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staubtrockener Mund zusammenzog. Gierig sog er den Kaffeeduft ein, der den Raum ausfüllte, und setzte sich an den Tisch.

      „Na, das scheint ja ein lustiger Abend gewesen zu sein! Du siehst umwerfend aus!“, ätzte Tanja.

      Lars nickte ihm mit vollen Backen zu.

      „Spar dir deinen Spott! Das Geschäftsessen hat länger gedauert als gedacht. Danach gab es einen letzten Drink an der Bar“, knurrte Björn und goss Kaffee in eine Tasse, die vor ihm stand. Er ärgerte sich, dass er auf den Vorwurf reagiert hatte und dadurch in die Defensive geraten war. Er trank einen Schluck.

      „Waren bestimmt ein paar mehr Absacker!“, giftete sie weiter, ohne ihn anzusehen. „Lohnte es den Einsatz wenigstens?“

      Er wusste, dass es sie nicht interessierte, was in der Firma geschah. Ihr einziges Interesse am Unternehmen beschränkte sich auf die finanzielle Absicherung, die es ihr bot. Er hatte nie versucht, dies zu ändern. Genauso hatte er es längst aufgegeben, Unmut darüber zu äußern, dass sie stetig zunahm und mit ihren 36 Jahren einen ansehnlichen Umfang erreicht hatte.

      „Wir werden den Auftrag bekommen“, erwiderte er gleichgültig und schmierte sich ein Marmeladenbrötchen. Beim ersten Biss protestierte sein Magen derart heftig, dass er das Brötchen zurück auf den Teller legte.

      Das angebliche Geschäftsessen bestand aus einer Pokerrunde, bei der er nahezu 5.000 Euro verloren hatte. Aus Frust war er anschließend durch verschiedene Bars gezogen.

      „Deine Mutter hat angerufen. Es sei dringend. Du sollst so bald wie möglich zurückrufen“, richtete seine Frau ihm aus.

      Welches Problem mochte Barbara haben? Es kam nicht oft vor, dass sie spontan anrief.

      „Papa, ich hab eine Zwei in Mathe!“ Lars trank den Rest Kakao aus.

      „Was? – Super!“ Björn strich ihm zärtlich über den Kopf. „Ich finde es toll, wie sehr du dich in letzter Zeit verbessert hast.“ Er überlegte. „Wollen wir beide zum Public Viewing ins Stadion nach Frankfurt fahren, wenn die deutsche Nationalmannschaft ihr erstes EM-Spiel hat? Ich glaube, das ist am 12. Juni.“

      „Europameisterschaft? Echt jetzt? Krass!“ Der Sohn strahlte ihn an.

      Björn blickte zu Tanja. „Ich muss los, das Büro wartet.“

      Er erhob sich schwerfällig, presste ein Lächeln heraus und verließ die Küche. Im Flur nahm er sein Jackett vom Bügel an der Garderobe, die Autoschlüssel und den Sender für die Garage, und eilte aus dem Haus.

      Er stand vor dem sich öffnenden Garagentor, als sich ihm jemand von hinten näherte. Blitzartig fuhr er herum. Ein grimmig dreinschauender Koloss funkelte ihn an. Die grauen, im Nacken zusammengebundenen Haare verliehen ihm den Anschein eines Altrockers. Der Typ passte perfekt zu dem verkorksten Morgen.

      „Hallo Schreiner, du hast mich vielleicht erschreckt! Was willst du hier?“

      Der Mann grinste. „Nachdem Anrufe bei dir keinen Erfolg haben, komme ich halt persönlich, um dich an unsere Abmachung zu erinnern! Es ist demnächst Liefertag!“

      Björn begann zu zittern. Der Kraftprotz trat einen Schritt auf ihn zu.

      „Was, was meinst du? Du bekommst dein Geld. Hab noch ein paar Tage Geduld!“ Er wich in die Garage zurück.

      Der Riese folgte ihm. „Es geht nicht um die Kohle. Ich krieg fünf Prozent Anteile an eurer Firma, so, wie wir es vereinbart haben! Und zwar hurtig!“ Er packte Björn an den Armen und drückte ihn gegen die Garagenwand. „Sonst werde ich ungemütlich!“

      „Carlo“, Björn versuchte, ruhig zu bleiben, „du weißt, ich benötige die Zustimmung der Familie, das dauert ein wenig.“

      „Kumpel, du brauchst zu lange!“, spie ihm der Angreifer entgegen, wobei einzelne Speicheltropfen in Björns Gesicht landeten. „Ich hab dir die 200.000 Euro vereinbarungsgemäß gegeben. Jetzt bist du dran! Du verarschst mich nicht weiter!“

      Schreiner löste sich von ihm und ging einen Schritt zurück. Bevor Björn etwas erwidern konnte, schlug der Kerl ihm in die Magengrube. Der Hieb raubte Björn die Luft, er sackte zusammen und stöhnte.

      „Das war die letzte Warnung. Ich erwarte deinen Anruf, wann wir zum Notar gehen können! Lass dir nicht zu viel Zeit, sonst komme ich wieder. Dann bin ich nicht so nett!“

      ***

      Diana hatte das Gefühl, in dieser Nacht kaum geschlafen zu haben. Sie wälzte sich im Bett hin und her und grübelte über Kai nach. Hinzugekommen war eine ständig wachsende Unruhe vor ihrer Begegnung mit Julia.

      Am Morgen schmerzten ihr alle Knochen. Sie überlegte kurz, ihren Mann anzurufen, beließ es aber bei dem Gedanken.

      Sollte er ein wenig schmoren, denn sie ärgerte, dass er sich nicht gemeldet hatte und keine Sorgen um sie zu haben schien. Seufzend sendete sie ihm schließlich doch eine Kurznachricht: Bin angekommen. Wetter prima. Bad Homburg schön. Um 11 Uhr ist der Termin. Grinsend vermied sie Anrede und Absender. Er durfte ruhig merken, wie sauer sie war!

      Das Frühstück rührte sie kaum an und bald war es Zeit, sich auf den Weg zu machen. Die Arztpraxis lag 400 Meter entfernt in derselben Straße. Das Gewitter vom Vorabend hatte die Luft gereinigt, es hatte merklich abgekühlt.

      Gemächlich ging sie an der Promenade entlang und wurde mit jedem Schritt langsamer. Tat sie das Richtige? Sollte sie nicht besser alles dabei belassen, wie es war? Was würde es ihr bringen, eine neue Familie kennenzulernen? Zweifel rasten durch ihren Kopf.

      Letztlich gab sie sich einen Ruck und marschierte entschlossen das letzte Stück zur Praxis, die sich im Erdgeschoss eines Hauses aus der Gründerzeit befand. Diana klopfte an die Praxistür und betrat den Eingangsbereich. Hinter einem Empfangstresen saß eine Sprechstundenhilfe und schrieb etwas. Rechts von ihr waren zwei weiße Türen mit Behandlungszimmer 1 und Behandlungszimmer 2 beschriftet. Links führte eine Glastür in das Wartezimmer.

      Beinahe hätte sie auf dem Absatz kehrtgemacht! „Guten Morgen“, grüßte sie stattdessen und stellte sich vor den Schalter.

      „Einen Augenblick, ich bin gleich für Sie da“, entgegnete die Assistentin, ohne aufzusehen. Sie legte ihren Stift beiseite und warf eine Karteikarte in ein Körbchen neben ihr. Dann blickte sie auf. Sofort bildeten sich Falten auf ihrer Stirn.

      „Oh, Frau Doktor!“ Sie hielt eine Sekunde inne. „Äh, oh, entschuldigen Sie“, stammelte sie und starrte Diana an.

      „Mein Name ist Fiedler“, half diese ihr, „ich habe einen Termin zur Vorsorgeuntersuchung.“

      „Ja, äh, ach so. Einen Moment.“ Die Sprechstundenhilfe sah auf ihren Bildschirm. „Ja, da haben wir Sie. Würden Sie das bitte im Wartezimmer ausfüllen.“ Sie gab ihr ein Formular und einen Kugelschreiber. Erneut zögerte sie. „Besser, Sie nehmen dort kurz Platz.“ Sie zeigte auf einen Stuhl, der vor den Behandlungszimmern an der Wand stand.

      Als Diana saß, sprang die Assistentin auf und eilte in eines der Sprechzimmer.

      Wenig später erschien sie, gefolgt von einer Frau, die die Angestellte um eine Kopflänge überragte. Diana glaubte, in einen Spiegel zu sehen. Langsam erhob sie sich mit zittrigen Knien.

      Julia trug einen weißen Arztkittel, ihre nackten Füße steckten in Sandalen und die Haare waren genauso zusammengebunden, wie es Diana zu tun pflegte, wenn sie arbeitete. Sogar die grünen Augen und der Leberfleck am Hals, den sich Diana im vorigen Jahr hatte entfernen lassen, waren identisch!

      Die Ärztin schien irritiert. „Guten Morgen, Frau …“, sie schaute auf eine Karteikarte, „Fiedler.“ Ihre Stimme war einen Tick dunkler. „Kommen Sie bitte mit.“ Sie blieb einen Moment wie unschlüssig stehen, drehte sich ein wenig steif um und hielt die Tür zum Behandlungsraum 2 auf.

      Er war mit einem Schreibtisch, vor dem zwei Hocker standen, einem gynäkologischen Stuhl, einer Liege und einem Wandschrank eingerichtet, wobei die Farbe Weiß dominierte.

      Julia

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