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stupste Diana ihre Zwillingsschwester an, die sofort verstand und sich erhob.

      „Bitte vergebt mir!“, flüsterte die Mutter zum Abschied.

      ***

      Barbaras Körper war ein einziger Schmerz. Wie sollte das weitergehen? Sie fühlte sich müde, nach Renates Tod mehr denn je. Sie vermisste ihre Freundin unendlich. Vor allem als Gefährtin, mit der sie ihre Gedanken austauschen und der sie vertrauen konnte.

      Sie nahm das Telefon vom Tischchen neben ihr, öffnete das Adressbuch und suchte eine Nummer. Schließlich wählte sie den Anschluss von Jörg Bahlinger.

      Sie hielt sich nicht lange mit Vorreden auf. „Guten Abend, Jörg. Barbara hier. Ich benötige deine Hilfe.“

      „Hallo Barbara, das ist ja eine Überraschung. Wie geht es dir?“ Der Anwalt schien sich über den Anruf zu freuen.

      „Muss gehen. Wie gesagt, du musst mir helfen. Kannst du morgen Vormittag zu mir kommen? Ich möchte ein neues Testament aufsetzen. Sagen wir, 10 Uhr?“

      Er lachte lauthals. „Ganz die Alte! Du weißt schon, dass morgen Samstag ist?“

      Ihr Ton wurde eine Spur härter. „Ich würde nicht darum bitten, wenn es nicht dringend wäre.“

      „Da du mich dermaßen charmant einlädst, besuche ich dich selbstverständlich“, lenkte er ein.

      „Danke.“ Sie legte auf. Das Zimmer verschwamm vor ihren Augen und sie bekam einen heftigen Hustenanfall, der ihre Schmerzen unerträglich werden ließ. Sie hatte Mühe, Luft zu bekommen.

      Kurz darauf drückte sie sich vorsichtig in ihrem Sessel hoch und erhob sich wackelig. Sie schleppte sich zu einem Sekretär, dessen oberste Schublade sie öffnete. Aus der hintersten Ecke holte sie ein Schächtelchen hervor, das sie aufklappte. Zufrieden registrierte sie, dass der Inhalt genauso da lag wie vor zwei Jahren, als sie das Kästchen zuletzt in den Händen hielt. Sie stellte es an seinen Platz zurück, schloss das Schubfach und bewegte sich im Zeitlupentempo zum Fenster, wo sie sich auf der Fensterbank abstützte und einem Meisenpaar zuschaute, das in der Eiche spielte. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht.

      14. Mai 2016

      Diana hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihr Puls hämmerte wie nach einem lang gezogenen Spurt. In wenigen Augenblicken würde sie ihre Brüder kennenlernen.

      Als sie mit Julia gemeinsam das Wohnzimmer betraten, hielt sie sich bewusst im Schatten ihrer Schwester auf. Sie kam sich wie ein Stück Vieh vor, das zur Begutachtung vorgeführt wurde. Um ihre Unruhe zu verbergen, verschränkte sie ihre Arme.

      Schnell überblickte sie den Raum. Barbara saß im selben Sessel wie am gestrigen Tag und lächelte den Zwillingen herzlich entgegen. Im anderen Sessel saß ein jüngerer, sportlicher Mann mit schulterlangen, blonden Haaren und einem Dreitagebart. Er sprang auf und umarmte Julia. Mit einem Lächeln wandte er sich Diana zu. Die kristallblauen Augen faszinierten sie.

      „Ich bin Christian, das Nesthäkchen. Willkommen in dieser wahnsinnigen Familie.“

      Barbara schien die Anwesenden auf ihr Kommen vorbereitet zu haben.

      „Hallo, ich bin Diana. Freut mich.“

      Ein zweiter, etwas älterer, Mann erhob sich von einem der Sofas. Seine Lider flatterten.

      „Guten Tag, bin Björn“, begrüßte er sie mit dunklem Timbre. Die Pupillen wirkten matt und geweitet. Stand er unter Medikamenten? Sofort ärgerte sie sich. Konnte sie die Ärztin nicht einmal abschalten?

      Ihr Bruder kehrte auf den Sofaplatz zurück und starrte geradeaus. Er begann zu schniefen, nahm ein Papiertaschentuch und schnäuzte sich kräftig die Nase.

      Neben ihm saß eine mollige Frau mit schulterlangen schwarzen Haaren. Sie machte sich nicht die Mühe, aufzustehen.

      „Ich bin Tanja, Björns Ehefrau.“

      Sie musste innerlich über die Begrüßungsszene schmunzeln und setzte sich zu Julia auf die zweite Couch.

      Barbara ergriff das Wort und erzählte Dianas Geschichte. Sie entschuldigte sich dafür, dass sie die Tochter bisher verheimlicht hatte, und begründete es genauso wie am Vortag.

      Diana beobachtete dabei die Brüder. Christian hörte aufmerksam zu und lächelte sie einige Male an. Björn wirkte auffallend fahrig und genervt. Er schien kaum hinzuhören und wenn, dann gefiel ihm augenscheinlich nicht, was er vernahm. Er ignorierte sie, sah auch die anderen Geschwister nicht an. Tanja war anzusehen, wie sie sich in diesem Kreis langweilte. Sie betrachtete ständig ihre makellosen Fingernägel und holte ihr Smartphone hervor, das sie nach Barbaras Räuspern sofort zurück in ihre Handtasche steckte.

      Nachdem die Mutter geendet hatte, begann sie zu husten. Einen Moment später fing sie sich und ergriff erneut das Wort. „Ihr habt es in all den Jahren nicht immer einfach mit mir gehabt, das weiß ich. Ich bitte euch um Verzeihung und Frieden. Was ich mir außerdem von ganzem Herzen wünsche, ist, dass ihr in Zukunft zusammenhaltet.“

      Diana bemerkte, dass sie dabei ausschließlich Björn ansah, der dem Blick auswich. „Unser Unternehmen braucht Gesellschafter, die zusammen den Erfolg suchen. Klar dürft ihr unterschiedlicher Meinung sein, es ist sogar wichtig. Letztendlich muss es eine gemeinsame Entscheidung geben, die alle akzeptieren. Das geht nur mit Harmonie in der Familie!“

      Sie hielt Julia mit einer Handbewegung davon ab, etwas zu sagen.

      „Ich bin am Ende meines Weges angekommen.“ Christian und Julia wurden blass, während Björn und Tanja teilnahmslos dasaßen. Diana selbst lief ein eiskalter Schauer über den Rücken.

      „Ich habe heute Morgen ein neues Testament bei Jörg Bahlinger aufgesetzt.“ Björn zuckte zusammen und schaute seine Mutter direkt an. Er wurde knallrot und holte tief Luft. Auch er wurde von Barbara mit einer Geste gestoppt, worauf er sich nach hinten fallen ließ und die Decke anstarrte.

      „Ich hinterlasse euch einen Brief, in dem ich beschreibe, wie ich mir die Beerdigung vorstelle und erwarte, dass ihr meine Wünsche respektiert. Genießt euer Leben und macht das Beste daraus.“ Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen.

      Eine gespenstische Stille erfüllte den Raum. Um Dianas Brust spannte sich ein Schraubstock. Christian wischte sich verstohlen eine Träne weg. Julia war kreidebleich.

      Plötzlich sprang Björn auf, stupste Tanja an, die sofort aufstand. „Mutter, ich möchte diese Worte im Moment nicht kommentieren. Wir müssen uns jetzt ohnehin verabschieden, denn wir haben eine Einladung.“ Er ging zu Barbara. „Bis bald.“

      Sie erhob sich und zog ihn an sich, was er widerwillig zuließ. Sie flüsterte ihm ins Ohr, allerdings laut genug, dass es Diana, die in unmittelbarer Nähe saß, verstehen konnte.

      „Du musst dich dringend ändern. Mach dein Leben nicht kaputt!“ Er stutzte, löste sich von ihr, drehte sich um und verließ das Zimmer mit einem in den Raum gerufenen ‚Tschüss!‘ und Tanja im Schlepptau. Sie zog das linke Bein nach und hatte Mühe, zu folgen.

      Die Mutter fiel zurück in den Sessel und seufzte. „Ich bin müde. Lasst mich bitte allein.“

      Folgsam standen die drei auf und verabschiedeten sich. Einer spontanen Eingebung folgend umarmte Diana Barbara genauso wie Julia und Christian und küsste sie auf die Stirn, was ihr zwei strahlende Augen dankten.

      „Ich muss morgen zurückfahren, werde aber, sobald wie möglich wiederkommen“, versprach sie ihr. Barbara drückte sie fest.

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