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– na­tür­lich woll­te sie!

      … Ach Gott – nun muss­te sie die Gold­stücke in ihr Por­te­mon­naie ste­cken. Wie sie da­mit ihre Lie­be pro­fa­nier­te.

      Sie war fei­ge – sie war kein großer Mensch, der sich und sei­nen Ent­schlüs­sen treu bleibt.

      Aber was hal­f’s! Nun woll­te sie auch ein­mal wie­der von Her­zen ver­gnügt sein.

      *

      Frau von Wo­szens­ka er­war­te­te Aga­the auf dem Bahn­hof und schlepp­te sie gleich zu ih­rem Man­ne ins Ate­lier. Ein star­ker Duft von Ter­pen­tin und ägyp­ti­schen Zi­ga­ret­ten drang ih­nen ent­ge­gen. Der pol­ni­sche Ma­ler schob die Bril­le auf sei­ne ma­ge­re Ad­ler­na­se her­un­ter und blick­te Aga­the mit blau­en trau­ri­gen Beo­b­ach­ter­au­gen an, wäh­rend sei­ne dür­re lan­ge Hand sie herz­lich be­grüß­te. Er hat­te in ei­nem ge­schnitz­ten Lehn­stuhl ge­ses­sen, den Kopf an ein al­tes Le­der­kis­sen ge­lehnt – sei­ne be­gon­ne­ne Ar­beit prü­fend. Auf ei­ner Staf­fe­lei vor ihm stand eine große Lein­wand.

      Frau von Wo­szens­ka, die, aus Leip­zig ge­bür­tig, ein leb­haf­tes Säch­sisch re­de­te, stell­te sich ne­ben ih­ren Mann, leg­te ihm die Hän­de auf die Schul­ter, blick­te das Bild mit schar­fer Auf­merk­sam­keit an und rief dann fröh­lich:

      »So wird’s, Kas! Here mal, mei Kuts­ter – so wird’s!«

      Herr von Wo­szen­ski wen­de­te sich höf­lich zu Aga­the und sag­te:

      »Ich woll­te es die Ex­ta­se der No­vi­ze nen­nen.«

      Aga­the such­te sich in das un­voll­en­de­te Ge­mäl­de hin­ein­zu­fin­den.

      Vor ei­nem mit fan­tas­ti­scher Ver­gol­dung prun­ken­den Al­tar, auf dem Ker­zen im Weih­rauch­ne­bel flim­mern und blut­ro­ter Sam­met über wei­ße Mar­mor­stu­fen flu­tet, ist eine jun­ge Non­ne in die Knie ge­sun­ken – ihr dunk­ler Schlei­er, die schwe­ren Ge­wän­der flat­ternd in geis­ter­haf­tem Sturm­wind, der mit ei­nem Strom von Glanz durchs hohe Kir­chen­fens­ter bricht – un­zäh­li­ge ge­flü­gel­te Köpf­chen, amo­ret­ten­glei­che En­gels-Ge­stal­ten vom Him­mel her­ab­wir­belnd. Und die jun­ge Non­ne hat in den er­ho­be­nen Ar­men das Je­sus­kind­lein emp­fan­gen.

      Ihre Ge­stalt, die se­li­ge In­nig­keit ih­rer Ge­bär­de wa­ren erst in Koh­len­stri­chen an­ge­deu­tet – ihr Ant­litz ein lee­rer grau­er Fle­cken. Aber Aga­the seufz­te tief in an­däch­ti­ger Ver­wun­de­rung, als sie die Mei­nung ver­stand.

      Frau von Wo­szens­ka nahm sie bald mit sich, in­dem sie ih­rem Man­ne zu­rief: »Höre, Du – heut gibts nur Eier­ku­chen und ein Stück Schin­ken – ich brau­che die Kö­chin.«

      Er lä­chel­te ein­ver­stan­den.

      Frau von Wo­szens­ka hat­te ihr Ate­lier in der Woh­nung, um ne­ben der Kunst den Haus­halt über­wa­chen zu kön­nen. Sie mal­te lus­ti­ge Schul­mäd­chen und blon­de Kin­der, die einen schwar­zen Pu­del ab­rich­ten. Da­mit ver­dien­te sie das täg­li­che Brot und für ih­ren Gat­ten die Muße, die er zu sei­nen großen, un­ver­käuf­li­chen Wer­ken brauch­te.

      Nach­dem die ro­bus­te Dienst­magd Aga­thes Kof­fer her­auf­ge­tra­gen und noch ein­mal Koh­len in den Ofen ge­schau­felt hat­te, leg­te sie ihr Kleid ab und schäl­te aus dem be­ruß­ten Baum­wol­len­stoff ein Paar pracht­vol­le Schul­tern und Arme. Sie setz­te sich auf ein er­höh­tes Po­di­um, Frau von Wo­szens­ka zeich­ne­te ernst und eif­rig. Aga­the stick­te eine De­cke für Mama und wun­der­te sich da­bei über die Si­tua­ti­on im All­ge­mei­nen und im Be­son­de­ren über die selt­sa­men Gri­mas­sen, die Frau von Wo­szens­ka bei der Ar­beit ein un­be­wuss­tes Be­dürf­nis zu sein schie­nen.

      Sie nann­te Aga­the so­fort mit dem Vor­na­men und »Du«. Auf die­se Wei­se gab sie ihr gleich ein Hei­mats­ge­fühl.

      Der klei­ne Sohn Mi­chel kam aus der Schu­le. Er sah blass und müde aus. Frau von Wo­szens­ka schimpf­te auf die ver­rück­ten Schu­lein­rich­tun­gen. Sie schnarr­te das dop­pel­te »R« so ein­drucks­voll, dass der Laut förm­lich eine pa­the­ti­sche Be­deu­tung von Zorn und Lei­den­schaft er­hielt.

      Die Kö­chin hat­te ihre Göt­ter-Schul­tern schon vor­her wie­der in blau­en Gin­gan gehüllt und brach­te dem Klei­nen die Sup­pe. Mi­cha­el reck­te sei­ne dün­nen Glie­der auf dem Stuhl vor dem Tel­ler und ließ die Win­kel sei­nes ein­ge­kniff­ten Münd­chens hän­gen. Er hat­te kei­nen Ap­pe­tit.

      »Das Kind isst wie­der nicht … Ei­nem sein Kind in sol­chem Zu­stand nach Haus zu schi­cken!« mur­mel­te Frau von Wo­szens­ka. Sie ver­sprach Mi­chel, wenn er es­sen wol­le, zur Be­loh­nung »die trau­ri­ge Zie­gen­frat­ze« oder »die lus­ti­ge Moh­ren­frat­ze«. Die Orang-Utang­frat­ze, er­zähl­te sie Aga­the, dür­fe sie nur ma­chen, wenn es Kas nicht sehe – die wäre ihm zu un­äs­the­tisch.

      »Mut­ter – jetzt hab’ ich ’ne när­ri­sche«, sag­te Mi­chel, »– – weißt Du, wie un­ser Klas­sen­leh­rer macht, wenn er Flie­gen aus den Tin­ten­fäs­sern fischt?«

      Der Jun­ge nahm ein Stück­chen Brot, hol­te Reis­bröck­chen aus sei­ner Bouil­lon, schleu­der­te sie fort und mur­mel­te in­grim­mig:

      »So ’ne Schwei­ne­rei – nee, so ’ne Schwei­ne­rei!« Er brach­te den Ei­fer und den Ekel ei­nes ver­trock­ne­ten Gym­na­si­al­leh­rer-Ge­sich­tes in er­staun­li­cher­wei­se zur Dar­stel­lung.

      Sei­ne Mut­ter und Aga­the lach­ten laut auf. Frau von Wo­szens­ka schüt­tel­te sich vor Ver­gnü­gen, in ih­ren Au­gen fun­kel­te eine wil­de Ra­che­be­frie­di­gung.

      »Fa­mos, Mi­chel! Noch mal! Das muss ich auch ler­nen!«

      Mi­chels er­schlaff­te klei­ne Züge rö­te­ten sich, wäh­rend er und sei­ne Mut­ter die neue Frat­ze pro­bier­ten. »Du kannst’s, Du kannst’s!« schrie er be­geis­tert. »Jetzt esse ich auch mei­ne Sup­pe!«

      Sich an der Dumm­heit, der Tri­via­li­tät, der Häss­lich­keit wie an ei­nem selt­sa­men Ge­nus­se zu er­göt­zen – das war die Wei­se, in der die drei ver­fei­ner­ten Men­schen sich ge­gen die­se Ge­wal­ten wehr­ten, wo­durch sie sich Frei­heit und geist­rei­chen Froh­sinn be­wahr­ten.

      Nann­te Wo­szen­ski sei­ne Frau bei ih­rem Vor­na­men, so fand er es ent­zückend, dass die un­ge­wöhn­li­che Per­son, de­ren Be­we­gun­gen an ein ja­pa­ni­sches Göt­zen­bild er­in­ner­ten, wel­ches kur­z­es, krau­ses, nach al­len Sei­ten da­v­on­star­ren­des Ne­ger­haar be­saß und grel­le auf­ge­reg­te Au­gen – dass sie ge­ra­de »Ma­rie­chen« hei­ßen muss­te. Der Ge­gen­satz, den ihr schar­fes Or­gan und ihr Leip­zi­ger Dia­lekt zu sei­nem ge­wähl­ten, leicht von aus­län­di­schem Ak­zent be­rühr­ten Deutsch bil­de­te, hat­te viel­leicht auf den Ent­schluss, sie zu hei­ra­ten, ein­ge­wirkt, als ein sub­ti­ler und när­ri­scher Reiz. Ihm wa­ren die ge­sell­schaft­li­chen und künst­le­ri­schen Ver­hält­nis­se der Ge­gen­wart so zu­wi­der ge­we­sen, dass er ver­wun­det und er­mat­tet al­lem den Rücken ge­kehrt und sich bei ei­nem Ein­sied­ler auf Ca­pri in Kost und Woh­nung ge­ge­ben hat­te, als dem ein­zi­gen Men­schen, der sei­nen Ner­ven nicht un­er­träg­lich wur­de. Bis Ma­rie­chen kam und ihn sich durch ih­ren sieg­haf­ten Hu­mor in die Welt zu­rück hol­te.

      Am Abend,

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