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schob sich den Rest ihres Brötchens in den Mund und nahm den letzten Schluck Kaffee. »Hört mal, ich … ich gehe nur rasch in mein Arbeitszimmer und schreibe diese Szene hier, die ich gerade konzipiert habe. Ich bin gerade so im Flow …« Sie sah von Yannick zu Amy und wieder zurück, mit einer schuldbewussten, beinahe etwas flehenden Miene. »Okay?«

      Yannick und Amy warfen sich einen Blick zu. »Du bist aber fertig, wenn wir zum Strand gehen?«

      »Auf jeden Fall!«

      Veronica war nicht fertig, als Amy und Yannick zum Strand gingen. Sie hatten es schon gewusst, als Veronica vom Frühstückstisch aufgestanden war. Weil das immer so war.

      »Eigentlich ist es ein Wunder, dass wir es in diesen Ferien geschafft haben, nach Amsterdam zu fahren. Dass Mama nicht kurz vor der Abfahrt doch wieder ein Flow dazwischengekommen ist«, grummelte Yannick vor sich hin, als er und Amy auf dem Weg durch die Dünen zum Strand waren. Veronicas Beagle-Hündin Ginny lief einige Meter vor, dann blieb sie wie immer mit ungeduldiger Miene stehen, um zu warten, bis Amy und Yannick sie eingeholt hatten, bevor sie wieder vorlief. Ginny war die treuste Seele von Hund, die man sich nur vorstellen konnte. Fast so treu wie Veronicas früherer Hund, ein ruhiger, sanftmütiger, geduldiger und verschmuster Berner Sennenhund, dem Yannick immer noch nachtrauerte.

      Amy sah zaghaft zu ihm hoch. »Wir machen uns aber trotzdem einen schönen Tag am Meer … vielleicht kommt Mama ja auch noch nach … und zum Mittagessen können wir uns wieder Fisch holen … es sind doch Sommerferien!«

      Yannick schluckte seine grimmige Stimmung hinunter und lächelte Amy an. »Ja, natürlich!« Amy selbst war auch enttäuscht, dass Veronica wieder einmal keine Zeit hatte, obwohl sie sich doch nur so selten in den Ferien sehen konnten, aber noch mehr litt sie unter schlechter Stimmung und Streit.

      Amy lächelte erleichtert zurück und blieb kurz stehen, um ihre Flip Flops auszuziehen, denn sie waren jetzt am Strand angekommen. Dann sprang sie fast ebenso leichtfüßig und verspielt durch den Sand wie Ginny.

      Yannick beobachtete Amy von der Seite. Ihre dunkelblonden Haare flatterten im Wind, ebenso wie der leichte Stoff ihres Sommerkleides um ihre Beine. Amy trug beinahe ausschließlich Kleider. Im Sommer sowieso, aber auch im Herbst und Winter konnte man sich die Tage, an denen sie in einer Hose steckte, rot im Kalender markieren. Amy liebte luftige, bauschige Kleider, und am liebsten trug sie mädchenhafte, verspielte, romantische Kleider mit Blumenmuster. Dabei machte Amy sich nicht einmal fein. Sie hatte sich noch nie in ihrem Leben geschminkt, und das Aufwändigste, was sie mit ihren Haaren veranstaltete, war, sie zu einem Zopf zu flechten. Nagellack stank ihr zu sehr, vorm Ohrlöcherstechen hatte sie Angst und Ketten nervten sie. Aber trotzdem wirkte Amy in ihrer Schlichtheit stets … ja, fein, bezaubernd. Wie eine von den Prinzessinnen, die sie so sehr liebte. Keine eingebildete, verwöhnte Prinzessin, sondern eine zarte, stille Prinzessin, die dadurch jedoch eigentlich nur umso anmutiger wirkte.

      In diesem Moment sah sie sich zu ihm um. »Was schaust du so?«

      »Nur so. Ich habe mir nur gerade gedacht, dass du heute ein sehr schönes Kleid anhast«, sagte Yannick ehrlich.

      Amy senkte ihren Blick wieder, doch ihr Lächeln verriet Yannick, wie sehr sie sich über das Kompliment freute.

      Sie waren an Veronicas dauerhaft gemietetem Strandcontainer angekommen und machten es sich gemütlich. Der Strand füllte sich bereits zusehends und Ginny hatte schon einige Hundefreunde gefunden, mit denen sie am Meer entlangwetzte. Es war heute wunderbar am Strand. Immer noch so warm, dass man in Badehose hier sitzen konnte, jedoch bei weitem nicht mehr so erdrückend heiß wie in den letzten Tagen.

      Yannick kramte seine Zigarettenschachtel hervor, zündete sich eine an, nahm den ersten Zug, ließ sich nach hinten in seinen Liegestuhl fallen und versuchte, den Strand ebenso wie den Rauch so tief wie möglich in sich aufzunehmen. Er reiste nicht besonders gerne, aber ans Meer war er immer schon gerne gefahren. Besonders gefiel Yannick am Strand die scheinbare Unendlichkeit. Man konnte weder das Ende des Strandes erblicken noch das des Meeres am Horizont. Eigentlich war es ziemlich verständlich, dass die Menschen früher geglaubt hatten, die Erde sei eine Scheibe und man würde einfach hinunterfallen, wenn man nur weit genug segelte.

      Am Meer überkam Yannick stets eine gewisse Ehrfurcht vor der Schöpfung. Das Meer wirkte so mächtig und schien, wenn es wollte, all das vom Menschen Geschaffene und die Menschen selbst überrollen, mit sich reißen und zerstören zu können. Das Meer führte einem besonders eindrücklich vor Augen, wie mächtig die Natur selbst eigentlich war. Und wir Menschen treten mit Füßen darauf herum, dachte Yannick und betrachtete einen Moment die Kippe zwischen seinen Fingern. Dann seufzte er tief und nahm den nächsten genießerischen Zug. Was war denn heutzutage überhaupt noch umweltfreundlich? Funktionierte ein menschliches Leben auf der Erde überhaupt, ohne auf eine Sicht von Tausenden von Jahren alles zu zerstören?

      Es war wunderschön hier. Yannicks Herz wurde schwer, wenn er daran dachte, dass die Zeit hier in einigen Tagen schon wieder vorbei wäre. Knapp drei Wochen hatten sie hier immer nur, dann mussten sie nach Deutschland zurück. Denn in der zweiten Hälfte der Sommerferien begann das Eishockeytraining wieder. Yannick spielte inzwischen bei den Junioren in der DNL, der deutschen Elite-Nachwuchsliga. In dieser Saison würde er in der Heschbacher Mannschaft spielen. Sie zogen nämlich wieder einmal um, Amy, Yannick und ihr Vater. Die vielen Umzüge brachte Markus Sladowskis Job als Eishockeytrainer mit sich. Diesmal zogen sie nach Heschbach. Markus, der früher Profieishockey gespielt hatte, hatte einen Vertrag als Assistenztrainer der Heschbacher Geparden unterschrieben. In der ersten Liga. Das war ein Aufstieg für ihn, wo er doch zuvor immer in der DEL2 trainiert hatte.

      Yannick wäre viel lieber noch länger hiergeblieben. Er hatte keine Lust auf den Umzug, und auf die neue Mannschaft auch nicht. Und irgendwie hatte er auch überhaupt keine Lust auf seinen Vater. Mit dem stand er seit einiger Zeit irgendwie auf Kriegsfuß. Ständig bekamen sie sich in die Haare und Markus brüllte herum. Seit er herausgefunden hatte, dass Yannick rauchte, wurde er noch schneller reizbar. Markus hatte sich furchtbar aufgeregt und ihn angeschrien, was er sich denn eigentlich dabei dächte und dass er doch nicht jeden Scheiß mitmachen müsste und dass er doch Leistungssport betrieb. Und fast bei jedem Streit wiederholte Markus seitdem aufs Neue, was er von Zigaretten hielt. Yannick wusste sich zu verteidigen; was war denn zum Beispiel mit der NHL-Legende Mario Lemieux, der vor seiner Erkrankung eine halbe Schachtel pro Tag geraucht hatte? Ganz zu schweigen von einem Theo Fleury, der gewissermaßen von Drogen gelebt hatte?

      »Die sind ja auch mit einem Wahnsinnsausnahmetalent gesegnet«, pflegte Markus dann zu kontern. »Aber nicht ganz so begabte Spieler können sich so was nicht erlauben, gerade heutzutage nicht mehr! Mann, dass du solchen Scheiß mitmachst …«

      Dabei machte Yannick solchen Scheiß ja überhaupt nicht mit. Seine Schulkameraden wären wohl die Letzten gewesen, von denen er sich mitziehen ließ. Es war sein Lieblingsbuch gewesen. Drei Kameraden von Erich Maria Remarque, seinem Lieblingsschriftsteller. Remarque konnte Gefühle und Stimmungen beschreiben wie kaum ein anderer Autor. Yannick hätte sich von morgens bis abends nur mit Remarques pazifistischen Werken und auch mit der Person selbst beschäftigen können. 1898 geboren, hatte er den ersten Weltkrieg, den Nationalsozialismus und auch den zweiten Weltkrieg erlebt. Von den Nazis wurden Remarques Bücher verboten und öffentlich verbrannt und ihm selbst die Staatsbürgerschaft entzogen, seine Schwester hingerichtet. In den USA, deren Staatsangehörigkeit er schließlich erlangte, war er ein geschätzter und angesehener Schriftsteller und er war sogar für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden. Mit Im Westen nichts Neues, einem schonungslosen Antikriegsroman, in dem es um Paul Bäumer und seine Erlebnisse als Soldat im ersten Weltkrieg an der Westfront ging, wurde er über Nacht berühmt. In Drei Kameraden erzählte er von jungen Soldaten, die nach dem Krieg versuchten, ins Leben zurückzufinden.

      Die drei ehemaligen Kriegskameraden Otto Köster, Gottfried Lenz und Robert Lohkamp versuchten sich nach dem ersten Weltkrieg eine Existenz als Automechaniker und Taxifahrer aufzubauen, allerdings liefen ihre Geschäfte mehr schlecht als recht. Ihr – und besonders Kösters – ganzer Stolz war das Rennauto Karl. Mit Karl, der beinahe so etwas wie ein vierter Kamerad war, gewannen sie Rennen und lieferten sich außerdem

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