Скачать книгу

      »Oder auch Whitehaven Beach«, erwiderte Bastian und reckte sein Gesicht der Sonne entgegen.

      »Australien?« Ihr war auf einmal, als kannte sie all die Orte, zu denen Bastian sie brachte. Nicht, weil sie bereits dort gewesen war, sondern weil sie vorgehabt hatte, diese zu besuchen. In einem anderen Leben, das ihr heute so fern und unerreichbar erschien. Allerdings hatte sie nicht die geringste Ahnung, ob sie sich all das nur einbildete oder ob es sich tatsächlich so verhielt.

      »Es sind nicht nur die schönsten Plätze der Welt, ein jeder Ort soll dir auch etwas mitgeben, das dir nicht mehr genommen werden kann, egal wo immer du dich in der Wirklichkeit befinden magst.«

      Elena, die es sich inzwischen im weichen und hellen Sand außerhalb des Wassers gemütlich gemacht hatte, blickte neugierig geworden zu Bastian, der es sich nun neben ihr bequem machte. »Meine Erinnerungen?«, fragte sie zaghaft.

      »Die auch.« Sein Blick glitt über den Strand, hinaus zu den sich leicht kräuselnden Wellen und schließlich in die Ferne, wo der Ozean unendlich zu sein schien. Er wirkte jetzt ein wenig schwermütig auf sie und sie wünschte sich, dass er seine Gedanken mit ihr teilen würde. Schließlich räusperte er sich und schenkte ihr wieder seine gesamte Aufmerksamkeit. »Paris steht für die Liebe wie keine andere Stadt der Welt«, fuhr er lächelnd fort. »Und was kann ein Mädchen mit gelben Abenteuer-Gummistiefeln wohl mehr benötigen, als alle Liebe der Welt?«

      Was er sagte, rührte Elena auf tiefster Ebene, und weil sie nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte, sah sie schüchtern in den Sand, anstelle in Bastians Augen. Wie recht er doch hatte. Ohne die Liebe ihrer Eltern hätte sie wohl kaum das Abenteuer Leben überstanden, da war sie sich sehr sicher!

      »Die Lady Liberty steht selbstredend für Freiheit.«

      »Und Freiheit ist das oberste Gut in einem Leben, in dem man im eigenen Körper gefangen ist«, flüsterte sie.

      Nickend versuchte er, weiterhin tapfer zu lächeln, doch sie sah ihm die Niedergeschlagenheit an. »Und dieses kleine Paradies hier steht für Wärme.«

      »Ohne Wärme ist kein Leben möglich.«

      Für einige wenige Sekunden sah er sie wortlos an, als legte er sich seine nächsten Worte sachte zurecht, doch dann schüttelte er den Kopf, sprang auf, reichte ihr eine Hand und zog sie zu sich hoch. »Vergiss deine Gummistiefel nicht!« Augenzwinkernd schnippte er erneut mit den Fingern, und sowie Elena blinzelte, war der wunderschöne Strand verschwunden.

      Obwohl er das nicht zum ersten Mal tat, keuchte sie dennoch kurz erschrocken auf, dieser abrupte Umgebungswechsel war nichts, an das sie sich schnell gewöhnen konnte. Doch davon abgesehen erfasste sie dieselbe Aufregung wie auch schon zuvor. Wo hatte er sie dieses Mal hingebracht, was erwartete sie? Als sie an sich hinabblickte, sah sie zu ihrem Erstaunen, dass ihre baren Füße wieder in den Gummistiefeln steckten, obwohl sie selbige nicht an sich genommen hatte. Oh, wie sehr sie sich wünschte, niemals mehr aus dieser wundervollen bunten, lauten und grellen Welt aufwachen zu müssen, in der alles möglich war.

      »Na, kannst du es erraten?« Ungeduldig hüpfte Bastian von einem Bein auf das andere, während er die Arme weit ausgestreckt in die Luft hielt.

      Elena wurde derart von ihren Gedanken gesteuert, dass sie bisher nur Zeit darauf verschwendet hatte zu grübeln, anstatt sich umzusehen, was sie nun rasch nachholte. Der Anblick des aus unzähligen Steinen erbauten Wunderwerkes, auf dem sie standen, raubte ihr den Atem. »Sind wir etwa auf der Chinesischen Mauer?«

      »So hübsch und noch dazu so schlau!« Nickend verschränkte er die Arme vor der Brust und holte Luft. »Die Mauer steht für Schutz.« Bedächtig ging er einige Schritte auf sie zu. »Du sollst dich niemals wieder hilflos fühlen!«

      Elena schluckte schwer gegen den aufkeimenden Kloß in ihrer Kehle an, so sehr rührten seine Worte sie. Was würde sie darum geben, wenn ihr geistiges Gefängnis ebenso stabile Mauern besäße, welche die Finsternis für immer von ihr fernhalten würden.

      Seufzend sah sich Bastian um. »Sosehr ich diese einzigartigen Orte genieße, so leid tut es mir, dass wir all dies im Schnelldurchlauf anschauen müssen, doch die Zeit ist ein unbarmherziger Gegner!«

      Elena presste die Lippen aufeinander, weil sie nicht wusste, wie sie dieses niederdrückende Gefühl von Bedauern loswerden konnte, das wieder anfing, sich in ihr zu regen. Bastian tat all das hier für sie, und doch musste er sich eilen, wohl, weil er Angst hatte, sie könnte wieder in die Schatten ihres Verstandes zurückkehren, bevor er ihr alles gezeigt hatte. Er war ihr im Grunde völlig fremd und dennoch hatte noch nie jemand etwas derart Wundervolles für sie getan.

      »Sei nicht traurig«, sagte er leise. »Eines Tages wirst du all dies nochmal erleben! Du hast alle Zeit der Welt!« Beinahe hätte sie vor Frustration geschnaubt. Zeit war in der Tat das Einzige, das ihr körperloses Ich zur Genüge besaß.

      »Für Trübsal gibt es in unserem Abenteuer keinen Raum«, unterbrach er ihre Gedanken und nahm ihre

      Hand in seine. »Komm!«

      Einen Fingerschnipp später saß sie plötzlich auf einem großen Felsen und blickte weit unter sich auf die Kultstätte hinab, zu der Bastian sie gebracht hatte. »Großer Gott, Machu Picchu?« Nun fühlten sich ihre Augen doch verdächtig feucht an und Elena schniefte gegen die verwirrenden Gefühle an, die sich in ihrem Inneren abwechselten. »Ich glaube, hier hatte ich vor, herzukommen, kann das sein?«

      »Ganz bestimmt. Eine Weltreise ohne die berühmte Hinterlassenschaft der Inkas wäre schließlich nur halb so interessant.« Andächtig sah Bastian ebenfalls auf die Überreste der einst geschichtsträchtigen Siedlung hinab. »Ich habe diesen Ort gewählt, weil er einzigartig ist. Alles, was von einer ganzen Zivilisation übrig geblieben ist, sind ihre Ruinen, etwas, das eigentlich zerstört und unbrauchbar ist. Und doch haben eben diese für unsere Gesellschaft eine große Bedeutung.« Nun blickte er auf und sah sie direkt an. »Manchmal stehen wir vor den Trümmern unseres Lebens, doch nur, weil etwas kaputt ist, heißt es noch lange nicht, dass es nichts mehr wert ist.«

      Eine nie zuvor gekannte Wärme breitete sich in Elena aus, plötzlich fühlte sie sich geborgen und behütet. Irgendwie wusste sie, dass ihr nichts geschehen konnte, solange Bastian an ihrer Seite war. Aber sie spürte auch etwas anderes und davor fürchtete sie sich. Eine bleierne Müdigkeit machte sich bemerkbar und Elena wusste, dass ihr nun nicht mehr sehr viel Zeit bleiben würde, bis ihre Kräfte sie verlassen und in ihren so verhassten Kerker zurückschleudern würden.

      »Einen Ort möchte ich dir noch zeigen«, sagte Bastian leise, während er sie ernst ansah und sachte mit seinem Handrücken über ihre Wange strich. »Hältst du so lange noch durch?«

      Es war ihm also aufgefallen. Seufzend nickte sie und lächelte ihn tapfer an. Sie wünschte sich von Herzen, noch Hunderte wundervolle Flecken dieser Welt mit ihm erleben zu dürfen, doch gerade war es schon vermessen, auf lediglich einen weiteren zu hoffen. »Natürlich«, erwiderte sie entkräftet und war sich doch ihrer Antwort im Augenblick nicht sicher. Um nichts wollte sie jedoch verpassen, was sich Bastian noch hatte für sie einfallen lassen.

      Seine Hand wanderte behände von ihrem Gesicht zu ihrem Schoß hinunter, in dem ihre klammen Hände verweilten, bis er schließlich beherzt seine Finger um die ihren schloss. »Komm«, flüsterte er und sah sie dabei aufmunternd an. Bevor sie auch nur blinzelte, befanden sich unter ihren Füßen nicht mehr die Ruinen längst vergangener Zeiten inmitten saftigen Grüns, sondern Hunderte Meter Nichts. Aus einem Reflex heraus riss sie ihre Hand zurück und klammerte sich erschrocken an Bastian, der daraufhin laut auflachte.

      »Hab keine Angst tapfere Weltenbummlerin, hast du vergessen, dass uns dank des Zauberpulvers nichts geschehen kann?« Lächelnd zwinkerte er ihr zu, während er tröstend einen Arm um sie legte und zaghaft versuchte, ihre verkrampften Finger aus seinem Pullover zu lösen. »Außerdem haben wir doch unsere Gummistiefel an, mit denen kann uns nichts und niemand aufhalten!«

      »In Ordnung.« Elena schenkte ihren eigenen Worten im Moment nicht viel Glauben, vermutlich benötigte ihr Verstand noch ein wenig länger, um zu fassen, wo sie sich gerade befanden.

Скачать книгу