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erwähnt, sie konnte sich jedoch nicht mehr daran erinnern. Auch sein Alter konnte sie nicht abschätzen, in ihrer Fantasie war Bastian jedenfalls nicht viel älter als sie. War sie denn überhaupt noch achtzehn? Elena kam es vor, als hätte sie eine Ewigkeit in der Schwärze verbracht, die ihr ganzes Leben und somit alles, was noch vor ihr lag, aufgesaugt hatte.

      »Hab keine Angst, ich bin immer bei dir, dir kann nichts geschehen.«

      Es war die Wärme in seiner Stimme, die ihr letztlich die Beklommenheit nahm. Das hier war total verrückt, doch Elena war bereit. Sie war bereit, sich in dieses Abenteuer zu stürzen, denn alles war besser als die trostlose Realität. Lächelnd löste sie ihre Finger aus Bastians, gab sich einen Ruck und flog allein. Sie fürchtete sich nicht mehr, denn was hatte sie schon zu verlieren? Ihr Leben?

      Das war ihr bereits genommen worden.

       4

      Elena

      Wenn die Träume einem Flügel verliehen, dann fragte man nicht, weshalb. Elena akzeptierte das ungewöhnliche Geschenk und ließ sich glückselig von Bastians Zauber durch die Nacht tragen. Auch wenn sie keine Schwingen besaß, so fühlte sie sich wie ein Engel, der von weit oben auf die zerbrechlichen Seelen der Menschen hinabsah. Jedoch mehr im übertragenen Sinn, denn in Bastians Geschichte war es jäh dunkel geworden, sodass sie lediglich winzige Ansammlungen von Beleuchtungen am Boden wahrnahm. Dennoch ängstigte sie die Nacht nicht, im Gegensatz zu ihrem geistigen Gefängnis war diese hier nicht durchdringend und beklemmend, nein, sie war offen und frei – genauso wie Elena in diesem Augenblick.

      »Gefällt es dir?«, fragte Bastian und lächelte sie dabei verschmitzt an.

      »Und ob!« Als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan, drehte und wendete sie sich mit weit ausgestreckten Armen jauchzend in der Luft. Sie hieß den kühlen Wind willkommen, der ihr Haar durcheinanderbrachte und sie nach all der Zeit spüren ließ, noch am Leben zu sein.

      »Weißt du denn, wo wir sind?« Bastian verharrte schwebend weit über den unzähligen Lichtern einer ihr nicht bekannten Großstadt und wartete sichtlich gespannt auf ihre Antwort.

      »Aber wie könnte ich das wissen ohne einen Anhalt?« Lachend vollführte Elena einen Salto, nur, um sich direkt im Anschluss kopfüber einige Meter tiefer fallen zu lassen.

      »Du verrücktes Huhn!« Kichernd flog Bastian zu ihr. »Sagt der mit dem Zauberpulver.«

      »Nur das Beste für dich!« Mit einer raschen Handbewegung deutete er eine Verbeugung an, woraufhin sie in sein Lachen einfiel. »Daher habe ich diese Stadt als Ausgangspunkt für unsere Reise ausgesucht.«

      Nun blickte Elena noch einmal konzentriert unter sich, doch es war aussichtslos, aus der schieren Masse an grellem Flackern auch nur annähernd Dinge herauszufiltern, die ihr etwas über diesen Ort verraten könnten. »Ich fürchte, ich brauche einen kleinen Hinweis.«

      Grinsend deutete er daraufhin in ihre entgegengesetzte Blickrichtung. Sie folgte seinem Arm und hielt die Luft an. Jetzt sah sie es, dort ragte etwas weit über den anderen Gebäuden in den nächtlichen Himmel hinauf. Vor Aufregung wurde sie von einem Kribbeln erfasst und ihr Herz schlug einen Takt schneller. »Ist es das, was ich denke?« Elena sprach leise, weil sie Angst hatte, dass sich dieser Traum ansonsten vor Schreck in Luft auflösen könnte.

      »Herzlich willkommen in Paris«, flüsterte Bastian und nahm schüchtern ihre linke Hand in seine.

      Seit Jahren träumte sie davon, ihn eines Tages mit eigenen Augen sehen zu können, und nun befand er sich nur einen Wimpernschlag unter ihr. »Der Eiffelturm«, murmelte sie, überwältigt von all den Gefühlen, die gerade gleichzeitig auf sie einströmten.

      »Lass uns zu ihm fliegen und die Aussicht genießen.«

      »Aber wenn uns jemand erwischt?«

      »Deswegen habe ich diese nächtliche Stunde gewählt, so haben wir den Turm ganz für uns allein.«

      »Ich habe mich schon gefragt, warum es plötzlich dunkel ist und wie das alles möglich ist.«

      Freudig flog Bastian los und zog sie hinter sich her.

      »Es ist unsere Geschichte, wir können sie nach unseren Wünschen beugen und tun, was immer wir auch wollen!«

      »Das heißt, dass alles wahr wird, was immer wir uns vorstellen?«

      »Na sicher. Beeilen wir uns, wir haben noch so viel vor und die Nacht währt nicht ewig!«

      Lachend flog Bastian auf den Eiffelturm zu, der rasant größer wurde, je näher sie ihm kamen. Dennoch verspürte Elena einen kleinen Stich in ihrer Brust, denn in einer Sache irrte sich Bastian. Die Nacht währte doch ewig, zumindest für sie. Aber dann besann sie sich darauf, wo sie sich augenblicklich befanden, atmete mehrmals tief durch und schüttelte die traurigen Gedanken von sich ab. Sie würde einen Teufel tun und ihnen noch mehr Raum geben, nicht heute! Heute hatte sie Abenteuer-Gummistiefel an und flog über Paris, dem Trübsinn konnte sie sich auch dann noch hingeben, wenn sie wieder in der Realität angekommen war!

      »Was sagst du?« Bastians Augen glänzten nahezu vor Freude und Ungeduld, während er sie an beiden Händen nahm, um sie sanft auf die oberste Plattform des Turms zu geleiten.

      Rau wehte der Wind in knapp dreihundert Metern Höhe durch Elenas Haar und trieb ihr mit Sicherheit eine angenehme Röte auf die Wangen. Doch sobald sie den Boden unter den Füßen spürte, nahm sie nichts anderes mehr wahr, außer der spektakulären Aussicht, die sich vor ihnen erstreckte. »Es ist unbeschreiblich«, sagte sie leise, während sie sich schrittweise an die Brüstung hervorwagte.

      »Es ist natürlich nur halb so cool, wie fliegen zu können, aber es ist ganz nett!« Bastian stellte sich dicht neben sie und legte zaghaft einen Arm auf ihren Rücken. »Willkommen auf deiner etwas anderen Weltreise«, murmelte er und lächelte sie zufrieden an.

      »Meine Weltreise?« Plötzlich prasselten die verschiedensten Erinnerungen auf sie ein, Dinge, die sie in ihrem körperlosen Gefängnis längst vergessen hatte. Keuchend schnappte sie nach Luft, als sich ein Gedankenfetzen manifestierte. »Ich … ich wollte eine Weltreise machen, nicht wahr?«

      Bastian seufzte und sein Lächeln wirkte nicht mehr so sorglos wie eben noch. »Und genau das tust du in diesem Moment. Sieh her.« Anschließend schnippte er mit den Fingern.

      Irritiert blickte Elena in den nächtlichen Himmel über Paris, der sich binnen eines Wimpernschlages in ein freundliches helles Blau verwandelte. Bevor sie realisierte, was gerade passiert war, veränderten sich der

      Untergrund und die Umgebung vor ihren Augen, als steckte sie in irgendeiner Matrix fest. »Was war das?«, fragte sie ein wenig ängstlich.

      »Lady Liberty heißt dich herzlich willkommen!« Grinsend verbeugte sich Bastian erneut vor Elena.

      »Das ist nicht wahr! Ernsthaft?« Es war ihr unmöglich, ihre Aufregung zu verbergen, so sehr freute sie sich. »Die Freiheitsstatue?« Wie ein aufgescheuchtes Huhn lief sie in dem kleinen Raum umher und strich bedächtig über jeden Zentimeter, den sie erhaschen konnte. Es fühlte sich an, als würde sich ein lang gehegter Traum erfüllen, doch sie konnte nicht sagen, ob dies lediglich ein Gespinst ihrer Einbildung oder die Wahrheit war.

      »Wünsche werden Wirklichkeit, zumindest in dieser Welt.« Wieder lächelte er sie zufrieden an. »Hast du deinen Bikini eingepackt?«, fragte er grinsend.

      »Aber wieso sollte ich?« Ratlos versuchte sie, aus seinem Gesagten schlau zu werden.

      »Na deshalb.«

      Noch während sie nach einer Antwort suchte, steckten ihre jetzt nackten Füße plötzlich in etwas Warmem fest. Erschrocken schnappte sie nach Luft, doch als sie sich an dem Geländer der Freiheitsstatue festhalten wollte, war diese längst verschwunden. Stattdessen griff sie ins Leere und dann sah sie, wo Bastian sie hingebracht hatte. Weißer Sandstrand erstreckte sich, soweit sie blicken konnte und glasklares Wasser umspielte sanft ihre Knöchel, während die seit langem vermissten

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