Скачать книгу

war bitter, aber es entsprach leider der Wahrheit.

      Jetzt war es Bettina, die seufzte.

      »Du hast recht, Marcel, ich weiß auch nicht, warum ich mir was einrede, was überhaupt nicht den Tatsachen entspricht. Ich rede mir alles schön, als müsse ich Jörg für einen Posten vorschlagen, dabei kommt es doch jetzt wahrlich auf so etwas nicht mehr an.«

      »Er war halt, wie er war, aber kein schlechter Kerl. Er war großzügig sich selbst gegenüber, aber auch für andere.«

      Bettina fand es in diesem Augenblick der Freude unmöglich, über Jörg in der Vergangenheitsform zu sprechen, dieses »war« war unerträglich, auch wenn es zutraf.

      »Ach ja, mein Bruder Jörg«, wich sie aus und griff danach zu einer kleinen Notlüge. »Marcel, ich bekomme einen Anruf auf der anderen Leitung, der Wein wird ja morgen hier sein, und sobald ich ihn probiert habe, rufe ich dich an. Und über deine Idee werde ich nachdenken und auch mal mit Toni sprechen, wie es mit unserer Kapazität hier aussieht und was er davon hält.«

      »Tu das, Bettina, wir hören dann voneinander.«

      Sie verabschiedeten sich, und Bettina hatte ein schlechtes Gewissen. Nur weil sie es unerträglich fand, sich mit Jörgs Tod abzufinden, hatte sie den armen Marcel abgewimmelt, der sich für das Weingut abrackerte, als sei es seine eigene Firma.

      Sie würde sich ihm gegenüber auf jeden Fall durch eine große Prämie erkenntlich zeigen, auch wenn er das nicht erwartete.

      Sie stand auf, um hinüber in Tonis Büro zu gehen. Das mit dem Vertrieb wollte sie sofort mit ihm besprechen. Ihr Bruder Frieder, dem das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Hals stand, kam einfach nicht von seinem hohen Ross herunter. Anstatt zu versuchen, seine Firma in den Griff zu bekommen, das zu verkaufen, womit man Geld verdienen konnte, träumte er noch immer. Wovon eigentlich? Seine Visionen hatten sich ja aufgelöst wie ein Morgennebel. Es war doch verrückt! Für das, was er vom Chateau bezog, stand sie gerade. Nicht einmal umsonst wollte er die preiswerten Weine haben. Ihm war einfach nicht zu helfen. Er brachte sich nicht um Umsatz und Gewinn, sondern schadete dem Chateau.

      Bettina würde ihm auf jeden Fall einen Brief schreiben, wenn es tatsächlich dazu käme, dass sie hier auf dem Hof die Weine im preiswerten Segment vertrieben.

      Und genau das wollte sie mit Toni besprechen, der sich dann mit Marcel kurzschließen konnte. Wenn ja, dann sofort, sie hielt sich an das Sprichwort – der frühe Vogel pickt das Korn.

      Leni hätte gewiss ihre Freude daran, wenn sie wüsste, dass Bettina eines ihrer Sprichworte beherzigte.

      *

      Natürlich hatte Toni sofort begeis­tert ja gesagt, und ebenso natürlich hatte Frieder ihren Brief nicht beantwortet. Ein vorheriger Versuch, ihn telefonisch zu erreichen, war gescheitert. Was bildete sich dieser Stiesel eigentlich ein?

      Er ließ sie seelenruhig seine Rechnungen bezahlen, als sei das die normalste Sache der Welt. Aber das war dem feinen Herrn wahrscheinlich nicht genug, er wollte mehr, ein Seegrundstück, Geld, am liebsten das ganze Chateau Dorleac, und das Wörtchen »danke« kam in seinem Vokabular ohnehin nicht vor.

      Ehe Bettina anfangen konnte, sich über ihren Bruder zu ärgern, so richtig zu ärgern, hörte sie, wie die Haustür geöffnet wurde.

      Bestimmt Leni, die etwas von ihr wollte, denn es war morgens, sie saß noch am Frühstückstisch.

      »Komm rein, Leni«, rief sie. »Wir können zusammen einen Kaffee trinken.«

      »Trinkst du den auch mit mir?«, erkundigte sich eine wohlklingende Männerstimme.

      Bettina blickte hoch, sprang so heftig auf, dass ihr Stuhl fast umgestürzt wäre, dann rannte sie los, in die ausgebreiteten Arme.

      Jan war gekommen!

      Sie klammerte sich an ihn, als habe sie Angst, es nur mit einer Fata Morgana zu tun zu haben. Seine Lippen allerdings, die sich auf ihren Mund pressten, verrieten ihr, dass es Realität war, das wahre Leben.

      Wie eine Verdurstende erwiderte Bettina seine Küsse, und alle Zweifel schwanden und verflogen wie Blätter im Wind.

      Was immer sie sich eingeredet hatte, es war alles Unsinn gewesen, sie liebte Jan, diesen unverschämt gutaussehenden, charmanten, zärtlichen Jan van Dahlen und sonst keinen. Sie liebte diesen Mann, in dessen Küssen sie fast ertrank und dessen Umarmung ihr fast die Luft zum atmen nahm, so fest und leidenschaftlich war sie.

      Als Jan sie nach scheinbar unendlich langer Zeit ganz behutsam aus seinen Armen ließ, erkundigte Bettina sich mit atemlos klingender Stimme: »Wie kommt es, mein Liebling, dass du schon hier bist? Heute hätte ich ganz gewiss nicht mit dir gerechnet.«

      »Aber du bedauerst doch hoffentlich mein vorzeitiges Erscheinen nicht, meine Schöne, oder?«, erkundigte er sich lachend.

      »Um Himmels willen, nein. So etwas darfst du nicht einmal ansatzweise denken. Es macht mich überglücklich, dich jetzt schon zu sehen, doch es wundert mich halt ein wenig. Du hast schließlich in unserem letzten Telefonat dein Kommen erst für übermorgen angekündigt.«

      »Ja, das ist richtig. Aber weißt du was, ich habe ganz einfach einen Termin sausen lassen, weil ich zum einen eine ganz unbändige Sehnsucht nach dir hatte und zum anderen, weil ich auf dem Fahrenbach-Hof nicht so lange bleiben kann wie ursprünglich geplant. Es gibt da nämlich etwas sehr, sehr Wichtiges, was ich unbedingt in Angriff nehmen muss.«

      Dass er Sehnsucht nach ihr gehabt hatte, machte Bettina glücklich. Doch dass er nicht so lange wie geplant bleiben konnte … Früher wäre Bettina bei solchen Ankündigungen vor lauter Enttäuschung fast zusammengebrochen, hätte sich erkundigt nach dem wie … was … warum … wo …

      Doch so etwas hatte sie sich längst abgewöhnt. Wenn Jan über etwas sprechen wollte, dann würde er es auch tun. Und die Hauptsache war doch ohnehin, dass er da war, früher als erwartet, nur das allein zählte.

      »Schön, dass du da bist«, sagte sie aus diesen Überlegungen heraus. »Möchtest du nur Kaffee trinken oder auch ein Frühstück haben? Ich kann dir alles servieren, was dein Herz begehrt.«

      »Mein Herz begehrt dich und sonst gar nichts. Aber ein Kaffee wäre natürlich ganz hervorragend zum Erwecken meiner Lebensgeis­ter.« Er strahlte Bettina an. »Ach, mein Liebes, du ahnst ja überhaupt nicht, wie sehr du mir gefehlt hast, wie sehr ich dich vermisst habe … es wird für mich immer schwieriger, dauernd unterwegs zu sein wie ein einsamer Wolf, während ich dich hier an diesem beschaulichen Ort weiß. Dieses immer unterwegs sein, dieses Herumzigeunere von einem Hotel ins andere, von einem Land ins nächste, das ist doch im Grunde genommen überhaupt nichts anderes als eine gehobenere Form von Nomadentum … Irgendwo bin ich es leid, du hast mir mein Leben, so wie ich es bislang führte, gern führte, gründlich verdorben. Ohne dich, deine Nähe, macht es mir einfach nicht mehr so viel Spaß wie früher.«

      So etwas hörte Bettina natürlich sehr gern. Sie hütete sich jedoch davor, ihre Freude allzu deutlich zu zeigen. Was Jan da ausgesprochen hatte, bedeutete nämlich, dass ihre Chancen immer größer wurden, ihn dauerhaft auf dem Hof zu haben, es bedeutete, dass er seine Reisen auf ein Mindestmaß reduzieren würde …

      Das klang zu schön um wahr zu sein, sie hätte dann endlich das, was sie sich schon so lange erträumte – ein geordnetes Leben mit einem Mann an ihrer Seite, der präsent war, der da war, wenn man ihn brauchte …

      »Ich bin glücklich über jeden Tag, den du bei mir sein kannst, mein Liebling«, sagte sie sehr diplomatisch.

      »Und die Nächte?«, wollte er wissen und schaute sie zärtlich an, »wie sieht es denn mit den Nächten aus?«

      Bettina lachte glücklich.

      »Aber, mein Liebster, darüber muss ich ja wohl nicht reden. Die Nächte …«, sie verdrehte genießerisch die Augen, schürzte verführerisch ihre Lippen.

      Jan fiel in ihr Lachen mit ein.

      »Hör auf, mein Liebes, sonst vergesse ich gleich, dass erst

Скачать книгу