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und warum es geschah. Das war Barbara Lautrup ihr schuldig! Es wurde ihr mulmig, denn sie wurde den Eindruck nicht los, dass hier eine Welle auf sie zurollte und es längst zu spät war, dieser auszuweichen.

      Ihr Telefon klingelte, es war Kai. Zögerlich nahm sie das Gespräch an. Er erkundigte nach dem Treffen. Ihren kurzen Bericht schloss sie mit der Nachricht, dass Renate verstorben sei.

      Es war einen Moment still in der Leitung. „Das ist ja ein Ding! Wieso tot?“

      Was war das für eine Reaktion? Sie hätte ein wenig Mitgefühl erwartet und zwang sich, ruhig zu bleiben.

      „Sie wurde heute tot aufgefunden. Ich finde das alles seltsam. Kommt dir das nicht merkwürdig vor?“

      Er schien zu überlegen. „Ja, doch. Da siehst du mal, was es für Zufälle gibt.“ Die Antwort klang in ihren Ohren gleichgültig.

      Plötzlich begann er von den begonnenen Renovierungen an der Außenfassade seiner Apotheke zu erzählen. Sie hörte die Worte, ohne den Inhalt aufzunehmen. Zum einen drifteten ihre Gedanken ständig ab, außerdem bemerkte sie erneut, wie gering sein Interesse an ihren Gefühlen war. Nach ein paar weiteren Floskeln beendeten sie das Telefongespräch. Der Kloß in ihrem Hals ließ sich nicht runterschlucken, ihre Augen wurden glasig. Unvermittelt öffneten sich alle Schleusen und sie weinte hemmungslos.

      ***

      Julia betrat pünktlich um 19 Uhr die Lobby des Hotels. Sie schlug Diana vor, zu Sänger's Restaurant zu gehen, das ein Stück entfernt in derselben Straße lag.

      Beim Betreten des Lokals begrüßte sie die Chefin mit Handschlag.

      Diana gefiel die Wohnzimmeratmosphäre mit den weißen Stuckdecken. Eine Kellnerin führte sie zu einem abseits stehenden Tisch. Nach einem kurzen Blick in die Karte bestellten sie ein Menü.

      Sie nippte an einem Glas Sekt, das sie sich als Aperitif gönnte und beobachtete ihre Schwester, als diese von ihrem Besuch bei Barbara erzählte. Ein eiskalter Schauer durchlief sie, als sie erfuhr, dass Renate ermordet worden war. Hatte das mit ihr zu tun? Schließlich geschah die Tat am Tag ihrer Ankunft! Sie wischte sich die feuchten Hände an den Jeans ab.

      Julia schien die Veränderung bei ihr bemerkt zu haben. „Wir sind mindestens genauso geschockt wie du. Mutter kann es überhaupt nicht fassen. Wer macht so etwas?“ Die letzte Frage stellte sie eher sich selbst.

      Diana atmete tief ein und versuchte sich zu beruhigen, indem sie sich wieder auf ihre Zwillingsschwester konzentrierte.

      Wie vertraut sie ihr vorkam. Sie hatte sich in ihrer Kindheit immer eine Schwester gewünscht. Jemand, mit dem sie hätte Geheimnisse haben können. Klar gab es Freundinnen, doch das war nicht dasselbe gewesen.

      Julia riss sie aus ihren Gedanken. „Was machst du eigentlich? Beruflich, meine ich.“

      Sie lachte. „Ich bin auch Ärztin, kümmere mich in einer eigenen Praxis in Celle um Kinder und Jugendliche.“

      „Hast du Geschwister?“

      „Nein.“ Sie erzählte vom Autounfall ihrer Eltern, als sie zehn Jahre alt war. „Ich bin bei den Großeltern väterlicherseits aufgewachsen. Die haben, so gut es ging, versucht, mir Papa und Mama zu ersetzen. Sie besaßen einen Obst- und Gemüseladen.“

      „Oh, das war bestimmt nicht einfach.“

      „Ja, das Geschäft hat sie sechs Tage die Woche auf Trab gehalten. Am Sonntag wurde die Buchhaltung gemacht. Ich durfte auch oft helfen.“ Sie verzog das Gesicht.

      „Trotzdem musst du ein Bombenabitur geschafft haben, sonst hättest du keine Ärztin werden können!“

      „Ja, die Schule fiel mir zum Glück leicht.“

      „Leben sie noch?“

      „Nein, sie sind 2001 und 2003 gestorben. Erst Oma, später Opa.“ Sie zögerte. „Bist du eigentlich verheiratet?“

      „Hat sich nicht ergeben. Der Richtige wurde bisher nicht gebacken.“ Julia lachte. „Ich bin genug mit meinen Projekten beschäftigt. Ich kümmere mich um Flüchtlinge. Das kostet neben der Praxis ziemlich viel Zeit.“

      Die Atmosphäre entspannte sich zunehmend. Sie wechselte das Thema. „Erzähl mir von Mutters Krankheit.“

      Julia schilderte, dass bei Barbara vor fast zwei Jahren bei einer Routineuntersuchung eine akute Leukämie festgestellt worden sei. Sie erhielt daraufhin eine Chemotherapie. Nachdem diese und eine erneute Behandlung nicht anschlugen, spendete ihr Julia Knochenmark. Zunächst sah es danach aus, als ob sie gesund werden könnte, bevor sie vor drei Monaten einen Rückfall erlitten habe. Diesmal gestalte sich der Krankheitsverlauf deutlich aggressiver.

      „Sie hat beschlossen, auf eine weitere Therapie zu verzichten. Alles Zureden meinerseits hat nicht geholfen.“ Sie machte eine kurze Pause und sah aus dem Fenster. „Sie möchte dich übrigens morgen treffen. Falls es bei dir passt, fahren wir am Abend zu ihr.“

      Genau das hatte Diana gehofft. Es tat bereits jetzt weh, ihre Mutter, von der sie erst vor wenigen Tagen erfahren hatte, so schnell zu verlieren. Sie verstand deren Entscheidung, zumindest menschlich.

      „Wer ist unser Vater?“, wechselte sie erneut das Thema, nachdem sie ein köstliches Stück Zander gegessen hatte.

      „Ich hoffe Karl-Heinz Lautrup“, lachte ihre Schwester. Dann wurde sie sofort ernst. „Er ist tot.“

      Sie erzählte von dem Flugzeugabsturz und erwähnte die Fragen der Kommissare.

      Dianas Augen weiteten sich. Sie nahm den Zeitungsartikel aus ihrer Handtasche, den ihr Renate gegeben hatte.

      „Schau dir das an. Frau Hubert glaubte bis zuletzt nicht an einen Unfall!“

      Julia las den Artikel. „Das ist eindeutig ihre Handschrift. Sie hatte von Anfang an eine Verschwörungstheorie. Mutter will davon nichts hören. Ich glaube ebenfalls, dass es ein Unglück war.“ Sie gab ihr die Seite zurück.

      Der Nachtisch wurde gebracht und beide schwiegen, während sie ihr Himbeerparfait aßen.

      Die Unterhaltung wurde immer lockerer, bald unterhielten sie sich über Gott und die Welt.

      Nach der zweiten Flasche Rotwein bemerkte Diana, dass ihr langsam schwindlig wurde. Sie schaute auf ihre Armbanduhr und erschrak. Es war 22 Uhr. Drei Stunden waren verflogen, von denen sie keine Minute bereute.

      Sie bezahlten, gingen ins Hotel und verabschiedeten sich im Foyer voneinander.

      „Ich hole dich um 18 Uhr hier ab. Ist das okay?“, fragte Julia auf dem Weg zum Taxi, das vor dem Eingang wartete.

      „Ja, prima, ich werde da sein.“ Sie zögerte. „Das war trotz aller ernsten Themen ein wunderbarer Abend!“

      Ihre Schwester nahm sie in den Arm und flüsterte: „Sehe ich genauso.“

      ***

      Eva Harms kraulte Björns Brust. „Willst du den Investor wirklich in die Firma bringen?“

      Wieso erinnerte sie ihn jetzt an Schreiner? Er hatte ihn gerade aus den Gedanken verbannt.

      „Sag mir eine andere Lösung! Ich muss meine Schulden begleichen und das ist der einfachste Weg. Fünf Prozent tun uns nicht weh.“ Er strich ihr über den Kopf.

      „Ich habe das Geld angewiesen! Warte noch ein paar Tage, dann kannst du den Typen ausbezahlen. Es ist kaum möglich, in Luxemburg Beträge in der Größenordnung bar abzuheben. Die sind ziemlich pingelig geworden. Kenne zum Glück dort Leute!“ Sie rekelte sich. „Wenn der die Kohle hat, bist du raus aus der Nummer.“

      „Der hält nicht mehr lange still. Das hat er mir bei seinem Besuch heute sehr deutlich gemacht! Ich hab einen Schuldschein unterschrieben und ihm darin zugesagt, Anteile zu übertragen. Falls er zu Mutter rennt, bin ich geliefert. Die ist ohnehin in letzter Zeit schwierig.“

      „Die Beteiligung hat keine Bedeutung! Mit deiner Zusage wird er schwerlich was anfangen

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