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der Zerstörung die Schöpfung als dualer Gegenspieler beisteht, ist jede Katastrophe auch gleichzeitig schöpferische Zerstörung. Der Zusammenbruch eines Wirtschaftssystems bringt ein neues in irrsinniger Geschwindigkeit hervor (oder am Ende eines Kulturzyklus die Zersetzung einer alten Kultur bei baldigem Aufstreben einer neuen). Dem Massensterben in der Evolution folgt eine regelrechte Explosion der Artenvielfalt. Der wichtigste technologische Fortschritt wäre ohne Krieg undenkbar3, und dem totalen Krieg folgen Phasen irrsinniger wirtschaftlicher Prosperität. Auch die Entstehung des Staates (Machtzyklus) brachte eine regelrechte Explosion des menschlichen »Fortschritts«1, sowohl in materieller Hinsicht wie in der Entwicklung des Bewusstseins. Gewalt ist also, um es in den Worten von Goethes Mephistopheles zu sagen, ein Teil jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft, oder um aus Wolfgang Sofskys Traktat über die Gewalt zu zitieren: »Gewalt erschafft Kultur und Kultur erschafft Gewalt« - bzw. Kultur organisiert, institutionalisiert und potenziert die naturhaft-impulsive Gewalt und damit den »Fortschritt«. Kultur wird erst mit dem Staat, bzw. dem Patriarchat als Vorläufer, erschaffen und der Staat entsteht aus einem Gewaltakt und nicht, wie man gemeinhin annimmt, durch Konsens, d.h. aus einem freiwilligen Zusammenschluss von Menschen für Menschen. Tatsächlich entstanden Staaten an keinem Ort der Welt durch eine freiwillige Vereinbarung, sondern stets durch Unterwerfung eines Stammes oder Volkes durch einen anderen Stamm bzw. ein anderes Volk. Ich erlaube mir, hier aus Franz Oppenheimers Der Staat zu zitieren:

       »Er ist seiner Entstehung nach ganz und seinem Wesen nach auf seinen ersten Daseinsstufen fast ganz eine gesellschaftliche Einrichtung, die von einer siegreichen Menschengruppe einer besiegten Menschengruppe aufgezwungen wurde mit dem einzigen Zwecke, die Herrschaft der ersten über die letzte zu regeln und gegen innere Aufstände und äußere Angriffe zu sichern. Und die Herrschaft hatte keinerlei andere Endabsicht als die ökonomische Ausbeutung der Besiegten durch die Sieger. Kein primitiver ›Staat‹ der Weltgeschichte ist anders entstanden; wo eine vertrauenswerte Überlieferung anders berichtet, handelt es sich lediglich um Verschmelzung zweier bereits vollentwickelter primitiver Staaten zu einem Wesen verwickelterer Organisation; oder es handelt sich allenfalls um eine menschliche Variante der Fabel von den Schafen, die sich den Bären zum Könige setzten, damit er sie vor dem Wolfe schütze; aber auch in diesem Falle wurden Form und Inhalt des Staates völlig dieselben wie in den ›Wolfsstaaten‹ reiner, unmittelbarer Bildung. Schon das bißchen Geschichtsunterricht, das unserer Jugend zuteil wurde, reicht hin, um diese generelle Behauptung zu erweisen. Überall bricht ein kriegerischer Wildstamm über die Grenzen eines weniger kriegerischen Volkes, setzt sich als Adel fest und gründet seinen Staat. Im Zweistromlande Welle auf Welle und Staat auf Staat: Babylonier, Amoriter, Assyrer, Araber, Meder, Perser, Makedonier, Parther, Mongolen, Seldschucken, Tataren, Türken; am Nil Hyksos, Nubier, Perser, Griechen, Römer, Araber, Türken; in Hellas die Dorierstaaten, typischen Gepräges; in Italien Römer, Ostgoten, Langobarden, Franken, Normannen, Deutsche; in Spanien Karthager, Römer, Westgoten, Araber; in Gallien Römer, Franken, Burgunder; in Britannien Sachsen, Normannen. Welle auf Welle kriegerischer Wildstämme auch über Indien bis hinab nach Insulindien, auch über China ergossen; und in den europäischen Kolonien überall der gleiche Typus, wo nur ein seßhaftes Bevölkerungselement

      Natur war. Auch die Ursache des rasanten Fortschritts bei der Entwicklung von künstlicher Intelligenz lässt sich ohne die Laboratorien des Pentagons nicht begreifen.

      vorgefunden wurde: in Südamerika, in Mexiko. Wo es aber fehlt, wo nur schweifende Jäger angetroffen werden, die man wohl vernichten, aber nicht unterwerfen kann, da hilft man sich, indem man die auszubeutende, fronpflichtige Menschenmasse von fern her importiert: Sklavenhandel!« Ein Staat entstand also immer durch kriegerische Handlungen, im Zuge derer eine Menschengruppe durch eine andere Menschengruppe zum Zwecke der ökonomischen Ausbeutung unterworfen wurde.

      Zuerst unterscheidet Oppenheimer zwischen Bauernstämmen, Jägerstämmen und Hirtenstämmen. Er bezeichnet die Jägerstämme als »praktische Anarchisten«, die sich nicht unterwerfen lassen (weil nicht sesshaft), während sich bei Hirtenstämmen der Hang zum Raubzug aus soziologischer Sicht am stärksten entwickelt (Vernichtung der Viehbestände durch Seuchen und Raubtiere). Daneben gibt es noch Bauernstämme, denen jegliche Kriegs- und Eroberungslust fehlt, v.a. weil sie sesshaft und an ihre Felder gebunden sind und nicht mehr brauchen, als sie ohnehin anbauen (Subsistenzproduktion). Den Jägern und Bauern ist gemeinsam, dass sie in familiären Solidargesellschaften produzieren1 und es keine Obrigkeit gibt, die durch ein Macht-, Zwang- oder Abgabensystem ihre Untertanen knechtet. Wohl gibt es manchmal einen Häuptling, doch dessen Autorität ist eine konsensuale; niemand ist ihm zu Gehorsam verpflichtet. Der Häuptling hat »kein Mittel, um seine Wünsche gegen den Willen der übrigen durchzusetzen« (Ernst Grosse, Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft). Uwe Wesel beschreibt diese »geordnete Anarchie« von Jägerstämmen in seinem Buch Der Mythos vom Matriarchat exemplarisch anhand des noch heute in Nordamerika existierenden Irokesen-Stammes:

      »Es gab keine Zentralinstanz, nur solche Gruppen mit ihren Ältesten. […] Es gibt keinen Häuptling, der an der Spitze des Stammes steht. Der Stamm besteht aus dem selbstständigen und autonomen Nebeneinander von einlinigen Abstammungsgruppen. Die social anthropology nennt sie lineages. Auch innerhalb der Gens2 gibt es keine Hierarchie, wohl aber einen Sprecher, den Sachem, der bei den Irokesen von allen Mitgliedern, Männern wie Frauen, wie Morgan sagt, gemeinsam bestimmt wird und jederzeit wieder abberufen werden kann. Der Sachem hat innerhalb dieses Verwandtschaftskollektivs keine Befehlsgewalt, sondern nur Sprecher- und Vermittlerfunktion. Er vertritt die lineage auch nach außen, ist Mitglied des Stammesrates.«

      Nach Oppenheimer entsteht also ein Staat, wenn Nomaden, allen voran Hirtenstämme, einen Bauernstamm überfallen, ihn ausrauben und schließlich zur dauerhaften Abgabenleistung (= Steuer) zwingen. Oppenheimer schreibt dazu: »[D]er Bauer weicht nicht aus [im Gegensatz zum Jäger, Anm. d. Autors], denn er ist bodenständig; und der Bauer ist an regelmäßige Arbeit schon gewöhnt. Er bleibt, lässt sich unterwerfen und steuert seinem Besieger: das ist die Entstehung des Landstaates in der Alten Welt!«

      Um sein eigenes Überleben zu sichern, bietet der werdende Staat an, im Gegenzug alle anderen Räuber fernzuhalten (Militär). Man sieht also, dass der Staat (zuerst) im Grunde nichts anderes ist, als eine besonders perfide Form der Ausbeutung, die sich alsbald anstatt des ökonomischen Mittels des politischen Mittels bedient. Hier unterscheidet Oppenheimer grob sechs Stadien:

       »Das erste Stadium ist Raub und Mord im Grenzkriege: ohne Ende tobt der Kampf, der keinen Frieden noch Waffenstillstand kennt. […] Das ist das erste Stadium der Staatsbildung. Sie kann jahrhunderte-, vielleicht jahrtausendelang darauf stehen bleiben […] Allmählich entsteht aus diesem ersten Stadium das zweite, namentlich dann, wenn der Bauer, durch tausend Mißerfolge gekirrt, sich in sein Schicksal ergeben, auf jeden Widerstand verzichtet hat. Dann beginnt es selbst dem wilden Hirten aufzudämmern, daß ein totgeschlagener Bauer nicht mehr pflügen, ein abgehackter Fruchtbaum nicht mehr tragen kann. Er läßt im eigenen Interesse den Bauern leben und den Baum stehen, wenn es möglich ist. […] Das heißt, er läßt ihm Haus, Geräte und ausreichend Lebensmittel bis zur nächsten Ernte. Ein Vergleich: der Hirte im ersten Stadium ist der Bär, der den Bienenstock zerstört, indem er ihn ausraubt; im zweiten ist er der Imker, der ihm genug Honig läßt, um zu überwintern. […] Der Bauer erhält eine Art von Recht auf die Lebensnotdurft; es wird ein Unrecht, den nicht Widerstehenden zu töten oder ganz auszuplündern. Und besser als das! Feinere, zartere Fäden knüpfen sich zu einem noch sehr schwachen Netze, menschlichere Beziehungen, als sie der brutale Gewohnheitspakt der Teilung nach dem Muster der partitio leonina enthält. Da die Hirten nicht mehr im Kampfzorn rasend mit den Bauern zusammentreffen, so findet auch wohl einmal eine demütige Bitte Erfüllung, oder eine begründete Beschwerde Gehör.«

      Oppenheimer schreibt zu diesen zwei Stadien zusammenfassend:

      eine Urmutter zurückführen. Dieses Kollektiv bezeichnet Morgan als Gens und einen Stamm, der aus dem Nebeneinander mehrerer Gentes bestand, als Gentilgesellschaft. Die Irokesenvölker sind darüber hinaus ein noch heute existierendes Beispiel für einen matrilinearen (Mutterfolge) und matrilokalen (das Paar lebt am Wohnsitz der Familie der Frau) Stamm. Zwei Ausdrücke,

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