der Birken und Buchen in die violetten, fast körperlich greifbaren Märchenschatten hinein, unhörbaren Schrittes auf der schwarzen feuchten Erde, über vermoderte Blätter vom vorigen Herbst.«

      Abgesehen von der Statue des Hermes kündet in Lainz noch eine weitere Figur von Elisabeths Griechenlandkult. Eine marmorne Aspasia war einst im Freien aufgestellt, heute befindet sie sich aus konservatorischen Gründen im Stiegenhaus der Hermesvilla. Ignaz Weirich hatte die Figur in Rom geschaffen, sie kam erst 1898 in kaiserlichen Besitz. Aspasia wurde von der Hausherrin besonders geschätzt. Geboren im 5. Jahrhundert v. Chr. im kleinasiatischen Milet, wurde sie die zweite Ehefrau des Perikles. Politischer Einfluss war ihr wichtig, sie gab Unterricht in Rhetorik und die Sokratiker berichteten positiv über sie. Wie so viele Frauen, die den Versuch machten, sich über ihren Stand zu erheben, wurde sie als Hetäre und Bordellbesitzerin öffentlich verhöhnt. Nur mit Mühe gelang es Perikles, eine gegen seine Frau eingebrachte Klage wegen »Gottlosigkeit und Kuppelei« abzuwehren. Die geistreiche, gut aussehende und mutige Aspasia, die sich gegen gesellschaftliche Zwänge souverän behauptete, scheint auf Elisabeth großen Eindruck gemacht zu haben.

       6 Ein Vorbild für Elisabeth: Aspasia, Ehefrau des Perikles, im Stiegenhaus der Hermesvilla

      Einer Zeitgenossin, die viel Zeit in der Hermesvilla verbringen sollte, setzte die Kaiserin auf ihre Art ein Denkmal, als sie im Mai 1887 von einer Reise nach Rumänien in die Villa im Tiergarten zurückkehrte:

      Doch ist dies nicht wert des Lärmes;

      Glück lebt nur in Phantasien,

      Beiden sei darum verziehen;

      Denkt da draußen Schutzgott Hermes.

      Wem soll man verzeihen? Und was eigentlich?

      Fortsetzung folgt in Kapitel IX.

      III Die Hausherrin der Hermesvilla

      Mehr als 30 Jahre war Elisabeth mit dem Kaiser verheiratet, als er die zündende Idee hatte, für sie (und ihn) ein Altersretiro im Lainzer Tiergarten errichten zu lassen. Schon die Silberhochzeit im Jahr 1879 war ein Albtraum gewesen. Laut Nichte Marie Larisch habe Tante Sisi dabei »eine Miene« gemacht »wie eine indische Witwe, die verbrannt werden sollte.« »Es ist schon genug, 25 Jahre verheiratet zu sein«, kommentierte die Kaiserin, »aber deshalb auch noch Feste zu feiern, ist unnötig.« Ein traditionelles Eheleben hatte es in dieser Beziehung kaum gegeben und gab es nun, als das Kaiserpaar in die Jahre kam, schon gar nicht mehr. Die Reitjagden in England und Irland, denen Franz Joseph nicht nur aus Kostengründen ausgesprochen ablehnend gegenübergestanden war, gab Elisabeth aus gesundheitlichen Gründen, vor allem aber wegen der unverzeihlichen Enttäuschung darüber, dass ihr schottischer Reitpilot »Bay« Middleton nach langjähriger Verlobungszeit endlich seine Freundin geheiratet hatte, auf. Sie selbst behauptete in den 1890er-Jahren, sie habe »plötzlich ohne jeden Grund den Mut verloren« und sie, »die noch gestern jeder Gefahr spottete, erblickte heute eine solche in jedem Busche«. Dies sei auch der Grund, warum »ich Valerie niemals erlaubte, ein Pferd zu besteigen; ich wäre nicht fähig gewesen, die ewige Unruhe zu ertragen«.

      Der alte Kaiser, der sich seit Jahrzehnten übergangen fühlte, witterte seine vielleicht letzte Chance, Sisi sesshaft zu machen. Er wollte mehr Zeit mit seiner »süßen geliebten Seele« (»Édes, szeretett lelkem«, wie er fast alle Briefe an sie einleitete, auf Ungarisch) verbringen. Die Rolle des demütigen Bittstellers ermüdete ihn sichtlich. In der politisch sensiblen Zeit um 1866 hatte er Elisabeth geschrieben: »Jetzt hätt’ ich halt noch eine Bitt’. Wenn du mich besuchen könntest. Das würde mich unendlich glücklich machen.« Zwei Wochen später die Ernüchterung: »Komme bald wieder … wenn du auch recht bös und sekkant warst, so habe ich dich doch unendlich lieb …«. Die Jahrzehnte vergingen, der Ton blieb derselbe. Franz Joseph (58) an seine Angetraute (51), 1888: »Meine Gedanken sind viel und mit Sehnsucht bei dir. Du denkst wohl seltener an mich …«. Die beiden waren Antipoden, zwei höchst verschiedenartige Persönlichkeiten, die es trefflich verstanden, sich gegenseitig unglücklich zu machen.

      In den 1880er-Jahren machte Franz Joseph seiner Kaiserin ein – in seinen Augen – traumhaft schönes Geschenk: eine Villa im Lainzer Tiergarten, abgeschieden, umgeben von einer Mauer, wo kein Fremder Elisabeth stören konnte. 1884 erging das folgende kaiserliche Handschreiben an Hofrat Freiherrn von Mayr, den Direktor der »Allerhöchsten Privat- und Familienfonde«:

      Indem Ich die im Thiergarten nächst Lainz neuerbaute Villa sammt Nebengebäuden Ihrer Majestät der Kaiserin zum Eigenthume bestimmt habe, beauftrage ich Sie wegen Ablösung des Baugrundes und des dazugehörigen Wiesenkomplexes (…) die Verhandlung zu pflegen und (…) haben Sie Sorge zu tragen, dass sowohl die Villa (…) als auch der Grundkomplex unmittelbar als Eigenthum Ihrer Majestät der Kaiserin bücherlich eingetragen werde.

      Ganz auf die Bedürfnisse seiner »sekkanten« Elisabeth sollte das Haus zugeschnitten sein. Hatte er Erfolg? Gefiel die Villa der kapriziösen Ehefrau? Ihre Reaktion war eher verhalten, doch schienen ihre positiven Gefühle für die Umgebung des Gebäudes von Herzen zu kommen:

      Titania wandelt unter hohen Bäumen,

      Mit weissen Blüten ist ihr Weg bestreut;

      Die Buchen rings, die alten Eichen keimen,

      Es scheint der Wald ein Dom dem Mai geweiht.

      Ein Dom durchweht von märchenhaften Träumen,

      Ein Zauberort verborgen und gefeit;

      Maiglöckchen läuten duftend süße Lieder,

      Und goldne Falter schweben auf und nieder.

      Die weisse Hirschkuh folgt Titanias Schritten,

      Nicht flieh’n die wilden Mouffelins vor ihr,

      Eichhörnchen ist vom Stamm herabgeglitten

      Und grüsst die Königin im Forstrevier.

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