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du mir jetzt etwa vorkauen, was ohnedies jeder weiß?“

      „Also Sossier hat ein Doppelleben geführt“, sagte Retcliff. Jetzt war er beleidigt, und deshalb nur noch amtlich. „In den Bellevue-Apartments war er der Junggeselle Smith. Ein Don Juan ... Die Sache mit dem Einwegspiegel bleibt vorläufig noch ein Rätsel. Als Alex Sossier war er verheiratet. Seine Frau heißt June. Wir hatten noch nicht die Zeit, uns um sie zu kümmern.“

      „Was war Sossier von Beruf?“, erkundigte sich Harry Rollins.

      „Chefdekorateur der Pamberton-Warenhäuser.“

      „Daher der große Geschmack beim Einrichten des Apartments.“ Rollins erhob sich. Eines der Telefone schlug an. Harry hoffte, dass es nicht wieder der übel gelaunte Snyder sein würde. Schnell nahm er den Hörer aus der Gabel. „Rollins!“

      „Hallo, Harry. Hier Sinclair.“ Das war der Chef der ballistischen Abteilung.

      „Ja, Sine?“

      „Wir haben uns die Kugel angesehen, die den Mann im Apartment umgeschmissen hat.“

      „Und?“

      „Wurde vermutlich von einem 38er Smith & Wesson abgefeuert. Schriftlicher Bericht kommt umgehend.“

      „Vielen Dank, Sine.“

      „Keine Ursache“, sagte Sinclair. Er und Rollins legten gleichzeitig auf.

      Rollins sagte zu seinem Assistenten: „Sossier wurde vermutlich mit einem 38er Smith & Wesson umgelegt.“

      Retcliff nahm das mit einem kurzen Kopfnicken zur Kenntnis.

      Rollins kniff nachdenklich die Augen zusammen. Seine Backenmuskel arbeiteten. „Was hat sich in diesem Bellevue-Apartment abgespielt, Cliff?“

      Der Sergeant hob überfragt die Schultern. Zu sagen, auf Sossier wäre geschossen worden, wäre zu billig gewesen. Außerdem hätte eine solche Bemerkung den Lieutenant auf die Palme gebracht. Und Lieutenants auf Palmen gehören zu der gefährlichsten Sorte von Vorgesetzten.

      „Ein Eifersuchtsdrama?“, fragte Rollins. Eigentlich dachte er bloß laut. Retcliff hätte nicht schon wieder mit den Schultern seine Unwissenheit dokumentieren müssen. Harry murmelte: „Ein Casanova. Er bringt laufend neue Mädchen in sein Liebesnest. Einmal, als er gerade so etwas wie einen freien Tag einlegt, kommt jemand über die Feuertreppe zu ihm und legt ihn um. Ein Könner. Einer, der einer Fliege den Rüssel abschießen könnte. Möglicherweise sogar im Flug. Warum passiert das? Warum gerade gestern?“ Von irgendwoher kam Rollins’ Blick in die Realität zurück. Der Lieutenant schaute Retcliff durchdringend an. „Hätte zu gern gewusst, was June Sossier zu alldem sagt. Du vergisst doch hoffentlich nicht, sie nach ihrem Alibi zu fragen.“

      Retcliff ließ die Mundwinkel hängen. „Das ist überhaupt das Erste, wonach ich sie fragen werde!“, knurrte er. Als er sich umwandte, klopfte es. Er blieb stehen. Rollins rief; „Ja?“ Die Tür ging auf. Ein eleganter schlanker Mann mit getönter Brille trat ein. Er hatte breite Schultern und ging wie ein Raubtier, wenn es auf der Jagd ist. Seine Gesichtshaut war von der Sonne stark gebräunt. Der Maßanzug war ein einmaliges Modell von Jacques Dubois, San Francisco. Darunter ein blitzsauberes Craven-Hemd. Tony Cantrell - Rechtsanwalt und Privatdetektiv. Und ein guter Freund von Harry Rollins. Der Lieutenant streckte Cantrell erfreut die Hand entgegen.

      Der Anwalt ergriff sie lächelnd. „Guten Tag, Harry.“

      „Tony.“

      Cantrell wandte sich an Retcliff. „Sergeant. Wie geht’s immer? Kommen Sie mit Harry aus?“

      Retcliff wollte sich nicht in die Nesseln setzen, deshalb schürzte er die Lippen und meinte: „Es geht ... äh .. ich meine: Ich kann nicht klagen.“

      Rollins setzte sich hinter den Schreibtisch. Cantrell nahm davor Platz. „Siehst aus, als könntest du ein paar Tage Urlaub gebrauchen, Harry.“

      „Dafür siehst du so aus, als kämst du gerade von den Bahamas.“

      „Wie geht’s zu Hause? Alles in Ordnung?“

      Rollins lachte. „Aber ja. Helen streitet mit Sally.“ Sally war Rollins’ kleine Tochter. Helen war seine Frau. „Und wenn ich nach Hause komme, schickt Helen Sally ins Bett und streitet mit mir. Wie’s eben so in ’ner richtig glücklichen Familie zugeht.“

      Cantrell wusste, dass Harry übertrieb. Rollins’ Ehe war harmonisch, geradezu mustergültig.

      „Was führt dich zu uns in die Roosevelt Road, Tony?“, fragte der Lieutenant.

      „Quincy Danenberg hat mich gefragt, ob ich mithelfen möchte, den Mord an Andrew Smith aufzuklären. Danenberg ist ein guter Freund von Butch, deshalb habe ich ihn nicht zur Konkurrenz geschickt. Eigentlich hatte ich vor, mit Carol für ein paar Tage in die Berge zu fahren.“

      Rollins lachte schrill. „Machst du Witze? Ich sagte doch vorhin schon, dass du aussiehst, als würdest du von den Bahamas zurückkommen.“

      „Carol und ich waren tatsächlich auf den Bahamas, Harry. Aber nicht zum Vergnügen“, erwiderte der Anwalt. „Wir waren beruflich da. Und wir hatten eine heiße, harte Zeit auf den Inseln. Keine Minute Urlaub. Wir waren hinter dem Chef eines Falschgeldringes her.“

      „Habt ihr ihn erwischt?“, fragte Rollins.

      „Leider nein. Die Haie waren schneller als wir. Er kenterte mit dem Boot. Wir konnten ihm nicht mehr helfen.“

      „Und kaum heimgekehrt, wartet bereits das nächste Abenteuer auf dich..

      Cantrell lächelte. „Ich will hoffen, dass wir die Sache gemeinsam so schnell wie möglich hinter uns bringen. Carol ist ein wenig abgeschlafft. Die macht mir schlapp, wenn ich ihr den wohlverdienten Urlaub noch ein paar Tage vorenthalte.“

      Harry ließ die Augenbrauen nach oben schnappen. „Ich hab eine prima Idee, Tony. Warum setzen wir Carol, Helen und Sally nicht einfach in einen Wagen und schicken sie irgendwohin raus aufs Land?“

      Cantrell schüttelte den Kopf. „Da würde Carol nicht mitspielen. Sie hat zwar nichts gegen Helen und Sally. Du kennst sie. Aber sie will dabei sein, wenn wo was los ist. Auch dann, wenn sie schon knapp am Umkippen ist.“

      Rollins nickte. ,Ach ja. Was red ich denn. Helen würde ja auch nicht ohne mich wegfahren, Womit haben wir solche Frauen verdient, Tony.“

      „Ich bin mit der meinen zufrieden.“

      Rollins seufzte. „Komisch. Ich mit der meinen auch. Es liegt wohl an uns, dass sie so sind, wie sie sind.“

      „Vermutlich. Darf ich jetzt mal hören, was ihr im Fall Smith bisher rausgekriegt habt?“

      Der Lieutenant grinste. „Würde dem Attorney aber ganz und gar nicht gefallen, wenn er erfährt, an wen wir unser Wissen weitergeben.“

      Cantrell winkte schmunzelnd ab. „Snyder ist ein Studienfreund von mir. Da kann nichts passieren. Außerdem arbeiten wir in diesem Fall nicht gegeneinander, sondern miteinander. Wenn man’s genau betrachtet, kriegst du ab sofort vier weitere Mitarbeiter zur Verfügung gestellt. Ist das nichts?“

      Harry verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte sich zurück und sagte: „Hier die Facts, die wir bisher ausgegraben haben: Erstens, Smith hieß nicht Smith, sondern Sossier. Alex Sossier. Beruf: Chefdekorateur der Pamberton-Warenhäuser ...“

      Rollins ließ nichts unter den Tisch fallen. Alles, was er wusste, bekam Tony Cantrell auf Silber serviert. Der Anwalt aus Western Springs versprach, sich bei Gelegenheit für die wertvollen Hinweise zu revanchieren. Dann verließ er das Police Headquarters und begab sich unverzüglich an die Arbeit. Sobald er in seinem schwarzen Buick Electra 225 saß, griff er nach dem Hörer des Autotelefons. Er fuhr die Roosevelt Road entlang. Das Polizeigebäude blieb hinter ihm. Trotz der getönten Brille, die er trug, stach ihm die Sonne in seine lichtempfindlichen Augen, mit denen er sogar nachts wie ein Falke sehen

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