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sich eilig, weil er noch einen Termin habe.

      „Mit elastischen Schritten“ eilt er davon, sein Begleiter kann ihm nicht mehr folgen. Kurz darauf ein Aufruhr, Schreie – der Mann liegt, offenbar von einem Auto angefahren, auf dem Asphalt der Straße. Sein Begleiter kämpft sich zu ihm durch und hört seine vielleicht letzten Worte:

      „'Versuchen sie es einmal, wenn Sie ganz allein sind. Irgendwo. In einem Park oder nachts an einer freien Stelle. Ich hoffe, Sie werden Gefallen daran finden. Und machen Sie es besser als ich.'

      Polizisten betraten den Kreis.

      'Können Sie Angaben machen?' sagte der Polizist zu dem Begleiter.

      'Er wollte rückwärts gehen', sagte der Begleiter.

      'Das ist heute schon der Vierte, der das versucht', sagte der Polizist.

      'Was ist nur mit den Leuten los?'"

      Querdenker haben es naturgemäß schwer, Gefolgschaft zu finden, wie viel mehr ein Querhandelnder. Ganz allein war unser Mann ja schon nicht mehr. Die entsprechende Metapher vom Gegenden-Strom-Schwimmen ist geläufig, und ist fraglos grundsätzlich sehr zu empfehlen. Einen Fehler machte unser Rückwärtsgeher allerdings und ein Handicap hatte er: Er war in die gefährliche Eile der Konformisten zurückgefallen; und er hatte keine ausreichende Anzahl an Followern. Denn dann würden sie gesehen, würde mit ihnen gerechnet, und sie könnte sich am Ende die Straße zurückerobern, den klassischen Ort der Revolution. Dann wäre auch das Vorwärtsgehen wieder eine respektable Alternative.

       FEBRUAR

       Über Lieblings-Tatort und Verqueres,Hörgenuss und Konzertantes sowie Erichs Emil

       8. Februar 1937 – Geburtstag Manfred Krugs

       Roberts Robe

      Den „zerbrochnen Krug“, Kleists Lustspiel, hat er auch mal gespielt, also nicht die Titelrolle, den Dorfrichter Adam natürlich. Zerbrochen oder gebrochen konnte man sich dieses Mannsbild auch nicht vorstellen, obwohl das Interview mit Dirk Sager unmittelbar nach der Ausreise nach West-Berlin 1977 ihn als enttäuschten, desillusionierten, einfach schwer mitgenommenen Menschen zeigt. Aber sie haben ihn nicht geschafft. Er hatte sein Publikum in der DDR verloren, das hatte ihn am meisten getroffen, so sagte er damals. Also gewann er ein neues.

      In seiner zweiten Heimat machte er vor allem Fernsehen: Vorabendsendungen wie „Auf Achse“ (15 Jahre lang) zu Beginn, später Hauptprogramm: „Tatort“ (1984-2001, 41 Folgen), Sonntagabend. Das für den Freund des anspruchsvollen TV-Kammerspiels mit regionalem Bezug Beste, was Manfred Krug ablieferte, war aber die von seinem Freund Jurek Becker geschriebene Anwaltsserie „Liebling Kreuzberg“ (1986-1998, 58 Folgen).

      Das Singen jedoch konnte er auch nicht lassen: Die Kritik schätzte ihn schon in der DDR sehr, wo er als Jazz-Interpret großen Erfolg hatte, in Zusammenarbeit mit seinem Bandleader. Natürlich war die Enttäuschung groß, als sich herausstellte, dass dieser den Krug jahrelang für die Stasi ausspioniert hatte. Es gab auch einiges zu berichten über seine Veranstaltungsreihe „Lyrik – Jazz – Prosa“. Geradezu legendär wurde jener Auftritt, bei dem Manfred Krug die systemkritische satirische Anekdote „Die Kuh im Propeller“ von Michail Soschtschenko rezitierte. Ganz oben wollte man ihm, dem braven DDR-Bürger, Dissidentes nicht durchgehen lassen, sodass er letztendlich resignierte.

      Bevor sich das Ausbürgern einbürgere, so seine Worte, verließ er im April 1977 im Nachklang der Biermann-Entlassung aus der Staatsbürgerschaft freiwillig die DDR. Ob das zuvor über ihn verhängte Berufsverbot seinen Sinn für Recht und Gerechtigkeit besonders anheizte, ist fraglich, sicher ist jedoch, dass er im Westen hauptsächlich als Kommissar, Detektiv und Anwalt tätig wurde – jeweils als Darsteller, versteht sich.

      „Betrachten Sie unser Verhältnis als – angespannt! “ Liebling konnte ziemlich unleidlich sein.

      Die Produktionszeit von „Detektivbüro Roth“ und „Liebling Kreuzberg“ überschnitt sich anfangs, was Anwalt Lieblings Kompagnon Arnold in der „Liebling“-Folge „Ausnahmsweise umsonst“ dazu nutzte, einer Mandantin das Detektivbüro Roth zu empfehlen, was er gleich darauf allerdings wieder zurücknahm: „Es war nur ein dummer Scherz.“

      Das Publikum jedoch genoss wohl nicht nur die Scherze, die Jurek Becker und in einer Staffel Ulrich Plenzdorf ihrem Protagonisten und seinen Nebendarstellern in den Mund legten. Vielmehr gab es zum Preis der GEZ-Gebühr jeweils eine Dreiviertelstunde Einblicke in und Nachhilfe über unser Rechtssystem. Eine Mandantenbelehrung wie „Sie müssen sich von dem Gedanken freimachen, vor Gericht gebe es Gerechtigkeit, was Sie bekommen ist ein Urteil“, klingt zwar trivial, sollten sich aber immer noch viele, die das einfach nicht wahrhaben wollen, wenn schon nicht hinter die Ohren, so doch wenigstens auf die Korrespondenz mit ihrem Anwalt notieren. Und dass Robert Liebling, als er ohne Robe vor Gericht erscheint, Gefahr läuft, als nicht anwesend vom Verlauf der Verhandlung ausgeschlossen zu werden, ist eine unterhaltsam dargereichte Information, die man dankend zur Kenntnis nimmt. Alles, was der Rechtsfindung dient, wissen wir seit dem großen linken Rechtsgelehrten Fritz Teufel, muss halt in Anschlag gebracht werden.

       9. Februar 1948 – Todestag Karl Valentins

       Dialektische Hochkomik

      Diese Ehrung hat er sich redlich verdient, den Valentinstag am 14. Februar. Schließlich hat er ja nicht nur als Komiker brilliert, sondern auch als Volkssänger, Autor und Filmproduzent. Dialektiker war er allzumal und allezeit: „Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.“ These, Antithese, Synthese – das sitzt. Ihm einen Tag im traurigen Monat Februar zum Andenken zu widmen, ist Karl Valentin angemessen. Wir wissen ja: Valentin mit ,f‘ ['falantin], nicht ,w‘, man sagt ja auch nicht [‘wog#l].

      Um die Sache von hinten aufzurollen („Arschlings heißt von hintenherwärts“): Valentin war ein lustiger Geselle, den ausgerechnet ein besonders absurder Tod ereilte. Unmittelbar nach dem Krieg sehr geschwächt, starb er am 9. Februar 1948 an einer Lungenentzündung und (auch wohl an Unterernährung), weil er versehentlich nach einem Auftritt in den ausgekühlten Räumen des Münchener Theaters an der Wörther Straße eingeschlossen worden war. Am 11. des Monats, einem Aschermittwoch und also drei Tage vor dem eigentlichen Valentinstag, wurde er bestattet. In seinen letzten Jahren, der unmittelbaren Nachkriegszeit, hatte er nach jahrelanger Trennung die Duett-Auftritte mit Liesl Karlstadt noch einmal aufleben lassen; erfolglos.

      Während der Kriegsjahre pausierte er. Er, der weder mit den Nazis paktierte noch sie sonderlich provozierte. Viel mehr als ein Kalauer war nicht von ihm zu hören: „Gut, dass Hitler nicht Kräuter heißt, sonst müsste man ihn mit ,Heil Kräuter' grüßen.“ Man kann als Nachgeborener nicht verlangen, dass man unbedingt den Widerstandskämpfer hätte geben müssen. Immerhin gingen beide Seiten auf Distanz zueinander: Die Nazis, weil sie seinen Film „Die Erbschaft“ (1936) wegen „Elendstendenzen“ verboten, Karl Valentin, weil er seine Postkartensammlung mit Motiven aus dem München des 19. Jahrhunderts für eine Summe nicht unter 100 000 Mark an Hitler verkaufen wollte. Der war sogar bereit zu zahlen, allerdings unter der Bedingung, dass Valentin das Geld nicht fürs Filmemachen ausgibt. Auf Auflagen aber mochte sich der klamme Komiker nicht einlassen. Über Hitlers Leibfotografen ließ er ausrichten: „Sagen S' dem Herrn Führer, I bin wie er – alles oder nichts!“

      Man ließ ihn weitgehend gewähren – weil er für die Machthaber ungefährlich war, oder weil sie seine spitzfindige Sprachartistik und die tragische Komik seiner Szenen schlicht nicht verstanden. Wie auch immer: Seine erfolgreiche Zeit war da schon vorbei – und die absolut erfolgreichste sollte erst fünfzig Jahre später kommen. Alles Weitere erklärt das Valentin-Karlstadt-Musäum in München („Kinder unter 6 Jahren und 99jährige in Begleitung ihrer Eltern haben freien Eintritt.“).

      Der Stand eines anspruchsvollen Humoristen in seiner Zeit ist nie ein ganz leichter, für Valentin auch und gerade in seiner Heimat nicht.

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