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die andere Seite. »Im Gegensatz zu dir und meinem Schlaf.«

      »Dir macht das gar nichts aus«, stellte Pintel mit hörbarem Schaudern fest. »Wie kannst du nur.«

      »Ich habe auf Schlachtfeldern geschlafen, auf denen mehr als ein toter Mann herumlag. Man gewöhnt sich an alles.«

      »Ich nicht«, sagte Pintel. »In meinem Leben gab es bisher nicht so viele tote Menschen. Keine, genau genommen. Und ich will mich auch wirklich nicht dran gewöhnen.«

      Krona sammelte ihre verbliebene Kraft, um sich aufzurichten und zu Pintel hinüber zu sehen. Er hatte sich bis zum Hals in seine Decke gewickelt, nur sein spitziges Gesichtchen leuchtete hell im Schein des niederbrennenden Feuers.

      »Sollen wir ihn begraben?«, fragte sie. »Fühlst du dich dann besser?«

      »Ich glaube nicht«, sagte Pintel bekümmert. »Ich habe auch noch nie an einem Grab geschlafen. Es würde keinen Unterschied machen.«

      »Wir könnten uns danach einen anderen Lagerplatz suchen.«

      Pintel seufzte und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich will ihn anständig und in Ruhe begraben, wenn ich es schon tun muss, und dazu brauchen wir Tageslicht.«

      Krona ließ sich zurücksinken und verbarg ihre Erleichterung. »Versuch einfach, nicht so viel nachzudenken. Und sei für eine Weile ruhig. Reden und Einschlafen verträgt sich nicht.«

      »Es gibt etwas, wodurch ich mich besser fühlen würde«, sagte Pintel nach einer Weile.

      »Was«, murmelte Krona.

      »Ich würde gerne bei dir auf deiner Seite des Feuers schlafen«, sagte Pintel und klang schüchtern. »Ich würde mich dann nicht so allein fühlen.«

      »Du kannst schlafen, wo du willst«, murmelte sie. »Hauptsache, du bist ruhig.«

      Die Geräusche Pintels, der sein Lager verlegte, entfernten sich von ihr, als endlich der Schlaf über sie kam, und sie wehrte sich nicht, als Pintel sich an ihren Rücken kuschelte und dort endlich still liegen blieb.

      Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, und im ersten Augenblick wusste sie auch nicht, was geschehen war, aber plötzlich stand sie aufrecht, ihr Schwert in der Hand, zum Schlag erhoben, und ihr Herz raste. Pintel schrie, als risse man ihm bei lebendigem Leib das Herz aus.

      »Was?«, schrie sie und sah wild um sich. »Was?«

      Ihr Blick streifte Pintel, der panisch versuchte, sich aus seiner Decke zu befreien, die sich um seine Beine gewickelt hatte und ihn an Ort und Stelle festhielt. Dann folgte sie seinem angststarren Blick und schluckte mühsam, während ihre Handflächen plötzlich feucht und kalt wurden.

      Fenrirs leblose Gestalt hatte sich aufgerichtet, er saß dort leicht schwankend und gab ein hohles Stöhnen von sich. Pintel hatte sich endlich aus der Decke befreit und flüchtete sich unter den nächsten Baum. Krona umfasste das Heft ihres Schwertes fester. Erinnerungen, die sie lieber begraben gewusst hätte, stahlen sich in ihren Kopf, von Soldaten, deren Leichen sich auf Geheiß eines dunklen Zauberers vom Schlachtfeld erhoben und ihren Kampf wieder aufnahmen, mit leerem Blick und zerrissenem Körper. Sie schauderte.

      »Zauberei«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Pintel, das ist dein Geschäft. Soll ich ihn in Stücke hauen?«

      »Nein«, war die Antwort, aber sie kam nicht von Pintel. Die Stimme war die Fenrirs. »Gib mir zu trinken. Ich verdurste.«

      »Ich trinke nicht mit Toten«, knurrte Krona.

      »Ich bin nicht tot«, entgegnete Fenrirs Stimme. »Ich hoffe, das enttäuscht dich nicht zu sehr, Hauptmann.«

      Krona umrundete das Feuer, um genauer das betrachten zu können, was soeben noch Fenrirs Leiche gewesen war. Sorgfältig behielt sie das erhobene Schwert zwischen sich und ihm.

      Er sah nicht aus wie eine zauberisch belebte Leiche, vielmehr schien er ganz er selbst zu sein, er bewegte sich vorsichtig und rieb sich stöhnend die Stirn.

      »Was ist nun?«, sagte er. »Wenn ich nicht gleich etwas zu trinken bekomme, sterbe ich vielleicht doch noch.«

      Ohne ihn aus den Augen zu lassen oder das Schwert zu senken, ging Krona in die Knie, griff nach Pintels halbvollem Wasserschlauch und warf ihn zu Fenrir hinüber. Misstrauisch beobachtete sie ihn, während er trank. Er sah tatsächlich lebendig aus, wenngleich nicht sehr gesund.

      »Pintel«, sagte sie laut.

      »Ich weiß es nicht«, kam seine Antwort, ihre Frage gar nicht abwartend. »Keine Ahnung. Ich habe noch nie von so etwas gehört.«

      »Dann erklär du es mir«, forderte sie Fenrir unfreundlich auf. »Was hat das zu bedeuten? Du warst tot. Ich habe dich die Treppe rauf getragen. Du warst leblos wie ein Sack voll Mehl.«

      »Ich weiß.« Fenrir wischte sich mit dem Handrücken Wassertropfen vom Kinn. »Dennoch war ich nicht tot. Und eine Erklärung kannst du wohl kaum von mir erwarten, wenn schon unser Zauberkundiger keine hat.

      Ich kann nur berichten, was mir geschah: Der Zauber der Feuerfrau traf mich, und ich wurde zu Boden geschleudert. Von da an war mein Wille von meinem Körper abgeschnitten. Ich konnte mich nicht bewegen, ich konnte nicht sprechen, es war, als gehörte mein Körper einem anderen. Gleichzeitig hörte ich aber eure Gespräche und konnte auch sehen, worauf mein Blick zufällig fiel. Nebenbei bemerkt, ich bin doch recht dankbar, dass ihr mein Begräbnis auf den nächsten Morgen verschoben habt«, fügte er hinzu und lächelte schwach.

      »Also war es kein Todeszauber«, warf Pintel ein und kam noch etwas zögernd unter seinem Baum hervor, »sondern nur ein Sieht-aus-als-ob-Zauber …«

      »Scharf beobachtet, kleiner Hexenmeister«, sagte Fenrir und ließ sich mit einem Stöhnen zurücksinken.

      »Das heißt, die Flammenfrau ist nicht so mächtig, wie sie sich den Anschein gibt«, fuhr Pintel fort. »Das sind gute Neuigkeiten.«

      »Mir ist gleich, wie mächtig sie ist«, sagte Fenrir, seine Stimme klang trotz der hörbaren Erschöpfung finster und drohend. »Jedes Wesen hat seine schwache Stelle und lässt sich zur Strecke bringen. Und das ist mein Vorhaben. Sobald ich wieder gehen kann, werde ich sie jagen.«

      »Du wirst jemanden brauchen, der sich mit Zauberei auskennt«, sagte Pintel sofort. »Ich bin dabei, wenn du mich haben willst.«

      »Was leider nicht für jeden an diesem Feuer gilt.« Fenrir warf einen langen, dunklen Blick zu Krona, die sich erhoben und ihr Schwert weg gesteckt hatte. »Manche hier tun nichts, wofür sie nicht bezahlt werden.«

      »Und manche mischen sich zu bereitwillig in die Angelegenheiten anderer«, gab sie unfreundlich zurück.

      »Es ist unsere Angelegenheit«, betonte Pintel. »Das habe ich vorhin schon versucht, dir klarzumachen.«

      »Und einmal reicht. Ich rate dir übrigens, mir nicht weiter mit dem Thema auf die Nerven zu gehen, sonst verspielst du die letzte Chance, dass ich meine Meinung vielleicht doch noch ändere.«

      »Dann wirst du noch mal darüber nachdenken?«, fragte Pintel hoffnungsvoll.

      »Ja«, sagte sie. »Und jetzt gib Ruhe.«

      »Schön«, strahlte Pintel. »Fenrir, habe ich dir schon gesagt, ich bin wirklich froh, dass du nicht tot bist. Du nicht auch, Krona?«

      Krona ließ sich umständlich auf ihrem Lager nieder und murmelte etwas, das man als Zustimmung deuten konnte. Während Pintel Fenrir mit Fragen beschoss (»Wie hast du geatmet? Man hat gar nichts gesehen. Warum bist du nicht erstickt? Konntest du denken? Woran hast du gedacht?«), starrte sie in die sanft glühenden Reste des Lagerfeuers und fand keinen Schlaf, was nicht allein an Pintels Geräuschuntermalung lag.

      »Du liebe Zeit«, sagte Pintel. »Da hat jemand aber ganze Arbeit geleistet.«

      Von dem einstmals prächtigen Anwesen der Markholts waren nurmehr geschwärzte Ruinen übrig. Das zweiflügelige Haus war bis auf die Grundmauern abgebrannt, nur

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