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wollte Ihnen eben dasselbe vorschlagen«, antwortete Herr Daubigeon.

      »Man müßte die Gendarmerie benachrichtigen.«

      »Herr Sénéchal hat sie soeben schon benachrichtigen lassen.«

      Die Aufregung des Untersuchungsrichters war groß, so groß, daß sie sogar einigermaßen die Eisrinde undurchdringlicher Kälte zu durchbrechen schien.

      »Da gilt's, auf frischer Tat zu ertappen«, sprach er.

      »Augenscheinlich.«

      »So daß wir gemeinsam handeln können, Sie, indem Sie untersuchen, ich, indem ich Ihrer Untersuchung gemäß nachforsche.«

      Ein ironisches Lächeln glitt über die Lippen des Staatsanwalts.

      »Sie müssen mich gut genug kennen«, antwortete er, »um zu wissen, daß, was mich betrifft, keine Eifersuchtskonflikte zu befürchten sind. Ich bin nur noch ein gutmütiger Hagestolz, dem nichts über seine Ruhe und seine Bücher geht.

      › Sum piger et senior Pieridumque comes ...‹«

      »Dann hält uns nichts mehr zurück«, rief Herr Sénéchal, der vor Ungeduld brannte, »mein Wagen ist angespannt – brechen wir auf!«

      2

      Von Sauveterre nach Valpinson rechnet man ungefähr eine Meile Entfernung, das heißt eine Landmeile von sieben Kilometern.

      Aber Herr Sénéchal hatte ein gutes Pferd, vielleicht das beste des Bezirks, wie er, als er den Wagen bestieg, seinen beiden Reisegefährten versicherte.

      In der Tat hatten sie in kaum zehn Minuten die Feuerwehrleute erreicht, die eine gute Weile früher abgezogen waren.

      Und doch beeilten sich diese braven Leute, meist Handwerksmeister, Maurer, Schieferdecker und Zimmerleute von Sauveterre, aus allen ihren Kräften. Von einem halben Dutzend dampfender Pechfackeln beleuchtet, zogen sie keuchend den holprigen Weg entlang, indem sie die beiden Spritzen und den Karren mit den Rettungsgeräten vor sich herschoben.

      »Mut, meine Freunde, Mut!« rief ihnen der Bürgermeister zu, während er an ihnen vorbeifuhr.

      Etwa drei Minuten später erschien ein Bauer zu Pferde, durch die Nacht dahinsausend gleich einem fahrenden Ritter.

      Herr Daubigeon befahl ihm anzuhalten. Er gehorchte.

      »Ihr kehrt aus Valpinson zurück?« fragte Herr Sénéchal.

      »Ja«, antwortete der Bauer.

      »Wie steht es mit dem Grafen von Claudieuse?«

      »Er ist zu sich gekommen.«

      »Was hat der Arzt gesagt?«

      »Daß er vermutlich durchkommen wird. Und ich eile zur Apotheke, um Arznei zu holen.«

      Um besser zu hören, beugte sich Herr Galpin-Daveline aus dem Wagen.

      »Wird durch das Gerücht noch niemand beschuldigt?« fragte er.

      »Niemand.«

      »Und das Feuer?«

      »Wasser zum Löschen ist genug vorhanden«, antwortete der Bauer, »aber die Spritzen fehlen ...«

      »Was ist zu tun? ... bei dem immer stärker werdenden Winde?«

      »Oh, welch ein Unglück! Welch ein Unglück!«

      Mit diesen Worten gab er seinem Pferd die Sporen.

      Der unglückliche Bürgermeister geriet, je mehr er die Sache überlegte, außer sich.

      Das verübte Verbrechen erschien ihm wie eine Herausforderung an seine Geschicklichkeit, wie die grausamste Schmähung, die seiner Verwaltung widerfahren konnte.

      »Denn in der Tat«, wiederholte er zum zehnten Male seinen Reisegefährten, »ist es erklärlich, ist es logisch, daß ein Übeltäter es gerade auf den Grafen und die Gräfin von Claudieuse abgesehen haben sollte, auf den vortrefflichsten, den hochgeachtetsten Mann des Bezirks, und auf eine Frau, deren Namen mit Tugend und Herzensgüte gleichbedeutend ist.«

      Und eifrig begann der Bürgermeister, ohne sich durch die derben Stöße des Wagens stören zu lassen, alles, was er von der Geschichte des Besitzers von Valpinson wußte, zu erzählen.

      Der Graf Trivulce von Claudieuse war der letzte Nachkomme einer der ältesten Familien des Landes. Mit sechzehn Jahren hatte er, etwa um 1829, seine Heimat verlassen und war dann lange Zeit nur selten und zu ganz kurzen Besuchen nach Valpinson zurückgekehrt.

      Im Jahre 1859 war er Schiffskapitän geworden und zum Konteradmiral bestimmt, als er plötzlich seinen Abschied eingereicht und sich in Valpinson niedergelassen hatte, wo übrigens von dem einstigen Glanz des alten Schlosses wenig mehr übrig war als zwei Türme, die auch schon halb in Trümmern lagen und von mächtigen Haufen geschwärzter und bemooster Steine umgeben waren.

      Zwei Jahre lang hatte er einsam hier für sich gelebt, sich, so gut es eben ging, eine Wohnung hergerichtet und sich mit den Vermögensresten seiner Vorfahren, dank seinem unablässigen Fleiße, ein bescheidenes Wohlleben gesichert.

      Da meinte wohl jedermann, daß er auch in dieser Weise sein Leben beschließen würde, als das Gerücht sich verbreitete, der Graf würde sich verheiraten.

      Und ausnahmsweise war diesmal das Gerücht wahr.

      Eines schönen Tages war Herr von Claudieuse nach Paris gereist, und bald darauf erfuhr man durch schriftliche Anzeigen, daß er sich mit der Tochter eines seiner ehemaligen Kollegen, dem Fräulein Geneviève von Tassar, vermählt habe.

      Das allgemeine Erstaunen war groß. Zwar war der Graf noch ein wohlaussehender Mann, sogar von auffallend stattlicher Erscheinung; aber er zählte bereits siebenundvierzig Jahre, und Fräulein Tassar de Bruc hatte kaum das zwanzigste erreicht.

      Ja, wenn die Neuvermählte arm gewesen wäre, hätte man die Sache begriffen und für ganz in der Ordnung gehalten. Es ist ja so natürlich, daß ein Mädchen ohne Aussteuer die Wünsche des Herzens der Frage äußerlicher Wohlfahrt opfert. Aber dies war nicht der Fall. Der Marquis Tassar de Bruc galt für reich und hatte, wie man behauptete, seinem Schwiegersohn fünfzigtausend Taler ausbezahlt.

      Dann, hatte man weiter geschlossen, müßte die junge Gräfin häßlich zum Erschrecken sein, gebrechlich, schwachsinnig vielleicht und verwachsen – oder wenigstens von unausstehlichem Charakter.

      Aber weit gefehlt! Sie erschien in ihrem neuen Wohnort – und alles war hingerissen von ihrer edlen und sanften Schönheit; sie sprach zu den Leuten – und alles gab sich dem Zauber ihrer Rede gefangen.

      Sollte in der Tat diese Verbindung, wie man in Sauveterre behauptete, eine Heirat aus Neigung gewesen sein?

      Wirklich fing man an, es zu glauben, was aber zahlreiche alte Jungfern nicht hinderte, den Kopf zu schütteln und zu behaupten, siebenundzwanzig Jahre Unterschied sei zuviel zwischen zwei Gatten, und die Ehe werde keine glückliche sein.

      Die Tatsachen aber hatten diese üble Prophezeiung

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