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und bizarre Muschelkästchen. Hinter dem Ladentisch, auf dem Säckchen mit duftendem Lavendel lagen, stand eine groß gewachsene Frau mit tiefbrauner Haut und dichten schwarzen Haaren, die im Nacken zu einem Knoten geschlungen waren. Sie trug Jeans und eine Bluse aus türkisfarbener Seide.

      »Mama, das ist Sophie«, sagte Mireille und schob ihre Freundin vorwärts.

      Frau Colomb kam hinter dem Ladentisch hervor, umarmte Sophie und gab ihr einen Kuss, worüber diese verlegen errötete.

      »Ich freue mich, dich kennenzulernen! Mireille hat mir viel von dir erzählt!«, sagte sie mit herzlicher Stimme. »Du wirst nach der langen Fahrt gewiss todmüde sein! Geht schnell hinauf, Finette wird euch Kaffee machen.«

      Finette war Mireilles Großmutter; das wusste Sophie aus den Erzählungen ihrer Freundin. Sie folgte Mireille, die eine dunkle, enge Treppe hinaufpolterte. Ein Flur führte zur Wohnung im ersten Stock. Sophie wurde in ein großes Zimmer geführt. Die Fensterläden waren wegen der Hitze geschlossen. Schwere, alte Möbel standen im Raum. An der Decke hing ein großer Leuchter. Es roch ein wenig modrig, nach Bohnerwachs und Äpfeln.

      »Das Haus ist über hundert Jahre alt und ziemlich verwohnt«, bemerkte Mireille. Als sie »Finette!« rief, wurde eine Tür geöffnet, und es erschien eine ganz in Schwarz gekleidete, kleine, alte Frau. Eine Silberbrosche hielt das Schultertuch vorn auf ihrer Brust zusammen. Ihr runzliges Gesicht drückte verschmitzte Güte aus. »Du bist ein unmögliches Kind, Mireille. Da lässt du deine Freundin mit dem schweren Rucksack stehen! Komm, lass dir helfen.« Mit unerwarteter Kraft half sie Sophie, den Rucksack abzunehmen.

      »Vielen Dank, Madame«, sagte Sophie unsicher.

      »Ich heiße Finette«, wurde sie von der Großmutter belehrt.

      »Und ich rate dir, sie ja nicht ›Großmutter‹ zu nennen«, fiel Mireille ein. »Da wird sie böse.«

      »Jeder hat so seine Eigenarten, und ich habe meine«, sagte die Großmutter, packte Sophies Rucksack mit einem einzigen Ruck am Riemen und stellte ihn an die Wand. »Anstatt dummes Zeug zu reden, solltest du deiner Freundin lieber das Badezimmer zeigen. Sie muss sicher Pipi machen und sich das Gesicht waschen.«

      »Komm mit!«, rief Mireille lachend und zog Sophie hinter sich her. »Erschrick nicht, es kollert in den Rohren, und das ganze Haus dröhnt, wenn du die Kette ziehst.«

      Als Sophie ins Wohnzimmer zurückkehrte, standen auf dem Tisch zwei winzige Tassen mit schwarzem Kaffee, eine Zuckerdose und ein Teller mit überzuckertem Mandelgebäck.

      »Versuch es mal«, forderte Mireille sie auf.

      Sophie nahm davon. Das Gebäck schmolz ihr auf der Zunge. Finette lächelte sie an und verschwand aus dem Zimmer.

      »Hat Finette das gebacken?«, fragte Sophie verblüfft. »Was glaubst du denn? Dass sie es beim Konditor kauft?«

      Sie tranken den Kaffee und leerten den Teller mit dem Mandelgebäck. Dann zeigte Mireille Sophie ihr Zimmer. Es war viel höher und geräumiger als ihr Zimmer zu Hause, ging aber auf eine Geschäftsstraße hinaus, von der lautes Geräusch, Stimmen und Schritte heraufdrangen. Mireille beugte sich hinaus und schloss die Fensterläden.

      »Tagsüber ist es hier so laut, dass ich im Wohnzimmer arbeiten muss«, sagte sie. »Aber nachts ist es still wie in einem Kloster.« Ein Spiegelschrank aus schwerem Eichenholz stand neben einem ungewöhnlich schmalen altertümlichen Bett.

      »Das war Finettes Bett, als sie noch jung war«, sagte Mireille. »Ich bekam es von ihr zu meinem zehnten Geburtstag geschenkt. Du schläfst heute Nacht hier.« Sie klopfte auf ein Sofa, das Finette – oder jemand anders – mit frischen, nach Lavendel duftenden Leintüchern bezogen hatte. »Deinen Rucksack brauchst du gar nicht auszupacken. Mutter bringt uns morgen zum ›Mas‹.«

      »So etwas, fast hätte ich’s vergessen!« Sophie schlug sich an die Stirn. »Ich hab versprochen, zu Hause anzurufen, um zu sagen, dass ich gut angekommen bin.«

      »Das machen wir unten im Laden«, antwortete Mireille. »Mutter wird die Vorwahl für dich heraussuchen.«

      Erst nachdem die letzte Pflicht erledigt war, fühlte sich Sophie wirklich in den Ferien!

      Die Zeit bis zum Abend verging wie im Fluge: Die beiden hatten sich so viel zu erzählen, dass sie gar nicht merkten, wie spät es inzwischen geworden war.

      »Habt ihr denn gar keinen Hunger?«, fragte Frau Colomb erstaunt, als sie nach Ladenschluss heraufkam. »Es wird langsam Zeit fürs Abendessen. Wie ich Finette kenne, wird sie sich heute Abend mit dem Kochen übertroffen haben!« Sie deckte flink den Tisch. Teller und Besteck kamen auf eine gestickte Tischdecke. Als alles bereit war, tauchte Finette mit rotem Kopf und zufriedener Miene aus der Küche auf; sie trug mit beiden Händen eine riesige Suppenschüssel herein.

      »Nach so einer langen Reise muss man sich stärken«, sagte sie und füllte energisch Sophies Teller, die bei dieser Portion an ihre zu engen Jeans denken musste. Der herrlich duftenden Fischsuppe folgte ein üppiger Ei-Käse-Salat mit Nüssen, dann geschmorte Fische und ein Brathähnchen mit Oliven und verschiedene Gemüse. Nachdem Sophie zum Schluss noch eine köstliche Schokoladencreme mit Schlagsahne zu sich genommen hatte, war ihr zumute, als könnte sie nicht einmal den kleinen Finger mehr bewegen. Ihr Magen schien prall gefüllt, und sie musste heimlich zwei Knöpfe ihrer Hose öffnen.

      Frau Colomb wollte am nächsten Morgen frühzeitig aufbrechen. »Ich muss auf der Rückfahrt einen Umweg über Nîmes machen, um mit einem Töpfer zu sprechen, und ich möchte vor dem Mittagessen zurück sein.« Sie wandte sich an Sophie, die ein Gähnen zu unterdrücken versuchte: »Kaffee?«

      Verlegen schüttelte Sophie den Kopf, und Finette sagte streng: »Die Kleine fällt ja vor Müdigkeit um. Sie muss jetzt ins Bett, wenn sie morgen schon wieder reisen will. Sie hat ja viel vor. Auch das Reiten ist anstrengend, wenn man es nicht gewöhnt ist.«

      »Es sieht aber gar nicht schwer aus«, erwiderte Sophie.

      »Das hängt auch vom Pferd ab«, sagte Mireille. »Ich habe dir ja von Etoile erzählt, dem verrückten Hengst meiner Tante.«

      »Was ist aus ihm geworden?«, fragte Sophie.

      »Immer das Gleiche! Der Witz ist nur, dass Alain jetzt auch spinnt! Er hat es sich in den Kopf gesetzt, Etoile zu reiten. Ist dir klar, was das heißt? Ein Pferd, das keinen Menschen an sich herankommen lässt! Als Alain zu Tante Justine sagte, er wolle Etoile zähmen, lachte sie laut auf. ›Junge‹, sagte sie, ›wenn es dir gelingt, drei Minuten im Sattel zu bleiben, schenke ich dir das Pferd!‹ Das ließ sich Alain natürlich nicht zweimal sagen, und er sauste sofort hinaus, um sein Pferd zu satteln. Seither hat Etoile keine ruhigen Tage mehr«, schloss Mireille lachend.

      »Ich würde mich wundern, wenn ihm das Zureiten gelänge«, sagte Frau Colomb. »Alain ist viel zu ungestüm, zu ungeduldig. Bei Pferden kommt man mit sanfter Energie besser ans Ziel. Alain sollte nicht vergessen, dass Etoile einen schweren Schock erlitten hat. Ich glaube kaum, dass sich das jemals wieder einrenken lässt.«

      Sophie hatte ihre Müdigkeit vergessen und hörte voller Spannung zu.

      »Ich habe immer davon geträumt, die Camargue kennenzulernen!«, warf sie glücklich ein.

      Finette wiegte den Kopf. »Die Camargue gehört zu den letzten Paradiesen auf Erden«, sagte sie mit ihrer spröden, aber guten Stimme. »Jedoch wie alle Paradiese ist auch sie zum Untergang verurteilt.«

      Sophie starrte sie betreten an. »Zum Untergang verurteilt? Wieso?«

      Finette stieß einen leisen Seufzer aus. »Der Mensch verdient das Paradies nicht. Er kann es nur verderben und verwüsten.«

      Mireilles Stimme unterbrach das Schweigen. »Lass dich nicht beeindrucken, Sophie! Wir sind’s gewöhnt: Nach dem Essen verfällt Finette mit Vorliebe in düsteres Grübeln.«

      »Stimmt!«, erwiderte die Großmutter gleichmütig. Ein spöttischer Funke tanzte in ihren braunen Augen. »Sag, isst du gerne frische Croissants zum Frühstück?«, fragte sie Sophie.

      »Du

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