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Gutenbach lächelte verständnisvoll und sagte aufmunternd: »Glauben Sie mir, nach der ersten Prüfung kommt bei allen Kandidaten schon so was wie Routine auf! Die nächsten Prüfungen machen Sie dann alle mit links!«

      »Wenn man nicht gleich das Gefühl hat, irgendwo durchgefallen zu sein«, sagte Melanie verzagt.

      »Hör bloß auf!«, baten alle im Chor.

      »Nun machen Sie sich mal nicht verrückt!«, mahnte Herr Gutenbach. »Sagen Sie sich einfach: Ich hab’ die ganzen Jahre hindurch kontinuierlich was gelernt, und davon wird ja wohl irgendwas hängengeblieben sein!«

      »Wenn das so einfach wäre!«, seufzte Steffi. »Ich hab’ mich die ganzen letzten Wochen schon hingesetzt und wie wild gebüffelt, doch ich hab’ das Gefühl, ich hätte alles wieder vergessen!«

      »Was? Du auch?«, riefen Reni und Sabine gleichzeitig. Denn auch hier gab es eine Sabine.

      Dann hatten sie keine Zeit mehr, über ihr mulmiges Gefühl nachzudenken, denn schon wurde die große Aula geöffnet, und alle strömten hinein, mit einem Gefühl, als ginge es zum Schafott.

      Die Lehrer erklärten ihnen, wie sie die einzelnen Prüfungsblätter zu kennzeichnen hätten, und auch die sonstigen Vorschriften für den Prüfungsablauf. An Reni rauschte alles vorbei, so als würden die Lehrer Chinesisch reden. Jaja, nur die erlaubten Hilfsmittel und so weiter ... keine Spickzettel, klar ... plötzlich schreckte Reni zusammen. Was hatte der Lehrer gesagt? »... und die Seitenzahlen nummerieren Sie bitte alle mit arabischen Ziffern durch!«

      »Was? Arabisch?«, hallte Renis Notschrei durch den Klassenraum. Himmel – nun hatte sie doch was versäumt bei ihren Prüfungsvorbereitungen! Alle konnten Arabisch, nur sie nicht!

      Erst als die ganze Klasse in schallendes Gelächter ausbrach, merkte sie, dass sie vor lauter Aufregung ein Blackout gehabt hatte. Jetzt lachte sie mit. Behutsam wiederholte nun auch der Lehrer: »Ja, Frau Liedke – auf Arabisch! Ich bin sicher, dass Sie das beherrschen!« Auch er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

      Das allgemeine Gelächter wirkte so befreiend, dass keine so beklemmende Stimmung mehr aufkommen konnte wie zuvor. Renate sah sich um und entdeckte, dass außer ihr noch so manch Schüler oder Schülerin ein Maskottchen mitgebracht hatte, und es waren Klassenkameraden dabei, von denen man es am wenigsten gedacht hätte. Da saß Steffi mit einem Plüsch-Äffchen und drüben sogar Andrea mit einer riesigen Maus aus grauem Cord. Sabine hatte einen kleinen Comic-Tiger dabei und Melanie eine gelbe Ente. Steffi winkte Reni schnell mit ihrem Äffchen zu, und Reni hob, nicht faul, ihr grünes Plüsch-Krokodil und ließ es ebenfalls zu dem Äffchen zurückwinken.

      »Meine Damen und Herren, ich glaube, ich muss die Prüfungsaufgaben wieder einsammeln! Ich bin hier wohl versehentlich im Kindergarten gelandet!«, bemerkte der Lehrer trocken. Wieder lachten alle. Der Lehrer, es war der Lateiner Herr Dr. Hagen, sah gnädig über die stille Invasion der Maskottchen hinweg. Wenn diese nur dazu beitrugen, dass sich ihre Besitzer genügend ruhig auf ihre Prüfungsaufgaben konzentrieren konnten!

      In Bio hatte Renate das Thema »Das Sexualleben der Moose« gewählt, denn das konnte sie aus dem Effeff. Liebevoll malte sie die Behälter für Sporen, die Eizelle und die durchs Regenwasser schwimmenden Spermien auf. Denn diese Pflanzen haben genau solche Samenzellen wie Tiere und Menschen, jawohl! Daran sah man doch gleich, dass alles Leben auf der Erde letztlich verwandt war, sogar ein Elefant oder ein Mensch mit dem unscheinbaren Moos. Das faszinierte Reni an dieser Sache besonders.

      Sie bekam als Anschauungs-Objekt ein lebendes Moospflänzchen zugeteilt, das sie mit einer Pinzette untersuchen konnte. Behutsam zupfte sie an dem zarten Pflänzchen, ohne es kaputt zu machen: Ja, sie konnte alle Einzelteile benennen und erklären! Erleichtert stellte sie fest, dass sie gut mit dem Thema klarkam und sich gründlich vorbereitet hatte – so konnte sie die Klausur mit einem guten Gefühl abschließen.

      Nach der Klausur fragte sie: »Darf ich die Moospflanze behalten, oder muss die mit der Arbeit abgegeben werden?«

      »Ich glaube nicht, dass unser Schulamt die Pflanze als Prüfungsergebnis pressen will!«, scherzte der Lehrer. »Was wollen Sie denn damit?«

      »Ich will eine Moos-Kultur anlegen«, sagte Renate sehr sachlich. Dagegen war nichts einzuwenden.

      Schon war die erste Prüfung überstanden, und alle gingen nachhause. Der Lehrer schloss den Prüfungsraum ab. Da kam Andrea nochmal angerannt.

      »Haaaalt! Noch nicht abschließen! Ich habe meine Maus vergessen!«, rief Andrea aufgeregt und nahm immer gleich zwei Stufen auf einmal.

      »Ihre Maus? Ach so!«, lachte der Lehrer und schloss die Aula wieder auf. Rasch holte Andrea ihre große Cord-Maus und klemmte sie sich unter den Arm. »Wegen dir hab’ ich meinen Bus verpasst!«, rief sie ihr scherzhaft zu. Dann sprang sie ebenso eilig die Treppe wieder hinunter.

      Renate aber wickelte ihr Moospflänzchen sorgsam in ein feuchtes Taschentuch und trug es nachhause. Dort legte sie in einer flachen Keramikschüssel ihre »Mooskultur« an. Aus Scherz pflanzte sie noch ein kleines Schildchen auf einem Zahnstocher hinein, worauf zu lesen stand: »Abitur-Moos«. Als Rafi vorbeikam und das sah, meinte er: »Du hast einen Tick mit deinen Pflanzen! Mir wäre genug Moos in der Tasche lieber als in einem Blumenpott! Ohne Moos nix los!« Und er schüttelte seinen leeren Geldbeutel.

      Letzter Geburtstag daheim

      Vor lauter Abi geriet selbst Renates Geburtstag im März in den Schatten des großen Schul-Ereignisses. Es war ja auch das bisher wichtigste gesellschaftliche Ereignis in ihrem Leben! Ihre ganze Zukunft würde schließlich von ihren Abi-Noten beeinflusst – auch wenn Noten ja nicht alles sind im Leben. Renate beschloss kurzerhand, ihre Geburtstagsfeier diesmal ausfallen zu lassen – »Bis das Abi rum ist und ich meine Noten erfahre, ist mir doch nicht zum Feiern zumute!«, erklärte sie. »Nachfeiern kann ich dann immer noch!« Tamara und Tabea sowie ihre neuen Göttinger Freundinnen hatten vollstes Verständnis für Renates Entscheidung. Auch ihren Schulkameradinnen war vorerst nicht zum Feiern zumute. Dabei war es voraussichtlich der letzte Geburtstag, den sie daheim in Göttingen feiern würde. Denn der Vogel gedachte ja, aus dem Nest auszufliegen!

      Für die mündliche Abi-Prüfung hatte Renate unter anderem Spanisch gewählt. Nach ihrem tollen Aufenthalt in Sevilla hatte sie bereits damit begonnen. Italienisch konnte sie ja schon ganz gut, und Paul und Suse hatten dafür gesorgt, dass ihre Italienisch-Kenntnisse, die sie sich für ihren langen Aufenthalt in Neapel, bei Onkel Herbert, erworben hatte, nicht wieder einrosteten. »Mit einer Sprache ist es wie mit einer Buchstaben-Suppe«, hatte Suse treffend gesagt: »Man muss sie sich auf der geistigen Wärmhalte-Platte warmhalten – sonst verliert man den Geschmack daran!« Die Eltern bezahlten ihr und Rafi sogar die Kursgebühren für den Italienisch-Kurs, doch Rafi zeigte sich bald lustlos und sprang ab. So belegte nur Renate allein den Folgekurs. Und mit ihren Italienisch-Kenntnissen hatte sie jetzt gute Voraussetzungen für Spanisch gehabt, auch wenn sie anfangs oft sehr ähnliche Wörter verwechselte. Mit der Zeit gelang es ihr, die Wörter auseinanderzuhalten, und einige waren ja sogar gleich, wie »casa« für Haus.

      Nun saß sie in der mündlichen Spanisch-Prüfung den Lehrern gegenüber. Selbst die Direktorin war gekommen, denn sie freute sich über die Spanisch-AG an ihrer Schule. Die Direktorin sprach nämlich selbst Spanisch und stellte auch ein paar der Prüfungsfragen. Doch lag es nun an der Aufregung oder an der harten Aussprache des »rrrrr« im Spanischen – jedenfalls klebte Reni die Zunge am Gaumen wie ein trockenes Stück Leder, und mitten in der Prüfung fragte sie kläglich – sogar auf Spanisch –, ob sie nicht ein Glas Wasser haben dürfte?

      »Naturalmente!«, antwortete die Direktorin und schickte eine der Lehrerinnen, rasch ein Glas Wasser zu holen. Dankbar nahm es Reni und trank es in einem Zug leer. Dabei tropfte ihr etwas Wasser übers Kinn – und ehe sie sich’s versah, wischte sie es kurzerhand mit dem Ärmel ihrer schicken Bluse ab. Gleich darauf wurde sie rot. Wie ein Fuhrkutscher hatte sie sich benommen! Doch die Lehrer lachten nur gutmütig. Dann ging die Prüfung weiter. Reni war gut vorbereitet und ratterte ihre Sätze hinunter. Jetzt, nach dem Trinken, sprudelte ihr Spanisch hervor wie ein Wasserfall. Nur als sie im Eifer des Gefechts Mallorca größer

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