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mager und von so schlotterigem Körperbau, daß er fast mißwachsen schien. Ein Wald roter struppiger Haare erhob sich über seiner flachen, zurückweichenden Stirn.

      Seine kleinen Augen, der große Mund mit seinen spitzen Zähnen, die breite platte Nase und die mächtigen Ohren gaben seiner Physiognomie einen unheimlichen Ausdruck von Schwachsinn und Verstörtheit und doch zugleich von bestialischer Schlauheit.

      »Was werden wir mit ihm machen?» sagte einer der Bauern zu Herrn Sénéchal.

      »Man muß ihn zum Untersuchungsrichter führen, meine Freunde«, antwortete der Bürgermeister, »dort in dem kleinen Hause, wo ihr Herrn von Claudieuse hingetragen.«

      »Und auf jeden Fall muß man ihn zum Sprechen bringen«, brummten die Bauern. »Verstehst du uns? Nur vorwärts, vorwärts mit ihm!«

      4

      Weder der Doktor Seignebos noch Herr Galpin-Daveline, die ihren Ehrgeiz darein setzten, die Sache mit stoischer Unempfindlichkeit auszufechten, hatten sich die geringste Bewegung erlaubt, um zu erfahren, was draußen vorging.

      Der Doktor hielt sich bereit, seine Operation von neuem vorzunehmen, und so methodisch, so kaltblütig, als wäre er zu Hause in seinem Kabinett, wusch er den Schwamm, dessen er sich soeben bediente, und trocknete seine Pinzetten und sein Skalpell.

      Der Untersuchungsrichter seinerseits stand mitten im Zimmer mit gekreuzten Armen aufrecht da und schien, indem sein Auge ins Weite starrte, unergründlichen Grübeleien nachzuhängen. Vielleicht träumte er, daß sein guter Stern ihm endlich zu dem großen Schlag verholfen, den er so lange mit seinen heißesten Wünschen herbeigesehnt hatte.

      Herr von Claudieuse dagegen war weit entfernt, solche Seelenruhe zu teilen. Unruhig warf er sich auf seinem Bett hin und her und rief, als Herr Sénéchal und Herr Daubigeon bleich und bestürzt eintraten: »Warum all der Tumult draußen?«

      »Mein Gott!« seufzte er, nachdem er die Katastrophe erfahren, »und ich seufzte hier darüber, daß ich mich halb ruiniert sah. – Zwei Menschen umgekommen! Das ist das wahre Unglück! O über die armen Opfer ihres Mutes! Bolton, ein Bursche von dreißig Jahren! Guillebault, ein Familienvater, der fünf Kinder unversorgt zurückläßt!«

      Die Gräfin, die soeben eintrat, hatte die letzten Worte ihres Gatten gehört. »Solange uns noch ein Bissen Brot übrigbleibt«, unterbrach sie ihn mit tief erschütterter Stimme, »soll es weder den Kindern Guillebaults noch Boltons Mutter an irgend etwas mangeln!«

      Sie konnte nicht weiterreden.

      Die Bauern, die Cocoleu entdeckt hatten, drängten sich in das Zimmer, indem sie ihren Gefangenen vor sich herstießen.

      »Wo ist der Richter?« fragten sie. »Da ist ein Augenzeuge.«

      »Was? Cocoleu?« rief der Graf.

      »Ja, er weiß etwas, er hat es gesagt; er muß es vor dem Gericht wiederholen, damit der Brandstifter aufgefunden werde!«

      Herr Seignebos hatte die Augenbrauen gerunzelt.

      Er verabscheute Cocoleu, und aus guten Gründen; denn sein Anblick erinnerte ihn an jenes drastische Experiment, von welchem man sich so viel in Sauveterre erzählt hatte und noch jetzt erzählte.

      »Werden Sie ihn wirklich verhören?« fragte er Herrn Galpin-Daveline.

      »Warum nicht?« antwortete der Richter in trockenem Ton.

      »Weil er vollständig schwachsinnig, stupid – mit einem Wort ein Idiot ist. Weil er unfähig ist, die Bedeutung Ihrer Fragen und die Tragweite seiner Antworten zu erfassen.«

      »Er kann uns die wichtigsten Aussagen liefern ...«

      »Der? ... Ein der Vernunft beraubtes Geschöpf? Das kann nicht Ihr Ernst sein! Es ist unmöglich, daß die Justiz die unzusammenhängenden Aussagen eines Wahnsinnigen in Rechnung bringe!«

      Herrn Galpin-Davelines Unzufriedenheit äußerte sich nur in verdoppelter Schroffheit.

      »Ich weiß, was ich zu tun habe«, sagte er.

      »Und ich«, bestand der Doktor, »ich kenne meine Pflicht. Sie haben die Beihilfe meiner Kenntnisse gefordert; ich biete sie Ihnen. Ich erkläre, daß der geistige Zustand dieses Burschen derartig ist, daß er nicht einmal unter der Form einfacher Aufklärung vernommen werden kann. Ich appelliere aus diesem Grunde an den Herrn Staatsanwalt.«

      Er hoffte auf ein Wort der Ermutigung von Seiten des Herrn Daubigeon.

      Als aber dieses ausblieb, fuhr er fort: »Hüten Sie sich, meine Herren, Sie begeben sich auf einen Weg, der keinen Ausgang hat. Was werden Sie beginnen, wenn dieser Unglückliche auf Ihre Fragen mit einer formellen Anschuldigung antwortet? Werden Sie denjenigen, den er beschuldigt, verfolgen?«

      Die Bauern hörten mit offenem Munde diesem Streite zu.

      »Oh! Cocoleu ist nicht so unschuldig, wie man glaubt«, sagte einer von ihnen.

      »Der Hund – er weiß sehr wohl zu sagen, was er will«, setzte ein anderer hinzu.

      »Ich verdanke ihm jedenfalls das Leben meiner Kinder«, sprach Frau von Claudieuse mit sanfter Stimme. »Er erinnerte sich ihrer, als ich mich wie von einem Schwindel befallen fühlte und als sie von aller Welt vergessen waren. Komm her, Cocoleu, komm her, mein Freund; es will dir niemand etwas Übles tun ...«

      Er bedurfte nur zu sehr dieser guten Worte.

      Über alle Begriffe erschrocken durch die Brutalitäten, deren Opfer er soeben gewesen war, zitterte der arme Schwachsinnige so heftig, daß ihm die Zähne klapperten.

      »Ich habe keine ... keine ... Furcht«, stotterte er.

      »Nochmals – ich protestiere!« beharrte der Doktor.

      Er hatte soeben gemerkt, daß er in seiner Ansicht nicht allein dastand.

      »Ich glaube in der Tat, daß es gefährlich wäre, Cocoleu zu verhören«, sagte der Graf von Claudieuse.

      »Ich glaube es auch«, versicherte Herr Daubigeon.

      Aber der Richter, mit den fast unumschränkten Rechten ausgerüstet, wie das Gesetz sie den Untersuchungsbeamten einräumt, war Herr der Situation.

      »Ich bitte Sie, meine Herren«, sprach er in einem Ton, der keinen Einwand mehr gestattete, »lassen Sie mich nach meinem Ermessen handeln.«

      »Laß sehen«, fuhr er mit seiner sanftesten Stimme fort, indem er sich niedersetzte und gegen Cocoleu wandte. »Hör mich an und versuche mich zu verstehen. Weißt du, was es in dieser Nacht in Valpinson gegeben hat?«

      »Feuer«, antwortete der Idiot.

      »Ja, mein Freund, ein Feuer, durch welches das Haus deines Wohltäters zerstört wurde; ein Feuer, in dem soeben zwei arme Feuerwehrleute umgekommen sind. Und das ist nicht alles. Man hat einen Mordversuch auf den Grafen von Claudieuse gemacht. Siehst du ihn dort auf seinem Bette liegen, verwundet und mit Blut bedeckt? Siehst du den Schmerz der Frau von Claudieuse?«

      »Verwegenheit, Starrsinn, Torheit!« brummte der Doktor in den Bart.

      Herr

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