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C. Martin (Buchtitel)

      Nach der Erfahrungsschuld, die sich aufteilt in die Schuld der Leere,1 zu sein und die Schuld des Seins, wieder Vollständigkeit (Leere) zu erlangen, zieht sich diese Schuld fraktal weiter bis zur Urschuld, aus der nach Katastrophen oder Landmangel die organisierte Gewalt erwächst. Die Abgabenschuld, zu deren dauerhafter Tilgung der unterworfene Stamm dem Sieger verpflichtet ist, bildet den Startschuss auf dem langen Weg zum modernen Kapitalismus.

      In der Frühzeit der Staatenhistorie war die Abgabe, ergo Geld, selbst eine Ware und mit dieser Ware wurde die Schuld der Obrigkeit gegenüber getilgt. Im Zuge der sukzessiven Entstehung von Eigentum »durch Revolution gegen den feudalen Staat von unten oder Reformen durch diesen von oben«2 kam es zu Kontraktschulden, d.h. zu Verträgen zwischen Privaten, um die Abgabe zu erwirtschaften. Rekapitulieren wir hierfür noch einmal das Beispiel mit dem Wechsel: Der Schuldner A schuldet dem Gläubiger B eine bestimmte Menge des Abgabenguts (z.B. Gold) und es wird ein Wechsel ausgestellt, auf dem die zu zahlende Summe zum Zeitpunkt X vermerkt ist. Der Gläubiger B kann nun diesen Wechsel weiter für Zahlungen unter Privaten verwenden (Zession), wenn er jemanden findet, der ihn gegen einen Abschlag (Diskont, aus dem der Zins hervorgeht) als Zahlung akzeptiert. Damit dieser neue Gläubiger C – der natürlich ebenso eine Geschäftsbank sein kann – nun den Wechsel von B annimmt, muss B selbst wiederum mit seinem Eigentum haften. C kann nun mit diesem Wechsel seinerseits bezahlen, wenn er mit seinem Eigentum haftet. Je mehr Schuldner nun auf dem Wechsel vermerkt sind (Indossament), desto »umlauffähiger« wird dieser Wechsel, d.h. desto mehr wird er als Geld unter Privaten akzeptiert, da der Gläubiger jeden vermerkten Schuldner von Staats wegen zwangsvollstrecken lassen kann. Was wir hier beschrieben haben, ist im Prinzip nichts anderes als die Entstehung von Giralgeld. Tatsächlich operieren nämlich die Geschäftsbanken nach demselben Prinzip bei der Kreditvergabe. Sie ziehen sozusagen einen Wechsel auf sich selbst (Solawechsel, Finanzwechsel) und begeben diesen »auf Sicht«, gegen Hereinnahme von Sicherheiten des Kreditnehmers.

      Um die Dinge nicht unnötig zu verkomplizieren, erklären wir die realen Abläufe anhand zweier Privatpersonen. Person A will sich Geld leihen von Person B(ank). B hat aber gerade nicht so viel Bargeld flüssig, dafür aber Vermögenswerte in Millionenhöhe. Da Person B eine reiche, angesehene Person ist, der man gemeinhin vertraut1 und eine hohe Bonität unterstellt, gibt B dem Kreditnehmer A kein Geld, sondern einen Schuldtitel (Forderung) auf Geld, d.h. sie schreibt die Kreditsumme auf diesen Schuldtitel und verpflichtet sich, dass sie diesen, wenn er ihr vorgelegt wird (auf Sicht), in Bargeld umwandelt. B haftet also mit seinem Vermögen für die Einlösung des Schuldtitels. Im Gegenzug haftet A für die Rückzahlung des Kredits mit seinen Sicherheiten, die er als Pfand hinterlegt. A kann nun mit diesem Schuldschein bei einem Händler einkaufen gehen, da dieser darauf vertraut, dass B ihm das Geld auszahlen wird, wenn er es benötigt. Ebenso aber könnte sich der Händler den Schuldschein einbehalten und seinerseits damit zahlen. Exakt das passiert beim Giralgeld (auch Buchgeld oder Sichteinlage genannt). Die Geschäftsbanken belasten bei der Kreditvergabe ihr Vermögen (Aktiva in Form von Eigentum, Wertpapieren und Forderungen gegenüber anderen Schuldnern) und räumen dem Kreditnehmer die Kreditsumme als Sichteinlage ein. Diese Sichteinlage ist kein (!) Geld, sondern eine Forderung, die auf Wunsch in Geld auszubezahlen ist. Der Kreditnehmer gibt dieses Giralgeld am Markt aus, wo es auf ein anderes Konto einer anderen Person als Guthaben wandert. Der Inhaber dieses Kontos kann sich dieses Giralgeld nun entweder in bar ausbezahlen lassen2, oder – was heute eher üblich ist – er belässt das Giralgeld auf seinem Konto, um damit seinerseits Zahlungen vornehmen zu können. Um das also nochmal klar zu sagen: Mit diesem Akt der Verschuldung entsteht privates Geld (= Forderung auf »echtes« Geld, d.h. goldgedecktes oder ungedecktes Bargeld bzw. gesetzliches Zahlungsmittel).

      Um das Bankengeschäft wirklich zu begreifen, bleiben wir in unserem mikroökonomischen Beispiel: Die wohlhabende Person B hat also der Privatperson A durch Belastung ihres Vermögens Kredit eingeräumt und A geht mit diesem Schuldtitel beim Händler einkaufen.

      Dieser akzeptiert den Schuldtitel von B, weil jeder in der Region weiß, dass B vertrauenswürdig ist. Der Händler kann aber nun mit diesem Schuldtitel zu B gehen, um sich sein Geld ausbezahlen zu lassen. B, der nach wie vor kein Bargeld flüssig hat, hat nun zwei Möglichkeiten, wie er an Bargeld kommt, um es dem Händler auszubezahlen:

      1) Er könnte entweder Vermögenswerte am Markt verkaufen und so zu Bargeld kommen.

      2) Er könnte den Schuldtitel annehmen und sich jemanden suchen, der diesen Schuldtitel während der Laufzeit des Kredits von A gegen Hereinnahme zu Bargeld macht. Das ist der berühmte »Dritte«, der in Paul C. Martins Beispiel einen Wechsel diskontiert. Dieser Dritte würde den Schuldtitel natürlich nicht ohne Eigennutz zu Bargeld machen, sondern gegen einen Zins (in unserem Beispiel aufgeschlagen statt diskontiert). Sobald der Kreditnehmer A nach der Fälligkeit seines Kredits der wohlhabenden Person B seinen gesamten Kredit samt Zinsen in bar überreicht hat (in Raten oder endfällig), geht Person B zum Dritten, gibt ihm das Bargeld von A (zuzüglich des verlangten Zinses), nimmt seinen Schuldtitel wieder zurück und vernichtet ihn.

      Dieses Beschaffen von gesetzlichem Zahlungsmittel (Bargeld) nennt sich »Refinanzierung« und wird im modernen Geldsystem von den Zentralbanken (Bank der Banken) ermöglicht. Sie sind dieser Dritte, der entweder Vermögenswerte der Geschäftsbanken gegen Bargeld aufkauft (üblicherweise nur zeitlich befristet gegen eine Rückkaufvereinbarung) oder eben einen Schuldtitel der Geschäftsbank während der Laufzeit gegen einen Leitzins in Bargeld umwandelt. Dieser Punkt ist tatsächlich auch der einzige fundamentale rechtliche Unterschied zwischen der Kreditvergabe von Privatpersonen und der Kreditvergabe von Geschäftsbanken. Privatpersonen müssen sich diesen Dritten am Markt suchen, Geschäftsbanken haben darüber hinaus die Zentralbank.

      Es gibt aber auch noch eine dritte Möglichkeit, wie B den Händler zufriedenstellen kann, und diese dritte Möglichkeit kennt jeder von uns, auch wenn er noch nie bewusst darüber reflektiert hat: Er bietet dem Händler an, den Schuldtitel hereinzunehmen und zu verzinsen, wenn dieser im Gegenzug vorerst auf eine Auszahlung verzichtet. Das ist der Grund für die (geringe) Verzinsung von Giralgeld am Konto oder auf Sparbüchern1. Die Bank erspart sich durch eine Verzinsung der Giralgeldguthaben die Refinanzierungskosten, weil dadurch viel weniger Menschen ihr Geld in bar nachfragen. Daneben müsste eine Geschäftsbank Giralgeldabflüsse, die durch eine Überweisung von einer Geschäftsbank zur anderen stattfinden, beim sogenannten »Clearing« in Zentralbankgeld ausgleichen. Auch das soll durch eine positive Zinszahlung verhindert werden. So viel Vertrauen haben eben die Geschäftsbanken untereinander nicht, dass sie fremdes Giralgeld akzeptieren. In unserem Beispiel hat die wohlhabende Person B die Refinanzierungskosten (anfallende Kosten bei Veräußerung von Vermögenswerten bzw. Zinszahlung an den Dritten zur Erlangung von Bargeld), bzw. die Zinskosten für den Verzicht auf die Auszahlung des Schuldtitelhalters, bereits zu Beginn dem A auf seinen Zins aufgeschlagen.1 Sie rechnet also von Anfang an damit, dass der Schuldtitel noch vor Fälligkeit auf Sicht vorgelegt und die Ausbezahlung verlangt wird. Dasselbe machen die Geschäftsbanken. Auch sie schlagen dem Kreditnehmer etwaige Refinanzierungskosten auf seinen Zins auf. Deshalb ist es Zentralbanken möglich, durch eine Änderung des Leitzinses (= Kosten für die Refinanzierung der Geschäftsbanken) indirekt Einfluss auf die Kreditvergabe zu nehmen. Erhöht sie den Leitzinssatz, wird dieser von den Geschäftsbanken an die Kreditnehmer weitergegeben und drosselt so die Kreditvergabe.

      Das »echte« Geld, das sogenannte »gesetzliche Zahlungsmittel«, wird also, neben dem Verkauf von Vermögenswerten der Geschäftsbank an die Zentralbank, hauptsächlich gegen Hereinnahme notenbankfähiger Sicherheiten2 der Geschäftsbanken »verliehen«3, d.h. hier treten die Geschäftsbanken als Schuldner auf, hinterlegen Sicherheiten bei der Zentralbank und bekommen dafür gesetzliches Zahlungsmittel in der Höhe des Werts der beliehenen Sicherheit. Geld – gleichgültig ob Giralgeld oder gesetzliches Zahlungsmittel – entsteht also stets durch einen Gläubiger-Schuldner-Kontrakt und verschwindet, wenn der Kredit getilgt ist: Tilgt der Kreditnehmer seinen Kredit, verschwindet auch das Giralgeld. Zahlt die Geschäftsbank ihr geliehenes Bargeld an die Zentralbank zurück und löst damit ihre Sicherheiten aus, verschwindet auch das Bargeld in den Tresoren der Zentralbank. Geld entsteht im Kapitalismus also immer durch ein Rechtsgeschäft zwischen Gläubiger (die Geschäftsbank

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