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ein ehemaliger Bauernhof, der sich nun auf den Reit-Tourismus eingestellt hatte. Er lag abseits für sich in der sumpfigen Ebene, umrahmt von zarten Tamarisken-Sträuchern, die vom Mistral zerzaust waren. Das Gehöft war aus cremefarbenen Steinen gemauert und hatte buntscheckige Dachziegeln, weil immer wieder alte Ziegel gegen neue ausgetauscht worden waren, so dass neue rote und verblichene orangegelbe ein lustiges Muster bildeten. Neben dem alten Bauernhof wuchsen eine turmhohe, schlanke Zypresse und ein üppiger Feigenbaum. Leider waren die Feigen noch nicht reif, denn es war ja erst Mai. Dafür blühte schon der kleine Bauerngarten hinterm Haus in allen Farben. Es duftete würzig nach Kräutern.

      »Toll ist’s hier!«, rief Gabi und Reni reckte wohlig seufzend ihre Arme.

      »Und wo sind die Pferde?«, fragte Arne, der Flensburger Stallmeister, unternehmungslustig.

      Der alte Jean, der immer einen Zigarettenstummel in seinem Mundwinkel trug, führte sie zum Corral. Dort stand eine kleine Herde der berühmten Camargue-Pferde, die eigentlich große, weiße Ponys sind. Sie sind derb und robust und an das halb amphibische Leben in der Rhône-Mündung bestens angepasst. Sie traben, ohne zu zögern, durch hohes Wasser und finden trittsicher auch in rutschigem Gelände ihren Weg. Seit vielen Generationen sind sie schon darauf gezüchtet, einen besonders feinen Instinkt für die herbschöne, aber harte Landschaft der Camargue zu entwickeln. Voller Begeisterung gingen die Reitgäste auf die gutmütigen Tiere zu, um Bekanntschaft mit ihnen zu schließen und ihnen die struppigen Mähnen zu kraulen. Die Pferde spitzten bereits neugierig die Ohren und sahen den Neuankömmlingen entgegen. Sie waren es gewohnt, stets fremde Reiter zu tragen, genau wie die Pferde des Reitsport-Vereins.

      Jeder durfte sich ein Pferd aussuchen, sofern es keinen Streit darum gab. Renate und Arne hatten es auf dieselbe Stute abgesehen, und da musste das Los entscheiden. Jean warf eine Münze, und Arne bekam die Stute. Doch dann freundete sich Renate mit einem vierschrötigen Wallach an, der einen rosa Streifen auf der grauen Nase hatte. Sie wusste: Wäre er kein Schimmel gewesen, dann hätte an jenem rosa Streifen die Blesse begonnen. Aber weiß auf weiß sieht man den Unterschied ja nicht. An diesem rosa Streifen war ihr Pferd gut zu erkennen, so konnte sie es sich gleich gut merken.

      Alle fütterten ihre Pferde nun mit Apfelstückchen, um sie an sich zu gewöhnen. Denn Liebe geht ja nun mal bekanntlich durch den Magen! Dann halfen sie Jean und seinem Sohn, die Tiere zu versorgen, und begaben sich zum Abendessen. Denn schon war der Ankunftstag fast vorbei!

      Zum Abendessen beköstigte Jeans Frau Magali die ganze Mannschaft mit selbst gekochter Ratatouille. Dazu gab’s krosse Baguette und kleine Camembert-Stückchen, und leichten Landwein. »Einfach köstlich!«, meinte Herr Nissen, als alle zufrieden schmausten. Noch lange saßen sie in geselliger Runde beisammen, bis sich die ersten verstohlen die Augen rieben.

      Sie schliefen im umgebauten Heuschober des Bauernhofes. Der neue Heuschober war ein Stück weiter errichtet und nicht so schön rustikal. Der alte war jetzt ein großer Schlafsaal, und es herrschte eine Stimmung wie in einer Jugendherberge. Man war ja unkompliziert. Wenn nur manche nicht so schnarchen würden!

      Reni und Gabi hatten sich von der Bauersfrau kleine selbst genähte Säckchen mit Lavendel geben lassen, die legten sie sich nun unter die Kopfkissen in der Hoffnung, mit dem angenehmen Duft des Lavendels besser zu schlafen. Denn die Nachtlager waren sehr einfach und die braunen Wolldecken doch nicht so weich wie die Daunendecken daheim! Aber das gehörte eben dazu.

      Am anderen Morgen blinzelte Reni verständnislos um sich. Ach ja! Sie war ja in der Provence! Mit einem Ruck fuhr sie hoch. Mussten sie sich nun alle an der Hofpumpe waschen? Doch während sie noch überlegte, erwachte auch Gabi, und beide begannen, zu wispern. »Nee, Quatsch!«, sagte Gabi leise. »Hier gibt’s doch ’nen Waschraum – haste den gestern Abend gar nicht mehr gesehen?«

      »Nee, ich dachte, das sei ein weiterer WC-Raum«, flüsterte Reni. »So genau hab’ ich mir gestern Abend hier alles gar nicht mehr angeguckt! Ich war ja zum Umfallen müde!«

      Bald saßen alle frisch und vergnügt am Frühstückstisch. Auf dem groben, aber blank polierten Tisch aus Pinienholz lag eine saubere Leinendecke, darauf standen Körbe mit geschnittener Baguette, Keramiktiegel mit selbst gemachter Pfirsich-Marmelade und Tellerchen mit Butter. Alle langten herzhaft zu. »Schmiert euch gleich noch jede Menge Brote für unterwegs, denn wir wollen den ganzen Tag unterwegs sein!«, rief Herr Nissen.

      Dann ging’s los! Auf der heutigen, ersten Tour wollten sie erst mal die Umgebung erkunden. Es sollte eine Rundtour entlang der großen Lagune sein, an der sie die Flamingos sehen sollten. Besonders die Tierfreundin Reni war schon ganz aufgeregt. Flamingos! Und das hier in Frankreich! So was gab’s sonst fast nur noch an der Südküste Spaniens, hatte sie gelesen. Und natürlich in Afrika!

      Jeans Sohn führte die Reiterschar an. Sein Vater, der mit seiner Baskenmütze, den weißen Bartstoppeln und dem verkniffenen, zerknitterten Mund selbst aussah wie ein Stück Urgestein, nickte den Davonreitenden nach. Sohn Luc kannte die Gegend, ebenso wie sein Vater, wie aus der Westentasche. Die Pferde anscheinend auch, denn sie liefen gleichmäßig, in raumgreifendem Trab, ohne Zuruf und zielstrebig.

      Renate genoss die Landschaft: ein Himmelblau, das aus tausend Wasserlöchern in der grasgrünen Landschaft reflektiert wurde. Dazwischen ein paar Schilfstauden entlang der Wasserlöcher und windzerzauste Tamarisken an sandigen Stellen. Die Landschaft lag flach hingebreitet vor ihnen, so als sei sie ein Ölgemälde, darüber ergoss sich die weiße, südliche Sonne. Sie kamen an Reisfeldern und einzelnen Pfirsich-Plantagen vorbei und ritten auf die Sumpf-Fläche zu.

      »Das Herzstück der Camargue ist Gott sei Dank Naturschutz-Gebiet!«, erklärte Reni ihrer Freundin Gabi. Natürlich ritten sie nebeneinander!

      Alle Augenblicke flatterte ein weißer oder grauer Reiher vor ihnen auf, bunte Enten ruderten kopfnickend über die Wasserflächen, und einmal schwirrte sogar ein prächtig blauschillernder Eisvogel vor ihnen davon. »Toll!«, rief Reni begeistert. Hier gab es noch Natur pur, so richtig zum Auftanken!

      Gegen Mittag machten sie Rast auf einer sandigen Rasenfläche. Alle packten munter schwatzend ihren Proviant aus. »Bäh! Meine Marmelade ist ja in der Hitze ganz klebrig geworden!«, sagte Gabi und betrachtete mit gekrauster Nase ihr durchweichtes Brot.

      »Na gut – wenn du’s nicht magst, dann gib her!«, schmatzte Renate unbekümmert. Da beschloss Gabi, ihr Marmeladenbrot doch lieber selbst zu essen! Wer weiß, ob und wann sie heute irgendwo einkehren würden!

      Dann schwangen sie sich wieder in den Sattel und weiter ging’s! Am hitzeflimmernden Horizont konnte man kaum noch unterscheiden, wo die Wasserfläche aufhörte und der Himmel anfing. Renate entdeckte im Vorbeireiten viele fremdartige Tiere und Pflanzen. Da gab es feuerrote Libellen, merkwürdige Disteln, die aussahen wie Gewächse von einem anderen Stern, und zahlreiche Wasservögel, die sie sonst nur aus Bestimmungsbüchern kannte. Hier aber spürte sie, wie sehr doch die vielfältige, bunte Natur aus unserem Alltagsleben verdrängt worden war! Als ihr das klar wurde, beschloss sie, mehr für den Umweltschutz zu tun. Sie sagte das auch ihrer Freundin Gabi. Die nickte nachdenklich. »Ja, stimmt! Viele von den komischen Viechern hier hab’ ich sonst auch noch nie gesehen!«

      »Das sind keine ›komischen Viecher‹«!, protestierte Reni. »Und die gab’s früher in ganz Europa, bevor alle Sümpfe einfach trockengelegt wurden!«

      »Na, aber man brauchte doch die Flächen für die Landwirtschaft!«

      »Und? Haben wir heutzutage nicht schon eine Überproduktion?«

      »Ja, aber ich hab’ mal gelesen, in solchen Sümpfen gab’s früher auch Malaria und so ...«

      »O.K, aber dagegen gibt’s ja heute Medikamente! Und wer wohnt denn hier schon?«

      Doch bald vergaßen sie wieder ihre Grübeleien und gaben sich einfach der Schönheit der Natur hin. Dass man die Natur retten musste, so viel war beiden klar.

      Nun erreichten sie die große Seefläche der Lagune. Und dort waren sie! Renis Herz schlug höher. Wie an einem afrikanischen See stelzten dort rosa Flamingos herum, wenn auch nicht so unzählig viele wie im Tierfilm, und wenn auch ziemlich weit entfernt. Aber es

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