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ein alter Hut, und Politiker sollten viel öfter mal wieder denselben nehmen, wenn ihre Fehlleistungen uns über die Hutschnur gehen. Sollte zudem jemand glauben, hier würde ein Faible für solche Sentenzen ausgelebt, so sei ihm nur kühl entgegnet: „Damit habe ich nichts am Hut!“ – auch wenn diese Sprachspiele so unsterblich scheinen wie Fang den Hut! sehe man sich doch vor: Überall kann ein Kalauer als false friend lauern. Seien Sie auf der Hut!

      * Bei der berühmten Karikatur, von der eingangs die Rede war, handelt es sich natürlich um die von David (Alexander Cecil) Low zum Hitler-Stalin-Pakt. Low hat mit seinen künstlerischen Arbeiten frühzeitig und intensiv vor den europäischen Diktatoren Hitler, Mussolini und Franco gewarnt, wobei er, sie gleichwohl dem Spott preisgebend, keinen Zweifel an ihren gefährlichen Absichten ließ.

       21. Januar 1867 – Geburtstag Ludwig Thomas

       … von hervorragendem Verstand

      Er hatte es mit den Juristen. Er war selber einer. Er hatte sogar eine Dissertation geschrieben und führte den Doktortitel. Was er eigentlich nicht durfte, denn er hatte seine Arbeit nie drucken lassen. Ludwig Thoma war so einer. Irgendwie oa Viech, oa Lausbuab. Eben damit begründete er wohl zuallererst seinen Ruhm: mit den „Lausbubengeschichten“. Ferner bekannt ist der fleißige Schreiber durch eine Vielzahl von Romanen und Stücken, und regional am Ende am berühmtesten durch seinen „Münchner im Himmel“. Außerdem war er lange Jahre Autor und Redakteur des Simplicissimus, auch ein Ausweis seiner humoristischen und satirischen Qualitäten. Dass er in seiner späten Lebensphase zum übelsten antisemitischen Hetzer mutierte, macht es heute schwer, ein allgemeines Urteil über ihn zu fällen.

      Aber eben die Juristerei: Mit der hatte er es, sowohl beruflich als auch als Objekt satirischer Attacken. Es ist vor allem ein Satz, der immer wieder gern zitiert wird, zwar unvollständig, aber immerhin. Gern wird er auch einem Kollegen zugeschrieben, der aber erheblich später wirkte: Kurt Tucholsky. Die Ehre gehört zweifelsfrei allein dem Thoma Ludwig und seiner präzisen Beobachtung: „Er war Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand.“ Das ist nicht nur fein formuliert, man kann sich auch vorstellen, jemand fühle sich davon persönlich getroffen. Dass ein solcher Satz dann juristisch zu prüfen ist, wenn er in öffentlicher Rede fällt, versteht sich geradezu von selbst. Und so geschah es vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG BaWü, Beschl. v. 24.05.2007 – 9 Ta 2/07).

      Dort klagte ein Advokat und Arbeitgeberfunktionär, weil er diesen Satz, geäußert von einem Gewerkschaftssekretär, auf sich bezogen verstand. Der Beklagte wandte ein, er habe einschränkend erklärt: „Sollte jemand im Raum sein Zitat so verstanden haben, dass er damit den Kläger gemeint habe, so würde er sich dafür bei Herrn Dr. K. entschuldigen. Bei Herrn Tucholsky entschuldige er sich dafür aber nicht.“ Falsch!, urteilte die Kammer, eine Entschuldigung sei durchaus angebracht, doch eben eher bei Ludwig Thoma, dem das Zitat zu verdanken sei. Und, in Fragen der Textanalyse gut beraten, vertiefte sich das juristisch-literarische Trio (die Besetzung liegt nahe) leise triumphierend in die literarhistorische Unterströmung, denn die Sequenz laute tatsächlich: „Der königliche Landgerichtsrat Alois Eschenberger war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand.“ Verkürzt ginge die selbstironische Distanzierung verloren, die dem Thoma, weil selbst Jurist, am Herzen gelegen habe.

      Auch wenn der Beklagte aus grober Unkenntnis das Adjektiv „guter“ weggelassen hatte, Anlass zur Zulassung der Rechtsbeschwerde sah das Gericht nicht, weil es keine Angelegenheit von grundsätzlicher Bedeutung sei, und gab dem einschlägig beruflich erfahrenen Kläger noch mit auf den Weg:

      „Jedenfalls ist es uns Juristen im Allgemeinen bekannt, dass wir ob unseres gewählten Berufes und einer damit verbundenen geistigen Prägung gelegentlich als Objekt des Spottes herhalten müssen. Ludwig Thoma hat dereinst davon noch mehr über unser aller Haupt ergossen (nachzulesen in „Der Münchner im Himmel – Von Rechts wegen“ (…) – die Annahme „von mäßigem“ Verstand zu sein, erscheint da noch harmlos). Das lässt sich jedenfalls aushalten.“

      [https://justillon.de/2015/04/er-war-jurist-und-auch-sonst-von-maessigem-verstand-wie-man-mit-einem-falschen-zitat-einen-rechtsanwalt-beleidigt/]

      Und ein weiteres Mal bewahrheitet sich die Maxime der komischen Kritik: Darf Satire beleidigen? Ja, darf sie. Man darf sich nur nicht beleidigen lassen. Wohlgemerkt: Das gilt für satirische Arbeiten. Was Thoma sich schon frühzeitig an antisemitischen Ausfällen geleistet hat, erfüllte immer schon mehr als nur den Tatbestand der Beleidigung. Da aber gab es keine demokratisch gesinnten, noch dazu textsicheren Gerichte.

      Jugendmild und altersirre: Thomas frühe Erfolge und seine späten Hetzschriften im „Miesbacher Anzeiger“.

       31. Januar – Rückwärts-Tag

       Vorwärts nimmer

      „Rentner Otto Lehel: Ehe tot!“ Das wäre allemal keine Schlagzeile wert, nicht mal in der Frauen-Zeitschrift Hannah. Sie, die es nicht gibt, und der Eingangssatz verbindet eines: Bei jedem Wort handelt es sich um ein Palindrom, also eines, das vorwärts wie rückwärts gelesen gleich lautet. Immer nur vorwärts ist langweilig, wenn es andersrum aber dasselbe ist, wird’s auch nicht spannender. Deshalb sei empfohlen, einfach mal die Richtung zu wechseln. Das hätte E. Honecker („Rückwärts nimmer“) wohl auch nicht mehr den Hals gerettet, den fortschrittlichen Menschen war es immer ein guter Rat.

      Als Zeugen für den Nutzen und Nachteil des Richtungswechsels für das Leben treten im Folgenden auf: ein Otto Normalverbraucher alias Sander und ein Wissenschaftler. Beide führen ein Experiment durch, wobei Otto Sander als Titelfigur in der zweiten Episode des Films „Zum Beispiel Otto Spalt“ (Regie: René Perraudin, Deutschland 1988) als einziger Akteur des Kurzfilms „Rückwärts“ rückwärts agiert. Da die Kamera ebenfalls rückwärts läuft, ergibt sich ein komischer Effekt bei wiederum normaler Vorführung, denn während alle Komparsen falsch herum handeln, ist der Protagonist der Einzige, der – wenn auch ungeschickt – vorwärts geht, sich also im landläufigen Sinn normal verhält und verständlich spricht. Man kann sich gut vorstellen, welche Mühe und Disziplin nötig ist, um alles in umgekehrter Reihenfolge zu präsentieren. Das ist sonst nur der Deutschen Bahn vorbehalten.

      Professor Spalt (Otto Sander): DVD still available, wenn man sich umsieht.

      Geradezu „bleich vor Anstrengung“ erscheint denn auch der Held eines anderen literarischen Werkes, der sich dem Rückwärtsgehen verschrieben hat. Autor Günter Seuren lässt ihn in der – in den Schulen immer wieder gern interpretierten – Kurzgeschichte „Das Experiment“ auf einen Mann treffen, der ihn auf seine Art der unkonventionellen Fortbewegung anspricht.

      „Ich gehe rückwärts, weil ich nicht länger vorwärts gehen will“, erwidert der und fordert seinen andersrum gehenden Begleiter auf, es ihm gleich zu tun und dadurch ganz neue Perspektiven zu entdecken: „Wenn man immer nur vorwärts geht, verengt sich der Weg. Als ich anfing, rückwärts zu gehen, sah ich die übergangenen und übersehenen Dinge, ich hörte sogar Überhörtes.“ Ganz offenbar ein Sonderling, das muss der erste Eindruck sein, nicht mal seine Körpermaße („übermittelgroß“) lassen sich seriös bestimmen. Und so versucht er sich zu rechtfertigen: Er sei durchaus kein Mann der Umkehr, also kein Sektierer, er sei aber auch kein Träumer, will sagen: jemand also, der sein Unternehmen nicht rational grundiert.

      Sein Begleiter ist skeptisch, provoziert den Forscher sogar („Eines Tages sind Sie stehengeblieben, vielleicht wollten Sie das Gras wachsen hören“), nimmt ihn nicht für voll, wenn dieser hofft, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken („Das tut auch ein Dauerklavierspieler“). Der Rückwärtsgeher gibt sich als Anthropologe, der von einem Volk berichtet, das seinen drohenden Untergang auf originelle Weise zu verhindern wusste. Der Begleiter bezweifelt dennoch den Erfolg des Unternehmens

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