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will den Herrn Bürgermeister sprechen«, antwortete der Bauer, »weckt ihn auf, und zwar sofort!«

      Herr Sénéchal aber war schon völlig munter. In einen weiten Schlafrock aus weichem Wollstoff gehüllt, ein Nachtlicht in der Hand, war er, seine Unruhe schlecht verbergend, eben im Vorzimmer erschienen und hatte alles angehört.

      »Hier ist der Bürgermeister«, sprach er in mißvergnügtem Ton. »Was wollt Ihr von mir zu einer Stunde, wo alle anständigen Leute zu Bette sind?«

      Den Bedienten zur Seite schiebend, trat der Bauer vor und antwortete, ohne die geringste Höflichkeitsform zu beobachten:

      »Ich komme, Ihnen zu sagen, daß Sie uns die Feuerwehr schicken mögen!«

      »Die Feuerwehr?«

      »Ja, sogleich – beeilen Sie sich!«

      Der Bürgermeister schüttelte den Kopf.

      »Hm«, machte er, was bei ihm die Kundgebung der äußersten Verblüfftheit war. »Hm, hm.«

      Und wer wäre nicht an seiner Stelle verblüfft gewesen?

      Um die Feuerwehrleute zu rufen, mußte notwendig Alarm geschlagen werden. Mitten in der Nacht Alarm schlagen, hieß aber die ganze Stadt in Verwirrung setzen, die guten Bürger von Sauveterre aus ihrer Nachtruhe aufschrecken.

      »Handelt es sich um eine ernstliche Feuersbrunst?« fragte Herr Sénéchal.

      »Wie sollte es anders sein?« rief der Bauer, »bei einem Winde, der die Ziegel von den Dächern jagt.«

      »Hm«, machte nochmals der Bürgermeister, »hm, hm!«

      War es doch nicht das erste Mal, seit er Sauveterre verwaltete, daß er so ohne weiteres durch einen Bauernburschen aus dem Schlaf geweckt wurde, der in Nacht und Nebel mit dem Geschrei: »Zu Hilfe! Es brennt!« unter seine Fenster kam. – Durch die vernommenen Reden leicht zum Mitleid bewegt, entschloß er sich damals, die Feuerwehrleute zu versammeln; er stellte sich an ihre Spitze, und man eilte der Unglücksstätte zu. – Was aber fand man vor, nachdem man atemlos, schweißtriefend fünf oder sechs Kilometer im Sturmschritt zurückgelegt? Einige elende Misthaufen, kaum zehn Taler wert, die eben im Verlöschen begriffen waren.

      »Nun«, begann Herr Sénéchal, »wo brennt es denn eigentlich?«

      Außer sich über all den Aufschub, biß der Bauer vor Wut in den Stiel seiner Peitsche. »Muß ich es Ihnen nochmals wiederholen«, unterbrach er jenen, »daß alles in Flammen steht? Die Scheuern, die Meierei, die Ernte, die Nebenhäuser, das Schloß, alles! Wenn Sie noch zögern, werden Sie in Valpinson keinen Stein mehr auf dem andern finden.«

      Die Wirkung, welche die Nennung dieses Namens hervorbrachte, war erstaunlich.

      »Was?« fragte der Bürgermeister mit erstickter Stimme, »in Valpinson ist der Brand?«

      »Ja.«

      »Bei dem Grafen von Claudieuse?«

      »Ganz recht!«

      »Einfaltspinsel! Warum sagtest du das nicht gleich?« rief der Bürgermeister. – Er zögerte nicht länger. »Schnell«, sagte er zu seinem Bedienten, »komm, mich anzukleiden ... oder nein – Madame wird mir helfen, es ist keine Sekunde zu verlieren. Du läufst zu Bolton, du verstehst mich, zu dem Trommler, und befiehlst ihm, in meinem Namen Alarm zu schlagen, augenblicklich, überall ... – Alsdann eilst du zu dem Hauptmann Parenteau, du erklärst ihm, um was es sich handelt, und bittest ihn, aus der Magistratur die Schlüssel zu den Spritzen zu holen ... dann zu dem Beschließer ... Warte! – – Das heißt, du kehrst erst hierher zurück, spannst an ... Feuer in Valpinson! – Ich werde die Mannschaft selbst begleiten. Flugs! laufe, schlag an alle Türen! schrei überall Feuer aus! – Auf dem Neumarkt soll man sich versammeln.«

      Als der Bediente, so schnell seine Beine ihn nur trugen, sich entfernt hatte, begann Herr Sénéchal von neuem, sich zu dem Bauern wendend: »Ihr aber, mein braver Bursche, besteigt Euer Pferd und eilt, Herrn von Claudieuse zu ermutigen, daß man die Hoffnung nicht verliere, daß man die Anstrengungen verdopple, die Hilfe nahe! ...«

      »Bevor ich nach Valpinson zurückkehre, habe ich noch eine Besorgung in der Stadt zu machen.«

      »Wie, Ihr sagt –?«

      »Ich muß den Doktor, Herrn Seignebos, abholen, um ihn mit mir zu nehmen.«

      »Den Doktor – ist denn jemand verletzt?«

      »Ja, der Herr – Herr von Claudieuse.«

      »Der Unvorsichtige; er wird sich nach seiner Gewohnheit in die Gefahr gestürzt haben!«

      »O nein – er ist von zwei Flintenschüssen getroffen worden.«

      Fast hätte der Bürgermeister seinen Handleuchter fallen lassen.

      »Von zwei Flintenschüssen!« rief er. »Wo – wann? – wie? ... von wem?«

      »Ach! Das weiß ich nicht.«

      »Aber ...?«

      »Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, daß man ihn in eine kleine Scheune getragen, die noch nicht vom Feuer ergriffen war. Dort habe ich ihn auf einem Bund Stroh, weiß wie ein Stück Leinwand, die Augen geschlossen und ganz mit Blut bedeckt, liegen sehen.«

      »Mein Gott, wäre er wohl gar tot?«

      »Er war es nicht, als ich aufbrach.«

      »Und die Gräfin?«

      »Die Frau von Claudieuse«, antwortete der Bauer in einem von Ehrerbietung durchdrungenen Ton, »fand ich in der Scheune neben dem Herrn Grafen kniend, beschäftigt, seine Wunden mit frischem Wasser zu waschen. – Auch die beiden kleinen Fräulein waren bei ihr.«

      Herr Sénéchal schauderte.

      »Sollte hier ein Verbrechen geschehen sein?« murmelte er.

      »Das ist gewiß.«

      »Von wem? Zu welchem Zweck?«

      »Ach, wer weiß!«

      »Herr von Claudieuse ist sehr heftig, das ist wahr, sehr jähzornig, aber er ist der beste, rechtschaffenste Mensch, wie jedermann weiß –«

      »Jedermann!«

      »Er hat dem Lande immer nur Gutes erwiesen.«

      »Niemand dürfte das Gegenteil behaupten!«

      »Was die Gräfin betrifft –«

      »Oh!« rief der Bauer mit Inbrunst, »die Frau Gräfin ist eine Heilige!«

      Der Bürgermeister suchte sich seine Schlußfolgerungen. »Der Schuldige«, kombinierte er, »wäre also ein Fremder? Wir werden überlaufen von Vagabunden und durchziehenden Bettlern. Es vergeht kein Tag, wo nicht deren etliche in der Meierei erscheinen, um Reiseunterstützung zu bitten, Leute mit Galgengesichtern!«

      Kopfschüttelnd bestätigte der Bauer: »Das war auch meine Meinung. Und – was Ihnen zum Beweise dienen mag – darum habe ich unterwegs gedacht, daß ich vielleicht gut daran täte,

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