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schlaff und deprimiert verlässt er am Nachmittag die Festung an der Normannen-Straße und ist Punkt 17 Uhr in der Telefonzelle, um Ganser seine Arbeitsergebnisse durchzugeben.

      „Der Typ vom WDR hat schon wieder angerufen. Suchst du einen anderen Job? Sollst ihn jedenfalls dringend zurückrufen!“

      Nein, diesen Anruf kann er sich jetzt sparen. Das war vorbei. Vielleicht würde er sich heute mal irgendwo billig besaufen.

      Die ganze Zeit steht eine Frau vor der Telefonzelle, wartet, dass er sie frei macht und tritt jetzt auf ihn zu. Statt aber in die Zelle reinzugehen, reckt sie ihm plötzlich die Hand entgegen und steckt ihm einen Zettel zu. Bevor der überraschte Benedict noch reagieren kann, hat sie sich auf ein heran preschendes Motorrad geschwungen und verschwindet im dichten Strom des Feierabendverkehrs. Es ist ein einfacher Zettel mit einem Namen und einer Telefonnummer. Nichts weiter. Der Name ist ihm bekannt. Er hat ihn schon gestrichen. Dean Sanger.

      Bevor ihm jemand die Zelle streitig machen kann, nimmt er den Hörer auf und wählt die angegebene Telefonnummer in Berlin. Freizeichen. Diese verdammte Neugier. Immer diese verdammte Neugier. Irgendwann würde sie ihn ...

      „Ja?“, meldet sich eine männliche Stimme.

      „Ich habe gerade eben einen Zettel mit Ihrer Telefonnummer bekommen ...“

      „Ja?“

      „Dean Sanger!“

      „Gut. Wir haben das Material, nach dem Sie suchen. Was ist es Ihnen wert?“

      „Was für Material suche ich denn?“, kann der Hauptkommissar seine Verblüffung kaum verbergen.

      „Mensch, Benedict! Machen Sie doch nicht solche Spielchen. Über Dean Sangers Tod natürlich. Wir verkaufen keine Barby-Puppen!“

      „Und was soll das sein?“

      „Zweiundzwanzig Tonkassetten mit Telefonmitschnitten der Abteilung 26. Alles Telefonate von Dean Sanger in 1 a-Qualität. Dazu fünf Video-Mitschnitte, die ohne Sangers Wissen während seiner Behandlungssitzungen gemacht wurden...“

      „Was für Behandlungsstunden?“

      „Na, wissen Sie das denn nicht? Der Mann war doch schwer krank. Epilepsie. Wurde psychotherapeutisch von Prof. Schallreuter behandelt. Eine anerkannte Kapazität auf seinem Gebiet und ... nebenbei KGB-Mitarbeiter!“

      Schon wieder eine anerkannte Kapazität. Davon scheint es hier nur so zu wimmeln. Aber Epilepsie bei einem „Showman“. Das ist interessant.

      „Und warum meinen Sie, dass ich dafür was bezahlen sollte?“

      „Ihre Sache. Wenn Sie eben den Beweis für Sangers Ermordung nicht haben wollen ...“

      *

      „Die Leute bluffen doch! Was sollen die denn schon in der Hand haben! Sie haben doch den Abschiedsbrief selber gelesen!“

      Meißner ist stocksauer, trotzdem ist Benedict froh darüber, ihn endlich ins Vertrauen gezogen zu haben. Nachdem er sich Bedenkzeit bis morgen erbeten hatte, war er auf schnellstem Wege raus nach Marzahn gefahren und hatte nervös darauf gewartet, dass der MUK-Leiter seine Unterlagen abholen würde. Wegen der neuen Situation hatte er auch Huber nicht zurück nach Frankfurt geschickt. Da wollte er besser abwarten, wie sich das hier noch entwickeln würde. Bis zu Meißners Eintreffen hatte er das Für und Wider abgewogen. Letzten Endes hatte er aber keinen anderen Ausweg gesehen, als Meißner über das Telefonat mit diesen merkwürdigen „Verkäufern“ zu informieren. KGB-Unterlagen, das war eine entschieden zu heiße Nummer für einen Mann alleine.

      „Aber irgend was müssen die doch haben! Und dann auch noch aus geheimen KGB-Quellen!“

      Natürlich kann er Meißners Zorn verstehen. Nachdem heute Vormittag alles noch so klar schien.

      „Es gehen im Moment genügend abgehalfterte Leute von der Sicherheit mit geklautem Material hausieren. Nicht auszuschließen, dass das bei den Sowjets genauso ist. Was wollen Sie denn jetzt machen? Sich da weiter reinhängen?“

      „Ich kann natürlich nichts dafür bezahlen. Woher sollte das Geld auch kommen? Aber ... ich würde schon was dafür geben, mal zu sehen, was dahintersteckt. Sie nicht auch?“

      „Nee, garantiert nicht. Für mich ist das kein Fall. Außerdem bin ich Familienvater, und das Ganze hört sich nicht ungefährlich an, aber ..."

      Mit dem Besaufen wird’s an diesem Abend doch nichts. Meißner hatte sich schließlich mit den Worten „will mal sehen, was ich für Sie tun kann“ dann doch noch hilfsbereit verabschiedet, und erst als Benedict schon im Bett liegt, fällt ihm ein, dass er da ja noch die beiden Videos liegen hat und den Mann vom WDR doch noch hätte anrufen sollen. Aber da ist es schon zu spät.

      11

      Wie auch immer Dr. Siegfried Huber aus Frankfurt am Main es geschafft haben mochte, jedenfalls wirft er irgendwann mitten in der Nacht an Benedicts Bett einen gewaltigen Schatten.

      „Können Sie schnarchen. Machen ja direkt die Pferde in Hoppegarten scheu!“

      Aus schlaftrunkenen Augen blinzelt der Hauptkommissar in den abgeschirmten Lichtstrahl einer Taschenlampe, die auf Hubers runden Schädel gerichtet ist.

      „Hoppegarten? Pferde? Was? Wie kommen Sie überhaupt... ach ... was gibt’s denn?“

      Sinnlos, danach zu fragen. Auch auf Fuerteventura hatte der akademische Finanzfahnder solche Fragen stets unbeantwortet gelassen.

      „Passen Sie auf, ich habe noch rund drei Minuten bis zum nächsten Anfall. Also, kurz und schmerzlos zur Lage: es sind mindestens zwei verschiedene Gruppen, die an Ihnen dran kleben. Da stellt sich ein echtes Problem. Wenn Sie wollen, dass ich Ihnen weiter den Rücken freihalte, kann ich nicht raus finden, woher die kommen oder wer die eigentlich sind. In der Nacht, solange Sie jedenfalls hier rumschnarchen, gehen die sowieso mit halber Besatzung auf Tauchstation.“

      „Auf Tauchstation?“

      „Ja. Einer gammelt in so ’nem verbeulten Trabant gegenüber, und der andere hat sich janz feudal im zweiten Stock von so ’ner Plattenvilla aus Honeckers Bauprogramm für die werktätigen Schichten einjenistet.“

      „Und Sie, was machen Sie?“

      „Dr. Huber, der Mann der im ganzen Rhein-Main-Gebiet für seine Pferdeallergie berühmt und berüchtigt ist, hat sich in den letzten Stunden in den Ställen von Hoppegarten rumgetrieben, um den Besitzer eines Motorrads der Marke Java, mit Ost-Berliner IA-Kennzeichen, ausfindig zu machen. Auf diesem Motorrad entschwand heute Nachmittag eine gewisse Überbringerin einer Nachricht, oder irre ich mich da sehr?“

      „Natürlich nicht. Weiter!“

      „Fehlanzeige. Die Maschine gehört einem dort beschäftigten Pferdepfleger, dem sie am Vormittag geklaut worden war. Hatte sie schon als gestohlen gemeldet, und sie ist bis jetzt nicht wieder aufgetaucht!“

      „Wie haben Sie denn ...?“

      „Noch 1 Minute und 25 Sekunden!“, flüstert Huber mit mahnender Stimme. „Wenn Sie also wollen, dass ich rauskriege,

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