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sind sie im neunten Stock angekommen, und er sammelt ihre Utensilien ein, bevor die Tür sich öffnet. Sie hakt sich schwer bei ihm ein und fängt an, laut auf russisch ein Partisanenlied zu singen. Oder sollte er besser sagen, zu grölen? Den Text kennt er noch von früher, und fast ist er in Versuchung mitzusingen. „Durchs Gebirge, durch die Steppe zog unsere kühne Division ..." Dann hält er ihr aber doch lieber den Mund zu und ist glücklich, dass sie ohne Zwischenfälle die Tür ihres Zimmers erreichen. So besoffen hatte er lange keine schöne Frau mehr erlebt.

      Als die Tür hinter ihnen ins Schloss gefallen ist, fühlt er glücklich überrascht plötzlich den Druck ihrer warmen Lippen und die fordernde Feuchte ihrer Zunge in seinem Mund. Ihr Körper presst und reibt sich an seinem. Er lässt seine gierigen Hände wie fiebernd ihren Rücken hinauf wandern und findet den Reißverschluss. Ungeduldig zerrt sie selbst den dünnen, störenden Seidenstoff herunter, dann liegt sie nackt und weich in seinen Armen.

      „Komm jetzt endlich. Komm ... du ...!“

      Wahrscheinlich ist es die ungewohnte Nähe eines anderen Menschen, die ihn nur wenige Stunden danach wieder wach werden lässt. Oder einfach die grell herein scheinende Morgensonne, denn sie hatten nicht mehr die Kraft dazu gefunden, die Vorhänge zuzuziehen.

      Versunken in den Anblick der Frau neben sich, die auch am Morgen danach noch eine schöne ist, denkt er wohlig an den Traum der vergangenen Nacht. Er hatte nach versunkenen Schiffen in der Karibik getaucht, aber gefunden hatte er dann goldschimmemden Bernstein im milden Salz der Ostsee.

      Nein, er hatte seit Kittys Tod keineswegs als Mönch gelebt. Und obwohl er aufgrund seines Berufes vorsichtig sein musste, waren da immer Frauen gewesen. Aber mit keiner hatte er ein solch tiefes Erlebnis gehabt, und bei keiner hatte er sich so gewünscht, mit ihr aufzuwachen, den Tag gemeinsam zu verbringen und vielleicht sogar viele Tage ... und viele Nächte.

      „Na du ... schrecklicher Mensch, was hast du mit mir gemacht?“

      Lustige kleine Wellen brechen sich im morgenblau ihrer jetzt geöffneten Augen, als sie mit einem lauten Gähnen den Kopf aus den Kissen hebt.

      „Du miese Schauspielerin ... die Besoffene zu markieren ... hast du das am Bolschoi-Theater gelernt?“, geht er lächelnd auf ihren Ton ein.

      „Nein, ich bin ein Naturtalent.“ Sie lacht fröhlich. „Außerdem sind wir Russen berühmt für unsere Trinkfestigkeit!“

      „Und wo hast du dein gutes Deutsch gelernt?“

      „In Bonn, ich bin da groß geworden.“

      „In Bonn? Ja wie ..."

      „Mein Vater ist schon seit zwanzig Jahren Marineattache, dort, an unserer Botschaft. Er ist Korvettenkapitän!“

      Ungläubig schüttelt er mit dem Kopf. „Da müsstest du ja auch Düsseldorf kennen!“

      „Natürlich. Ich mag es. Die Kö, die Altstadt... und Heinrich Heine. ,Denk ich an Benedict in der Nacht, der hat mich um den Schlaf gebracht!“' Und dann platzt sie laut los vor Lachen.

      „Hör mal, du...“, fragt Benedict, nachdem sie sich wieder beruhigt haben, „war das heute Nacht... ich meine, war das dienstlich oder so?“

      „Pscht“, sagt sie mit ernstem Gesicht und legt ihm einen Finger über den Mund. „Nicht doch. Wie du da vor dem Bild in meinem Büro standest, wie ein kleiner, glücklicher Junge. Außerdem mag ich Männer, die gut riechen und höflich zu Frauen sind. Solltest mal unsere sowjetischen Männer erleben. Puh! Und du? Bin ich für dich so ein, wie sagt man bei euch im Westen, ein ,one night stand'? Oder hast du mich auch ein ganz kleines bisschen ..."

      Plötzlich zuckt sie zusammen. „Wie spät ist es?“

      „Noch früh. Kurz nach sechs.“

      „Verdammt!“

      Schnell, viel zu schnell ist der Zauber verflogen. Sie muss raus nach Karlshorst. Dienstbeginn. Den Fahrer kann sie jetzt nicht mehr erreichen, also mit der S-Bahn. Während sie sich eilig kurz abduscht, greift Benedict solidarisch zu seinen Sachen und kleidet sich an. Aber sie will ohne Frühstück zurück, und als die Tür Sekunden später hinter ihr ins Schloss fällt und er mit einer verlorenen Geste über das immer noch warme Bett streicht, fühlt er ein schmerzhaftes Ziehen in seiner Brust.

      Auch dem Hotel-Frühstück gelingt es nicht, die Leere in seinem Inneren zu vertreiben, und so ersteht er schließlich ein Cartier-Feuerzeug in einer der Boutiquen. Er würde es ihr zum Geschenk machen. Diese Einwegfeuerzeuge passten einfach nicht zu ihr. Jetzt fühlt er sich auch etwas besser. Als schlüge dieses Geschenk ein intimes Band zwischen ihm und ihr.

      Heute Abend. Er sieht sie ja schon heute Abend wieder. Dann wird er es ihr geben. Welches Meer dann wohl in ihren Augen schimmert?

      *

      Auf dem Weg zur Normannen-Straße versucht er dann doch noch aus einer Telefonzelle den Mann bei der DEFA in Babelsberg zu erreichen.

      „Ach ja, Sie sind das? Dean Sanger, jaja! Können Sie gleich zu mir rauskommen? Ich hätte jetzt gerade etwas Zeit.“

      Kurzentschlossen disponiert Benedict um und macht sich auf den Weg zum Filmgelände. Immerhin wäre es gut, wenn er sich da schon etwas auskennte. Auch, wenn die Leute ihn heute anrufen würden. Dann, als er merkt, wie weit der Weg raus nach Babelsberg ist, wird er doch reichlich unruhig. Hoffentlich schafft er es überhaupt noch rechtzeitig zurück. Die S-Bahnfahrt nach Wannsee scheint endlos zu dauern, und der erste Doppeldecker der Linie 99 ist völlig überfüllt. Glücklicherweise brummen die BVG-Busse fast im Minutentakt, und er schafft den nächsten. Als er am Bahnhof Drewitz völlig verschwitzt aussteigt, ist es zwanzig nach neun.

      Es gelingt ihm sogar, um 12 Uhr 45 wieder in der Normannenstraße zu sein. Auf der Rückfahrt zur Friedrichstraße hatte er versucht, die Informationen des DEFA-Produktionsleiters nochmals zu durchdenken, aber immer wieder schoben sich die Erinnerungen an Veras Augen und ihren nachtwarmen Körper dazwischen.

      Das war schon eigenartig, dass Dean Sanger ausgerechnet an dem Tag Selbstmord, angeblichen Selbstmord, begangen hatte, an dem sein langgehegter TV-Traum endlich finanziell genehmigt worden war. Endlich hätte er die „Bloody Heart“-Geschichte drehen können. Der Film, der ihm ein Denkmal setzen sollte, ja, mit dem er vielleicht sogar auf den Academy Award zielte und für den im Baltikum schon die Requisiten vorbereitet wurden. Ach, Vera Uschakowa, du sanfte, wilde Morgenschöne! War ihm vielleicht genau in diesem Augenblick der Erfüllung mit einem Schlage klar geworden, dass er für die Umsetzung dieses Traumes doch nicht gut genug war, eben doch nur ein „Amerikanischer Showman“? Ob ein westdeutscher Polizist mit einer KGB-Majorin Zusammenleben dürfte, sie vielleicht sogar ... Jedenfalls kennt er jetzt das DEFA-Filmgelände ganz gut, denn sein Gesprächspartner hatte mit ihm noch einen kurzen Rundgang durch die Studiohallen gemacht.

      Und vor allen Dingen weiß er jetzt genau, wo die Übergabe stattfinden soll.

      Ein Wunder, dass ihm die ganze Geschichte nicht auf den Magen geschlagen ist. Er hat richtigen Kohldampf und nimmt schnell noch das Stamm-Menü in der ehemaligen Stabskantine zu sich. Diesmal setzt er sich ganz zielbewusst neben die Staatsarchivarin, denn einen Versuch ist es allemal wert. Diese verdammte Neugier. Warum belässt er es nicht bei seinem jetzigen Wissensstand? Nein, er muss immer alles wissen.

      „Ich möchte Sie um einen sehr persönlichen Gefallen bitten, Frau Theuerkom. Wahrscheinlich ist es zu viel verlangt, aber vielleicht finden Sie ja eine Möglichkeit mir da zu helfen ...“

      Die Mit-Herrscherin über die MfS-Geheimnisse reagiert anfangs mit derart brüsker Ablehnung, dass Benedict schon das Allerschlimmste befürchtet, aber dann will sie doch sehen, was sie da machen kann.

      An seinem Schreibtisch in der Zentral-Kartei wird er schon erwartet. Der Mann von der „Bürgerwehr“ hat augenscheinlich in den Vorgängen rumgeblättert und steht hastig auf, als der Hauptkommissar reinkommt.

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