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Sollten wir in diesem Umfeld auf dem völlig falschen Dampfer sein, werden wir es schon merken.«

      »Hoffentlich rechtzeitig. Werden wir die Truppe einbestellen?« Gero Schonebeck schaute sich um. »Dürfte ziemlich eng hier werden.«

      »Ich denke, wir versuchen die Leute zu Hause anzutreffen. Dann haben wir einen besseren Überblick. Lebensverhältnisse und so«, erklärte Arndt Kleemann. »Wen wir nicht erreichen, dem hinterlassen wir eine Nachricht. Der soll sich dann bei uns melden.«

      »Alles klar.« Gero Schonebeck nahm seine Leder­jacke von der Garderobe.

      Michael Röder bezweifelte, dass die Jacke für Baltrumer Wetterverhältnisse geeignet war. Es war kühl und ein kräftiger Wind fegte Regentropfen quer über die Insel. Er hatte eine alte Dienstjacke im Schrank. Sollte er …? Nein, sie würde Gero nicht passen.

      »Also, Namen und Adressen.«

      Wenn Eilert Thedinga wüsste, mit was für einer Furie er es in Kürze zu tun hatte, wäre der bestimmt nicht so eifrig, dachte Röder und erklärte den Männern, wie sie fahren mussten. »Mit ›Adresse‹ dürfte es schwierig werden. Zumindest mit Straßenbezeichnungen. Da sage ich euch nichts Neues. Hier haben wir Haus­namen und Hausnummern.« Er zog einen Plan aus der Schreibtischschublade und kreuzte die jeweiligen Lagepunkte der Häuser an. »Ich hoffe, ihr kommt damit klar. Sonst ruft mich an.«

      Zum Glück kannte Arndt sich einigermaßen auf der Insel aus. Röder holte drei Fundfahrräder aus dem Gartenhäuschen. Er atmete auf, als er sah, dass sie betriebsbereit waren. Sogar das Licht funktionierte bei allen. Die Sorge um die Räder überließ er immer gerne seinen Hilfssheriffs. Das allerdings hätte ihm heute wenig genützt. Eilert war schließlich gerade erst angekommen.

      »Hier möchte ich kein Postbote auf Urlaubsvertretung sein«, überlegte Eilert Thedinga. »Da musst du erst einen Lehrgang machen, bevor du die Pakete an den Mann bringen kannst.«

      »Wohl wahr«, erwiderte Michael Röder. »Also – bis später wieder hier in der Wache.«

      Es war bereits dunkel, aber Röder meinte Enno Seeberg zu sehen, der einem anderen Mann die Tür zur Gaststätte offenhielt. Gehörte Enno nicht auch zu den Proniggels? Sollte er ihn hier und jetzt ansprechen? Nein. Er würde wie verabredet mit Jörg Weber Kontakt aufnehmen, dann gegebenenfalls mit den anderen Jägern reden. Seeberg würden sie sich noch vornehmen. Ganz sicher.

      *

      Aber es war nicht Jörg Weber, den er zuerst aufsuchte, sondern Reinhart Petri. Dessen Häuschen lag auf dem Weg. Er klopfte.

      Nach einer Weile öffnete Petri die Tür eine Handbreit und schaute ihn misstrauisch an. »Was gibt’s?«

      »Darf ich reinkommen?«, fragte Röder ruhig.

      Widerwillig gab Reinhart den Weg frei. Es roch in dem kleinen Flur, als wäre lange nicht gelüftet worden. Im Wohnzimmer war es nicht viel besser. Der Fernseher lief. Das Frühlingsfest der Volksmusik. Andrea Berg besang inbrünstig die Liebe zu ihrem Traummann.

      »Willst du dich setzen?« Reinhart Petri räumte einen Stapel Jagdzeitungen von einem Sessel, sorgsam darauf bedacht, dass der Haufen nicht auseinanderrutschte.

      »Wenn du den Fernseher leiser machen würdest, wäre es einfacher.« Röder setzte sich vorsichtig hin. Er erwartete, dass sich jeden Moment ein paar Sprung­federn in sein Hinterteil bohrten, wenn er sich zu heftig bewegte. Aber alles ging gut. Reinhart folgte seinem Wunsch und stellte den Ton leiser.

      »Du hast mir in den Dünen bereits erzählt, wie ihr, du und Jörg, die Tote entdeckt habt. Ist dir im Nachhinein noch etwas aufgefallen? Etwas, das mit dem Tod, oder auch mit der Person zu tun hat?«

      Reinhart Petri überlegte, dann schüttelte er knapp den Kopf.

      »Wie viele Gewehre hast du?«

      »Wieso? Ich bin Jäger. Alles ist angemeldet«, sagte Reinhart schroff. Immer wieder glitt sein Blick zum Fernseher, auf dem inzwischen ein Ballett leichtbekleideter Damen im Gleichtakt die Beine nach oben warf. Reinhart Petri murmelte vor sich hin.

      »Was sagtest du?«, erkundigte sich der Polizist.

      »Nichts.«

      »Bitte. Reinhart. Was hast du gesagt?«

      »Ich meine nur. Die müssen nicht fast nackt auftreten. Das ist ungehörig«, sagte Reinhart Petri undeutlich.

      Röder schaute genauer hin. Na gut, einen Wintermantel hatten die Damen vom Ballett nicht gerade an. Aber immerhin – sie hatten etwas an. Außerdem war das nicht der Grund seines Besuches. »Reinhart, deine Waffenbesitzkarte, bitte. Es nützt nichts. Glaube mir. Wenn du sie mir nicht freiwillig gibst, werde ich dafür sorgen, dass wir uns hier ganz genau umschauen können.«

      Stöhnend stand Reinhart Petri auf und verließ das Wohnzimmer. Röders Blick fiel auf einen weiteren Stapel Hefte, der auf der Anrichte lag. Vielleicht gab es hier wertvolle Informationen über Jagdausrüstungen, Munition und dergleichen. Doch es waren nur ein paar wenige Broschüren, die sich mit der Jagd beschäftigten. Alle anderen trugen Namen wie Der Landser und National-Zeitung. Ein Flyer rutschte aus dem Stapel. Von der NPD. Maria statt Scharia.

      »Was machst du da? Hast du einen Durchsuchungsbefehl? Raus hier. Sofort raus!«

      Der Polizist hatte nicht gemerkt, dass Reinhart Petri wieder ins Zimmer gekommen war. Dass der Mann so laut werden konnte, hatte er noch nie erlebt. »Ist ja gut.« Zu gern hätte er die Ansammlung dieser Blätter kommentiert. Doch er hielt sich zurück. »Kann ich jetzt die Unterlagen haben?«

      Wortlos drückte Reinhard Petri sie ihm in die Hand.

      »Ich nehme sie mit. Kriegst sie so bald wie möglich wieder.«Er war froh, als er wieder draußen war. Viel hatte er nicht erfahren. Eigentlich gar nichts. Nur dass es stimmte, was erzählt wurde. Der Mann gehörte zur rechten Szene auf der Insel. Es gab nicht viele davon. Und sie waren unauffällig. Aber es gab sie.

      Michael Röder hoffte, dass sein Gespräch mit Jörg Weber angenehmer verlaufen würde.

      *

      »Was möchtet ihr trinken?« Der schwarzhaarige Wirt der Alten Liebe hatte gut zu tun. Die kleine Kneipe war gerammelt voll. Überwiegend Raucher. Denn hier durfte man. Enno Seeberg überlegte kurz, ob es wohl klug gewesen war, sich ausgerechnet diese Kneipe für ihr Treffen auszusuchen. Nicht, dass er nicht gerne hinginge. Der Wirt war nett, die Stimmung gut. Aber Anke würde an ihm riechen und angewidert das Gesicht verziehen, wenn er zu ihr kam.

      Enno bestellte zwei Bier. Vergebens suchte er nach einem freien Platz an einem der Tische. Er sah viele unbekannte Gesichter und die vertrauten bierseligen der Insulaner, die immer da waren. An ihren Stammplätzen an der Theke. Für ein intensives Gespräch war es entschieden zu laut. Sie würden sicher nicht lange bleiben. Aber erst einmal ein Bier. Er nahm die beiden Gläser, die der Wirt vor ihm abgestellt hatte, und schob sich zu Werner Gronewald durch, der gleich rechts von der Tür stehen geblieben war.

      »Ich hätte nicht gedacht, dass am Anfang der Saison schon so viel los sein würde.« Er prostete Werner zu.

      »Tja, ist bestimmt jedes Mal eine Umstellung, von null auf hundert, wenn die Saison wieder anfängt, oder?«, fragte Werner.

      »Klar. Egal wo auf der Insel. Das fängt bei der Überfahrt an. Das große Schiff, die Baltrum I, liegt im Winter auf der Schiffswerft Diederich in Oldersum. Du weißt schon, an der Ems. Dort werden alle nötigen Reparaturen erledigt. Das kann manchmal ganz schön aufwändig sein. Das Unterwasserschiff muss gestrichen, Sitzbänke ausgewechselt und neue Techniken eingebaut werden. Natürlich muss alles bis zum Beginn der Saison fertig sein. Genau wie bei allen anderen Seebäderschiffen, die dort generalüberholt werden.«

      »Ich weiß. Ich war erst im Sommer in Oldersum. Zu ihrem weltberühmten Dorffest. Weißt du, wie das heißt?«

      Enno Seeberg blickte seinen Bekannten fragend an.

      »Glaub es mir oder nicht: Dieses Fest heißt ›Mein lieber Scholli‹. Weil die da dann Schollen

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