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und klapprig aus, dass ihm niemand zugetraut hätte, dass er so schnell werden könnte. An Robbys dreißigstem Geburtstag jagten sie wieder einmal in halsbrecherischem Tempo mit einem solchen Fahrer um die Wette. Sie hatten zufälligerweise dasselbe Ziel, ein Gasthaus, in dem sie Robbys Geburtstag feiern wollten. Und was stieg da hinter dem aufgebrachten Fahrer aus dem Auto, als sie angekommen waren? Patrice Hollmann, eine wunderschöne und charmante junge Frau aus einer besseren Schicht – Robbys große Liebe. Sie und Robby wurden trotz ihres unterschiedlichen sozialen Umfeldes ein leidenschaftliches Paar und Pat fügte sich wunderbar in Robbys Umfeld ein und wurde zu einem fünften Kamerad. Doch Pat litt an Tuberkulose, was Robby durch einen Blutsturz während eines Urlaubs herausfinden musste. Aufgeben tat er Pat jedoch nicht, im Gegenteil. Er versuchte, ihr das Leben noch so schön wie möglich zu gestalten, sie versuchten, ihre Krankheit zu vergessen und jeden Moment zu genießen, sie klammerten sich aneinander und ihre Liebe steigerte sich zuletzt in ein so intensives und unerschütterliches Ausmaß, dass es schon fast nicht mehr realistisch war. Am Ende starb Pat in Robbys Armen. Lenz war während einer politischen Auseinandersetzung ums Leben gekommen und Köster hatte sein heißgeliebtes Rennauto verkauft, um Robby den Aufenthalt im Sanatorium zu finanzieren, damit er bis zum Schluss bei Pat sein konnte. Am Ende hatte Robby drei Kameraden verloren: Lenz, Karl und Pat.

      Drei Kameraden war das romantischste, traurigste, tragischste, herzzerreißendste und doch zugleich schönste Buch, das Yannick gelesen hatte. Diese Geschichte hatte es ihm einfach angetan. Liebe, Kameradschaft, das Schicksal, die soziale und politische Situation nach dem Krieg, Leben, Tod und Krankheit waren perfekt miteinander verknüpft.

      Die drei Kameraden Otto Köster, Gottfried Lenz und Robert Lohkamp waren Yannicks persönliche Helden. Und die rauchten – wie jede von Remarques Figuren – alle drei, und auch, wenn es vielleicht absolut bescheuert war, so hatte Yannick irgendwie wissen wollen, wie sich das anfühlte. Er hatte sich ein bisschen wie Robert Lohkamp fühlen wollen, also hatte er im letzten Frühling eine Zigarette probiert, und sie hatte ihm wider Erwarten total gut geschmeckt. Er hatte dieses Prickeln und Kribbeln gemocht, und immer, wenn er jetzt rauchte, fühlte er sich wahrhaftig ein bisschen wie sein persönlicher Held. Und vielleicht war es insgeheim auch ein kleines bisschen wie ein stummer Protest gegen seinen Vater mit seinem Profisport und seinen Predigten darüber, wie man sich als ein zukünftiger solcher zu verhalten hatte. Yannick rauchte auch nicht viel; aber seine fünf Kippen am Tag genoss er in wortwörtlich vollen Zügen.

      Was so etwas anging, war Veronica viel entspannter als Markus. Sie war nicht ständig hinter seiner sportlichen Leistung her, behauptete nicht, er würde zu viel essen, hatte noch nie ein Wort über seine Zigaretten verloren und akzeptierte ihn einfach so, wie er war.

      Amy hatte ihre Leinwand gezückt, die sie sich mitgebracht hatte, setzte die Spitze ihres Bleistiftes darauf und machte den ersten Strich. Wenn es eine Sache gab, die Amy konnte, dann war das Zeichnen und Malen. Das war ihre Art, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen, Dinge zu verarbeiten. Und ihr absolutes Lieblingsobjekt war Yannick. Eigentlich hatte sie die Leinwand mit an den Strand genommen, um einen Sommerferientag einzufangen. Mit faulen Badegästen, dem freundliche Wellen schlagenden Meer und einem wolkenlosen Himmel. Aber nun war sie doch wieder bei Yannick. Sie hatte alles an ihm lieb. Seine goldig-blonden Haare, seine dunklen Augen, seine freundlichen Züge, die zu große Nase, den Bartschatten, sogar die Nikotin-Fettpölsterchen … Ja, Yannick war erwachsener geworden. Was hieß erwachsener; er war erwachsen. In ein paar Wochen wurde er achtzehn.

      Amy konnte nicht umhin, ihn von oben bis unten zu betrachten. Er war männlich geworden. Nicht muskulös; obwohl Yannick Eishockey spielte, baute er keine sichtbaren Muskeln auf, sondern war seit jeher schlank. Aber doch war er kräftiger geworden. Und behaarter. Amys Blick verweilte einen Moment auf seiner behaarten Brust, rutschte etwas tiefer zu seinem Bauch, auf dem sich ebenfalls Haare abzeichneten, die unter seine Badehose führten – Amy sah wieder hinauf, in sein Gesicht. Seine Züge waren auch männlicher geworden, und dazu der Stoppelbart.

      Diese Männlichkeit ließ ihn noch viel mehr wie einen Helden und Beschützer wirken. Amy konnte noch viel mehr zu ihm aufsehen, seit er so erwachsen geworden war. Sie konnte sogar der Tatsache, dass er seit einem halben Jahr rauchte, etwas Positives abgewinnen: Auch das machte ihn männlicher, das passte zu ihm als ihrem Helden.

      Plötzlich löste er den Blick aus der Ferne, in die er gestarrt hatte, voll und ganz in seine Gedanken vertieft, und sah Amy geradewegs an. »Was schaust du mich so an?«

      Amy fühlte sich ertappt, senkte ihren Blick und spürte, wie ihr Gesicht warm wurde. »Ich zeichne dich.«

      Yannick stieß ein nicht ernst gemeintes Seufzen aus. »Warum zeichnest du immer mich?«

      »Na, weil du mein Lieblingsobjekt bist. Und jetzt schau wieder nach vorne, ich muss deine Nase zeichnen!«

      Yannick kam ihrer Bitte nach. »Dann mach sie wenigstens etwas kleiner.«

      »Das wäre ja verfälscht!«

      »Früher haben Maler die edlen Herrschaften auch immer zu ihrem Vorteil verfälscht. Wenn ich schon unfreiwillig als Model herhalten muss …«

      »Deine Nase ist genau richtig so, wie sie ist!«, sagte Amy bestimmt, fühlte sich im nächsten Moment glatt schon wieder irgendwie ertappt und war froh, auf ihre Leinwand sehen zu können. Schließlich machte sie den letzten Strich, der vermutlich niemandem gefehlt hätte, der für Amy aber das Werk erst vollkommen machte. »Fertig!«

      Yannick musste sich eingestehen, dass das Bild toll geworden war, auch wenn er selbst darauf zu sehen war. Sie hatte nicht einmal eine halbe Stunde gebraucht, um wieder einmal ein unglaubliches Bild zu zeichnen. Amy besaß die Fähigkeit, durch ihre Bilder etwas auszudrücken. Sie strahlten stets etwas aus, sie vermittelten Gefühle und Stimmungen. Und hier hatte sie es geschafft, Yannicks Nachdenklichkeit zum Ausdruck zu bringen. Seine Augen schienen ganz weit weg zu sein, um seinen Mund lag … ja, so etwas wie Melancholie, seine Stirn ganz leicht gerunzelt … Aber das Beste war doch sein ferner Blick. »Du bist eine Künstlerin«, stellte Yannick wieder einmal fest und sah in ihre erwartungsvoll strahlenden Augen. »Ehrlich, das ist einfach toll geworden! Woher kannst du nur so gut zeichnen?«

      Amy zuckte mit den Schultern und senkte wieder den Blick. »Komm schon, so gut ist es auch wieder nicht …«

      »Keine falsche Bescheidenheit, Amy!« Yannick zückte sein Handy. »Das wird mein neues WhatsApp-Profilbild. Wenn das nicht genau das Richtige über mich aussagt …« Er tauschte sein altes Profilbild, auf dem er in Eishockeyausrüstung während eines Spiels zu sehen war, gegen Amys Zeichnung aus.

      Abschied

      Veronica öffnete das kleine, schwarze Samtkästchen. Ein silberner, schlichter Ring steckte darin. Sie zog ihn vorsichtig und langsam heraus, drehte ihn zwischen ihren Fingern, dann spreizte sie die Finger der rechten Hand. Wie damals. Bloß dass es diesmal nicht Markus war, der ihr den Ring sanft und vorsichtig auf den Ringfinger schob, sondern sie selbst. Diesen schlichten silbernen Ring, der dennoch der wertvollste Schmuck war, den Veronica jemals besitzen könnte. Ein Ring. Das Symbol der Ewigkeit.

      Amy und Yannick würden diesmal mit dem Zug zurückfahren. Markus holte sie diesmal nicht ab. Veronica würde ihn nicht sehen. Sie konnte nicht einmal sagen, ob sie erleichtert darüber war oder ob sie es irgendwo tief in sich drin sogar bedauerte. Dreizehn Jahre lang hatten sie sich wegen der Kinder immer wieder gesehen. Aber es wollte sich auch nach dreizehn Jahren einfach nicht angenehm anfühlen, ihm gegenüberzustehen. Denn da hingen noch immer so viele unausgesprochene Dinge, Fragen, Gefühle zwischen ihnen.

       »Du hast deine Familie im Stich gelassen, Veronica. Du weißt, dass ich immer hinter dir gestanden und mich über deine schriftstellerischen Erfolge gefreut habe. Ich war so stolz darauf. Aber dass du deine Familie dafür verlässt…«

      Da war sie wieder, die Stimme ihrer Mutter. Diese vorwurfsvolle, enttäuschte Stimme. Das Schuldgefühl war wieder da, das sie so oft überkam. Es war noch sehr früh, aber die Ruhelosigkeit eines Künstlers hatte sie aus dem Bett getrieben, wie so oft geradewegs in ihr Arbeitszimmer. Hier saß sie nun vor ihrem neusten Manuskript, doch sie konnte sich einfach nicht auf ihre Geschichte konzentrieren.

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