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Vermutlich hat Kaiserin Elisabeth ebenfalls eine Ausgabe besessen und dürfte darin ihre Weltanschauung bestätigt gesehen haben.

      Wie populär Miltons Erzählung gewesen ist, zeigt auch ein Gemälde des ungarischen »Malerfürsten« Mihály Munkácsy. Er hatte im Jahr 1878 das Bild »Milton diktiert seinen Töchtern ›Das verlorene Paradies‹« auf der Pariser Weltausstellung präsentiert und damit die Goldmedaille gewonnen. Das Thema machte Munkácsy europaweit berühmt.

       2 Die marmorne »Peri« im Entrée der Hermesvilla

      Elisabeth hat ihre steinerne »Peri« 1890 auf einer Reise durch Italien angekauft. Hergestellt wurde das Stück aus Sterzinger Marmor vom englischen Bildhauer Charles Francis Fuller, dem das »Verlorene Paradies« wohl auch gut bekannt war. Die Kaiserin war dabei, ihren neuen Wohnsitz auf Korfu auszugestalten; die Möbel und Ziergegenstände kaufte sie in erster Linie in Italien ein. So gelangte auch die »Peri« per Schiff auf die griechische Insel. Einige Jahre später, als Sisis Interesse am Achilleion längst abgekühlt war, wurden zahlreiche Ausstattungsstücke in das vom Kaiser geplante Altersretiro, die Hermesvilla im Lainzer Tiergarten, transferiert. Darunter befand sich auch die »Peri«, welche heute die Besucher im Eingangsbereich der Villa begrüßt. Die Figur ist drehbar: Während der Familiendiners blickte sie einst in den Speisesaal des Kaiserpaars.

      »Peri« verfügt noch über weitere verborgene Qualitäten.

      Das Jahr 1886 hatte für die mittlerweile fast 50-jährige Hausherrin der Hermesvilla weitreichende Bedeutung. Der von einer Mauer umgebene Bau »im mailich ergrünenden Walde« (Elisabeth) wurde fertiggestellt, ihr einst guter Freund, der bayrische König Ludwig II., starb unter ungeklärten Umständen und die einzige Bezugsperson, an die die alternde Kaiserin sich regelrecht gekettet hatte, begann ihr zu entgleiten: Marie Valerie, jüngste Tochter von Franz Joseph und Elisabeth, hatte ohnehin schon versprechen müssen, nicht vor ihrem 20. Geburtstag zu heiraten – sehr ungewöhnlich für eine Angehörige des Hochadels, die in ganz Europa als höchst begehrenswerte Partie galt. Im Jänner 1886 tanzte sie auf dem »Hofball« und auch auf dem besonders elitären »Ball bei Hof« mehrmals mit Franz Salvator aus der toskanischen Nebenlinie der Habsburger. Elisabeth gab ihren Sanktus, da sie der Lieblingstochter versprochen hatte, sie dürfe heiraten, wen sie wolle, »auch einen Schornsteinfeger«. Ihr Vater und ihr Bruder Rudolf waren – ausnahmsweise – einmal einer Meinung, und zwar dagegen. Der Auserwählte sei vom Stand her der Schwester nicht ebenbürtig. Dennoch, nach dem Weggang Valeries litt die kindisch eifersüchtige Mutter am meisten. Sie fühlte sich vereinsamt, als habe sie nicht eine verheiratete, sondern eine tote Tochter:

      Fort zieht es dich aus meiner Näh’

      Zu jenem blassen Knaben

      Trotzdem ich ehrlich dir gesteh’,

      Ich möchte ihn nicht haben.

      Du siehst im Geiste um dich her,

      Der Kinder zwölf schon wogen,

      Zwölf Rotznäschen liebst du dann mehr

      Als mich, die dich verzogen.

      (…)

      Ich aber breite trauernd aus

      Die weiten weissen Schwingen,

      Und kehr’ ins Feenreich nach Haus –

      Nichts soll mich wieder bringen.

      An die von ihr ersehnte ideale Mutter-Kind-Beziehung mag Elisabeth möglicherweise beim Erwerb der »Peri« auch gedacht haben. Sie sah sich selbst als junge Frau mit der kleinen Valerie, die sie überängstlich behütet und mit einem Übermaß an Liebe überschüttet hatte. Vermutlich kam es nur für die Mutter überraschend, dass das Mädchen sich innerlich schon früh von ihr entfernte, bieder und fromm wurde, den fantasielosen Vater vergötterte und ihr Lebensziel in Heirat und Mutterschaft suchte. Das langlockige, alterslose, in einen mit Sternen bedeckten Schleier gehüllte und geflügelt auf dem Meer schwerelos dahingleitende Wesen kann als Wunsch- oder Traumbild Elisabeths aufgefasst werden: So wollte sie sich selbst als Frau an der Schwelle zum Alter sehen, ein Bild, ebenso weit von der Realität entfernt wie ihre Vorstellungen von der idealen Zukunft ihrer Tochter.

      Ein Anker für die Ewigkeit

      »Peri«, also Elisabeth, scheint einem unklaren Ziel entgegenzuschweben. Emile M. Cioran, der bedeutende Philosoph der Melancholie, erklärt dieses Lebensgefühl Elisabeths: Die Lawine von familiären Unglücksfällen in den 1880er-Jahren wurde von der Kaiserin als Bestätigung aufgefasst, dass es kein Vertrauen in die Menschen ihrer Umgebung geben könne. Dass man auf sich selbst gestellt und allein sei. Zuversicht und Hoffnung waren der Kaiserin fremd. Sie hatte ihre eigene, von der Literatur der »dunklen Romantik« stark beeinflusste Art, mit der eigenen Individualität umzugehen.

      Der Anker, an den die Fee sich lehnt, ist »Peris« einzige Stütze auf ihrer ungewissen Fahrt über die Meere. Ende der 1880er-Jahre, als Elisabeth wieder viel unterwegs war und sich in Gedanken mit ihrem Exil in Griechenland befasste, kehrte sie von einer Seereise mit einem unerwarteten Souvenir zurück. Im Hinterzimmer einer Hafenkneipe hatte sie sich einen Anker auf die Schulter tätowieren lassen. In diesen Jahren waren Tattoos nicht mehr nur bei Matrosen beliebt, sondern hatten den Aufstieg in Adelskreise bereits hinter sich.

       3 Peri mit ihrem Anker

      Über ein Jahrtausend war es her, dass tätowierte Frauen und Männer aus Europa verschwunden waren. Im 8. Jahrhundert wuchs der Einfluss des Christentums. Leute mit Hautzeichen wurden zu »Heiden« erklärt und verfolgt. Nun, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als man bereits von einer regelrechten Tätowierungswut sprach, ging es vor allem um modernitätskritische Referenzen in Anlehnung an imaginierte exotisch-archaische Sehnsüchte nach einer einfacheren, freieren Welt. Diesem Trend folgten etwa der deutsche Kaiser Wilhelm II., Sisis Sohn Rudolf oder der »schöne Erzherzog« Otto, Bruder des heute aufgrund der Ereignisse in Sarajevo 1914 wesentlich bekannteren Franz Ferdinand. Aber auch weibliche Angehörige europäischer Fürstenhäuser ließen sich tätowieren, nicht allerdings im selben Ausmaß wie Männer. Die bürgerliche Mittelschicht verschmähte den Körperschmuck (noch), zahlte jedoch viel Geld, um in Vergnügungsetablissements wie beispielsweise dem Wiener Prater ganzkörpertätowierte Schaustellerinnen zu begaffen. Auch in den Bordellen musste man, vergleichbar mit der obligaten Schwarzen oder »Orientalin«, für das Vergnügen mit einer tätowierten Frau tiefer in die Tasche greifen.

      Adolf Loos, wie immer »anti-ornamental« unterwegs, hielt nichts von der neumodischen Zeiterscheinung:

      es gibt gefängnisse, in denen achtzig prozent der häftlinge tätowierungen aufweisen. die tätowierten, die nicht in haft sind, sind latente verbrecher oder degenerierte aristokraten. wenn ein tätowierter in freiheit stirbt, so ist er eben einige jahre, bevor er einen mord verübt hat, gestorben.

      Als Elisabeth den Anker ihrem Ehemann vorführte, dürfte dieser recht sprachlos gewesen sein. Er fragte Valerie, ob sie auch schon über die »furchtbare Überraschung, dass sich nämlich Mama einen Anker auf der Schulter einbrennen liess«, geweint habe. Sisi selbst brachte das neue Tattoo mit der bevorstehenden Verlobung und Hochzeit der Tochter in Zusammenhang. Ein Zeichen dafür, dass es nun endgültig nichts mehr gab, was sie an den Hof zurückbringen könnte. Ein Symbol für die letzte Reise, den Tod.

      Der Anker ist auf vielen Friedhöfen in Mitteleuropa als Grabgestaltung präsent. Vor allem Gräber aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und den Jahren um 1900 zeigen den Anker in verschiedensten Ausführungen. Beim Trauerschmuck der viktorianischen Epoche ist das nautische Emblem ebenfalls häufig anzutreffen.

      Ein Anker-Tattoo kann auch heute nicht schaden. Hundert Jahre nach der großen Tattoo-Welle im 19. Jahrhundert setzte in den 1980er-Jahren

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