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auch auf überregionale Legitimität, Macht und Autorität geltend zu machen«. Das verlieh der Zeremonie von Gent »in ritueller Hinsicht zumindest etwas von der Bedeutung, die anderswo in Europa den Krönungszeremonien zukam – Zeremonien, die den Herrschern der Niederlande versagt blieben«.9

      Ganz vertraute Philipp den braven Bürgern von Gent jedoch nicht. Drei Wochen vor Karls Geburt ordnete er an, dass 30 Bogenschützen und 25 Hellebardisten fortan »bereitstehen [sollten] ab der Zeit, da der Erzherzog des Morgens aufsteht, um ihn auf dem Weg zur Messe zu begleiten«. Ohne ausdrückliche Genehmigung, hieß es weiter, durfte diese Leibwache »den Palast nicht verlassen«, sondern sollte »die Person des Erzherzogs schirmen und beschützen«, Tag und Nacht.10 Derlei Vorkehrungen waren alles andere als müßig: Nach dem Tod Marias von Burgund im Jahr 1482 hatte die Stadt Gent sich geweigert, ihren Ehemann Maximilian als Herrscher über die burgundischen Niederlande und Vormund ihrer unmündigen Kinder anzuerkennen. Vielmehr ließen die Stadtoberen den jungen Philipp als Geisel gefangen setzen und bestellten einen Regentschaftsrat, »um das Anrecht unseres Herrn, Eures Sohnes, zu schützen, den wir für unseren Fürsten und rechtmäßigen Herrn erachten, und keinen anderen«.11 An der Spitze von Truppen aus seinen deutschen und österreichischen Herrschaftsgebieten schlug Maximilian diesen Ungehorsam nieder und befreite seinen Sohn, den er in die loyale Stadt Mecheln überstellen ließ; drei Jahre später jedoch sollte Maximilians selbstherrliches Verhalten zuerst seine Gefangennahme und Inhaftierung in Gent, gefolgt von seiner Ausweisung aus den Niederlanden provozieren.

      Die Zeit von Philipps Minderjährigkeit, die an seinem 15. Geburtstag 1493 endete, war von Aufruhr, Fraktionshader und Krieg geprägt gewesen. Das ließ den jungen Herrscher einen Regierungsstil wählen, der von dem seines Vaters grundverschieden war. Denn, wie Philipp 1497 selbst erklärte: »Seitdem wir volljährig geworden sind und die Gefolgschaft unserer Länder erhalten haben, hat uns stets das ernste Verlangen, Bedürfnis und Streben bewegt, die große Unordnung zu beenden, die hierzulande aus alten Kriegen und Spaltungen erwachsen ist, sowohl innerhalb unseres eigenen Hauses als auch anderenorts in unseren besagten Landen, und stattdessen Ordnung herzustellen.«12 Ein Jahrzehnt später hielt der venezianische Gesandte am burgundischen Hof, Vincenzo Quirino, Philipps Politik für einen großen Erfolg. Philipp, schrieb er, sei »von Natur aus gut, großzügig, offen, liebenswürdig und freundlich, ja beinahe innig gegen jedermann« und habe »sich mit seiner ganzen Macht bemüht, dem Recht zur Geltung zu verhelfen. Er war gottesfürchtig, und was er versprochen hat, das hat er gehalten.«

      Jedoch, fügte Quirino hinzu, »obgleich er schwierige Sachverhalte rasch begriff, erledigte er sie nur langsam und mit Zögern. Alles übergab er seinen Beratern.« Und weiter hielt er fest: »Nach meiner eigenen Erfahrung werden Entscheidungen an seinem Hof auf äußerst schwankende und wechselhafte Weise getroffen«, denn »oft wird im Rat die eine Sache beschlossen, aber etwas völlig anderes getan.« Gutierre Gómez de Fuensalida, der spanische Gesandte, pflichtete bei: Der Erzherzog, schrieb er, sei »überaus wankelmütig, und seine Meinung zu beeinflussen, ist für jedermann ein Kinderspiel«. Einmal tadelte Maximilian seinen Sohn, dieser habe »auf Verräter und treulose Ratgeber« gehört, »die Euch [verquere] Vorstellungen in den Kopf gesetzt haben, um einen Keil zwischen Euch und mich zu treiben«, und empfahl, dass »es besser für Euch wäre, wenn Ihr zunächst mir von Euren Plänen berichtest, und erst dann Euren Ministern, anstatt mich wie einen Fremden zu behandeln«. Aber Maximilians wiederholte Forderung, der Sohn solle seinem Beispiel folgen – und das hieß vor allem: Krieg gegen Frankreich führen –, führte am Ende nur dazu, dass Philipp sich (wie Quirino schreibt) »zwischen der väterlichen Zuneigung und dem innigen Vertrauen, das er in seine Minister setzte, hin- und hergerissen« fühlte. Kurz gesagt: »Er steckt in einem Labyrinth.«13

      Olivier de la Marche, ein altgedienter Höfling der burgundischen Herzöge, der Philipps Lehrer wurde, scheint diesen ungünstigen Beurteilungen beigestimmt zu haben, denn am Schluss seiner Memoiren, die er unmittelbar vor seinem Tod im Jahr 1502 fertigstellte, nennt er den Erzherzog »Philipp Leichtgläubig« (»Philippe-croy-conseil«).14 Freilich hatte La Marche in seiner ein Jahrzehnt zuvor verfassten »Einleitung« den erlauchten Schüler noch davor gewarnt, dem Beispiel seines allzu eigenwilligen Vaters Maximilian zu folgen. »Lasst mich euch die Wahrheit sagen«, bittet er Philipp da mit Nachdruck: »Nie dürft ihr euren Untertanen Macht über euch einräumen, aber immer müsst ihr ihren Rat und ihre Hilfe einholen, damit sie eure großen Vorhaben umsetzen helfen und unterstützen.« La Marche pries den Erzherzog als einen, der – nach einem Vierteljahrhundert Krieg und Aufruhr – »das Land wieder auf die Füße gestellt hat, indem er gute Ratschläge beherzigte«: Er hatte seine verstreuten Besitzungen vereint und befriedet; er hatte die uneingeschränkte Geltung der habsburgischen Autorität gesichert; und er hatte ein Gremium von mehr als dreißig vertrauenswürdigen Ratgebern um sich geschart, von denen viele auch noch seinem Sohn hilfreich zur Seite standen. So schuf er ein wichtiges Element politischer Stabilität und Kontinuität, das einen Rückfall in die bürgerkriegsähnlichen Zustände, die dem Tod seiner Vorgänger jeweils gefolgt waren, zu vermeiden half.15

      Der junge Herzog von Luxemburg ahnte von alldem nichts. Aus den Unterlagen der Hofhaltung geht hervor, dass schon wenige Wochen nach seiner Geburt »die Erzherzogin und ihre edlen Kinder« (Karl und seine um fünfzehn Monate ältere Schwester Eleonore) Gent verlassen und sich zuerst nach Brügge und dann nach Brüssel begeben hatten. Dort erkrankte Johanna ernstlich, und Liberal Trevisan, Philipps Leibarzt und Mitglied seines Rates, widmete sich »während neunundvierzig Tagen ohne Unterlass« gemeinsam mit »anderen Doktoren und Wundärzten unserer über alles geliebten Ehefrau, um sie von einer Krankheit zu heilen«.16 Karl wird davon nichts mitbekommen haben. Wie ein spanischer Diplomat berichtete, wurden der Herzog von Luxemburg und seine Schwester »gemeinsam in ihren Gemächern aufgezogen und ihrer Dienerschaft ist niemand hinzugefügt worden« – mit einer Ausnahme: Barbe Servels, die »über neun Monate hinweg meine hauptsächliche Amme war«, wie Karl vier Jahrzehnte später festhielt. Barbe, eine gebürtige Genterin, säugte ihren hochgeborenen Schützling von Anfang an, und Karl blieb ihr zeitlebens treu ergeben: Er war Taufpate ihres Sohnes, an dessen Werdegang er regen Anteil nahm, und als Barbe 1554 starb, ordnete er an, dass sie in der St.-Gudula-Kathedrale von Brüssel begraben werden sollte, und ließ ihr zu Ehren ein Epitaph anfertigen.17

      Die Berichte des spanischen Gesandten Fuensalida an Ferdinand und Isabella liefern die frühesten Nachrichten von Karl und seiner Schwester. Nach seiner ersten Aufwartung im August 1500 schrieb Fuensalida, was wohl alle Großeltern gern hören: Im Alter von fünf Monaten sei »der Herzog von Luxemburg so groß und stark, dass man ihn für einen Knaben von einem Jahr halten könnte«, während seine Schwester Eleonore, nun beinahe zwei Jahre alt, »so lebhaft und anstellig, ja so weit entwickelt erscheint wie eine Fünfjährige«. Selbstredend waren die beiden »die hübschesten Kinder auf der ganzen Welt«. Um die Zeit seines ersten Geburtstages machte Karl »bereits die ersten Schritte in einem Laufgestell (carretonçillo)« und »geht mit einer Zuversicht und Kraft, die einem Dreijährigen anstehen würden«; bis zum August 1501 hatte er sich zum »stärksten Kind seines Alters [entwickelt], das ich je gesehen habe«.18

      Das Interesse der Katholischen Könige spiegelte – zumindest in Teilen – auch eine akute Besorgnis über die Zukunft ihrer Dynastie wider. Im Jahr 1497 war ihr Erbe und einziger Sohn Johann gestorben und hatte seine schwangere Ehefrau Margarete allein zurückgelassen; auch das Kind war kurz nach der Geburt gestorben. Damit wurde Johannas ältere Schwester Isabella zur Erbin des gesamten von den Katholischen Königen regierten Herrschaftsgebietes; aber auch sie starb bereits 1498, kurz nachdem sie einen Sohn zur Welt gebracht hatte – der ihr wiederum zwei Jahre darauf ins Grab folgen sollte. Am 8. August 1500 erhielt Philipp ein Schreiben aus Spanien, das »den Tod des Kindes mitteilte, sodass mein Herr nun Thronfolger wurde«. Drei Tage später unterschrieb Philipp erstmals einen Brief mit »Yo el príncipe« (»Ich, der Fürst [von Asturien]«), dem traditionellen Titel des spanischen Thronfolgers.19

      Diese Ereignisse hatten profunde Auswirkungen auf das Leben des kleinen Herzogs von Luxemburg. Auf lange Sicht würde er als Philipps und Johannas ältester Sohn seinem Vater wohl in Spanien wie auch in den Niederlanden und in Österreich nachfolgen. Auf kurze Sicht ließen ihn seine Eltern zurück, weil

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