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kin­di­sche Ge­sicht des Mäd­chens ver­schwand in ih­rer wei­ßen Schür­ze, sie schluchz­te er­bärm­lich.

      Aga­the sah sie er­staunt an. Plötz­lich wur­de sie dun­kel­rot.

      »Wal­ter hat Dich wohl nur er­schre­cken wol­len«, sag­te sie lei­se. »Ich will ihm sa­gen, dass Du sol­che Spä­ße nicht magst!«

      Wie­sing hob das nas­se Ge­sicht und sah Aga­the mit ver­stör­ten blau­en Au­gen hilf­los an. »Fräu­lein – das war ja wull kein Spaß!«

      »Ach, was denn sonst. Du dum­mes Ding. Denkst Du denn … mein Bru­der ist ja ver­lobt!«

      »Det hew ik den jun­gen Herrn ok seggt, he sullt sich de Sün­d’ schä­men, hew ik seggt. He wull un wull nich hö­ren … Frö­len, wenn he wie­der kimmt – ik wet mie nich tau hel­pen!«

      »Wie­der kommt?« frag­te Aga­the, wie in ei­nem be­ängs­ti­gen­den Traum er­star­rend. »Wo hat er Dir das ge­sagt?«

      »In mien lüt­t’ Kam­mer.«

      »Lui­se, Du lügst«, schrie Aga­the zor­nig.

      Das Mäd­chen schluchz­te nur noch hef­ti­ger.

      Aga­the ging von ihr fort, an das an­de­re Ende des Zim­mers.

      »Mein Gott – mein Gott!« stam­mel­te sie nach ei­ner Wei­le und wand die Hän­de in ein­an­der.

      »Wie­sing, wir wol­len Mama nichts sa­gen«, flüs­ter­te sie, ihre Trä­nen ström­ten da­bei. »Mama könn­te das nicht er­tra­gen, sie ist oh­ne­hin so kränk­lich – und sie hat Wal­ter so lieb!«

      »Jo Frö­len!«

      »Du musst aus dem Haus, Wie­sing.«

      »Jo Frö­len!«

      »Wie fan­gen wir das nur an?«

      Wie­sing ant­wor­te­te nicht.

      »Ich muss mit Wal­ter re­den. Mein Gott – das kann ich ja nicht – das kann ich ja nicht – Was ist denn nur über ihn ge­kom­men!«

      »So’n fie­ner jung’ Herr«, sag­te Wie­sing nach­denk­lich und trock­ne­te sich die Au­gen.

      »Zum Don­ner­wet­ter! wo sind nur mei­ne Stie­fel wie­der! Lui­se!« rief Wal­ter im Flur.

      Die bei­den Mäd­chen schra­ken zu­sam­men und blick­ten sich er­schro­cken an.

      »Er hat doch sei­nen Bur­schen zur Be­die­nung«, mur­mel­te Aga­the.

      »Lui­se!« scholl des Lieu­ten­ants grol­len­de Stim­me aufs Neue über den Flur. Das klei­ne Haus­mäd­chen lief in der Ge­wohn­heit des Ge­hor­sams hin­aus.

      Aga­the horch­te, mit ei­nem Ge­fühl, als sei­en ihr die Glie­der ab­ge­stor­ben, was drau­ßen zwi­schen den bei­den vor sich ging.

      Wal­ter sag­te je­doch nur kurz und scharf: »Lui­se, ru­fen Sie mir den Bur­schen.« Wie­sing ant­wor­te­te mit ih­rem müh­sa­men Hoch­deutsch: »Ja, Herr Lieu­ten­ant.« Da war es Aga­the plötz­lich, als habe sie das eben Ge­hör­te al­les nur ge­träumt.

      So leicht ging es doch nicht, sich dar­über hin­weg­zu­set­zen.

      Jetzt muss­te sie über­le­gen, ohne mit Rat un­ter­stützt zu wer­den, ganz al­lein nach ih­rem Er­mes­sen, un­ter ih­rer Verant­wor­tung. Sie muss­te mit Wal­ter re­den, es gab kei­nen an­de­ren Aus­weg. Wenn sie das ih­rem Va­ter sag­te, es muss­te eine furcht­ba­re Sze­ne wer­den – et­was so Ehr­lo­ses wür­de Papa sei­nem Soh­ne nie und nie ver­zei­hen.

      Zu­erst ging sie zu ei­nem Schlos­ser und kauf­te einen Rie­gel mit großen Kram­pen. Sie konn­te kaum ihr An­lie­gen her­vor­brin­gen, denn sie mein­te, man müs­se ihr im La­den an­se­hen, zu wel­chem Zweck sie den Rie­gel brau­chen woll­te. Dann häm­mer­te sie ihn mit Wie­sings Hil­fe an de­ren Kam­mer­tür fest, zit­ternd in der Furcht, Mama möch­te sie da­bei tref­fen und fra­gen, was das zu be­deu­ten habe.

      Wie­sing hat­te das Fens­ter in dem en­gen Raum seit dem Mor­gen noch nicht ge­öff­net, es war eine ab­scheu­lich dump­fe Luft dar­in. Schmut­zi­ges Was­ser stand in der Schüs­sel, aus­ge­kämm­tes Haar und al­ler­lei arm­se­li­ger Plun­der lag auf dem Bo­den her­um. Und Wal­ter – ihr pein­lich sau­be­rer, ele­gan­ter Bru­der, in sei­ner glän­zen­den Uni­form war hier ge­we­sen … wie war es nur mög­lich?

      Es schüt­tel­te sie ein Grau­en, ein Ekel.

      Wie soll­te sie Wal­ter an­re­den? Er kam ihr vor wie ein Ver­wor­fe­ner, zu des­sen Ge­füh­len sie kei­ne Brücke mehr fand. Auch wenn sie Wie­sing an­sah, emp­fand sie eine hef­ti­ge Ab­nei­gung ge­gen das Mäd­chen, durch wel­ches sie ih­ren Bru­der ver­lo­ren hat­te.

      Sie las in ih­rem neu­en Te­sta­ment und be­te­te um Kraft. Sie er­in­ner­te sich, dass Pas­tor Kand­ler ihr ein­mal ge­sagt hat­te: in je­dem Men­schen lä­gen die Kei­me zu al­len Sün­den ver­bor­gen. Sie woll­te ver­su­chen, ih­rem Bru­der in Lie­be zu­zu­re­den. Sie hat­te eine Emp­fin­dung, als tapp­te sie in die schwar­ze Fins­ter­nis und er­grei­fe et­was Wi­der­li­ches.

      So quäl­te sie sich den gan­zen Tag hin und wünsch­te, Wal­ter möge so viel Dienst ha­ben, dass eine Un­ter­re­dung mit ihm un­mög­lich wer­de. O war sie fei­ge!

      Nach­mit­tag kam Eu­ge­nie auf eine Vier­tel­stun­de. Als sie noch da­saß und Eu­ge­nie nicht wuss­te, was sie mit ihr spre­chen soll­te, trat Wal­ter ein. Er war ge­rit­ten, das krau­se Haar kleb­te ihm feucht an der Stirn. Er sah ein we­nig ver­drieß­lich aus. Doch küss­te er Eu­ge­nie. Sie ord­ne­te mit ih­ren hüb­schen, ge­schick­ten Fin­gern sein Haar, sah ihm mit ih­rem küh­len, spöt­ti­schen Lä­cheln in die Au­gen und frag­te: »Är­ger ge­habt?« Und dann strich sie leicht über sei­ne Uni­form, wie einst ihre Hän­de be­ru­hi­gend über Aga­thes Schlä­fe ge­glit­ten wa­ren, wenn die­se Zahn­schmer­zen hat­te, in der Pen­si­on.

      Durch die Erin­ne­rung ka­men Aga­thes Ge­dan­ken auf den Kom­mis, der Eu­ge­nies ers­te Lie­be ge­we­sen, und auf das Zim­mer mit den Zi­gar­ren­pro­ben.

      Ach, wenn sie doch hät­te fort­lau­fen kön­nen – weit, weit fort von al­len Men­schen.

      Eu­ge­nie nahm Ab­schied, Wal­ter brach­te sie hin­aus. Der Va­ter mach­te sei­nen täg­li­chen Spa­zier­gang, Mama hat­te ihn heu­te be­glei­tet, weil sie einen Be­such da­mit ver­bin­den woll­ten. Wal­ter kam ins Zim­mer zu­rück. Da war Aga­the al­lein mit ihm, und nun muss­te sie re­den, es half ihr nie­mand.

      »Was machst Du nur heu­te für ein Ge­sicht? Eu­ge­nie frag­te auch, was Dir wäre?« Da­mit be­gann Wal­ter un­ver­mu­tet das Ge­spräch. Sie nahm ihre Kraft zu­sam­men – üb­ri­gens ver­stand er sie schon nach den ers­ten halb­laut hin­ge­stam­mel­ten Wor­ten.

      Aber es kam ganz an­ders, als sie er­war­tet hat­te! Er zeig­te kei­ne Spur von Scham oder Reue, wur­de zor­nig, ging mit klir­ren­den Spo­ren im Zim­mer hin und her und rief halb­laut, vor Är­ger hei­ser:

      »Küm­me­re Dich nicht um Din­ge, die Du nicht ver­stehst! Hörst Du? Hier­von ver­stehst Du gar­nichts. Kei­nen Schim­mer! Da­rum hast Du auch kein Recht, ab­zu­ur­tei­len.«

      »Ich ver­ste­he, dass Du ver­lobt bist! Ich fin­de es ehr­los …«

      »Un­ter­steh’ Dich …!« Aga­the sah die dro­hend er­ho­be­ne Faust ih­res Bru­ders

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