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eine unstillbare Sehnsucht nach Leben und Entfaltung. Ich wollte mich verändern, reisen, etwas aus meinem Leben machen. Ich wollte Politikerin werden oder als Managerin in einer großen Firma arbeiten. Es war eine ganz eigene Energie, die ich spürte, wenn ich an meine Zukunft dachte. Es war eine Kraft, die Neugier in mir weckte und sich anfühlte wie eine der berühmten verbotenen Früchte auf dem Baum der Erkenntnis. War es dieselbe Sehnsucht, die einst Eva dazu verführte in den Apfel zu beißen?

      Nachdem das Haus verkauft worden war, fand ich keinen wirklichen Anlass mehr, um in das Dorf meiner Tante zurückzukehren. Trotzdem wollte ich mir die unscheinbaren aber freiheitsversprechenden Hintertürchen offenlassen, die eng mit Tante Maria verbunden gewesen waren und versuchte in kleinen Erinnerungen den Duft der großen Welt in mein enges Zuhause zu retten. Wenn ich an einer alten Kirche vorbeikam, stieß ich die Kirchentüre auf und steckte meine Nase hinein. Meist kam mir der Geruch von modrigen, feuchten Räumen entgegen, der sich mit dem Duft von Kerzenwachs vermischte. Ich holte tief Luft und merkte, dass mir die Kirchenatmosphäre guttat.

      Ich fing an mit meiner Tante zu reden. Ich erzählte ihr von meinen Zukunftsplänen und davon, dass ich ein tolles Leben führen würde. Aber bald wurde ihre Stimme leiser und es kamen immer mehr andere Stimmen dazu. Ich versuchte mit Gott zu reden, so wie ich es als Kind getan hatte, aber auch das wollte nicht richtig klappen. Was wollte das Leben von mir?

      Wie so viele junge Menschen in diesem Alter wurde ich zur Suchenden. Wie ein Trüffelschwein im Wald, begann ich nach verborgenen Schätzen in der Welt zu suchen. Aber ich fand keine. Ich war unentschlossen, o b und wenn ja, w a s ich studieren sollte, probierte so einiges aus, sei es als Nebenjob oder einfach aus Lust und Laune, aber eine Antwort auf die Sehnsucht, wie ich sie bei Tante Maria gefunden hatte, konnte ich nirgends entdecken.

      In meinem Innersten hatte ich fest daran geglaubt eines Tages den Apfel der Erkenntnis der Eva zu finden, oder zumindest etwas, was dem entsprach. Damals wusste ich nur: Ich suchte etwas. Aber es war diffus, ungreifbar und definitiv außerhalb meiner damaligen Lebenswelt. Ich suchte etwas, von dem ich nicht wusste, was es war. Irgendwann fand ich mich damit ab und meine Neugier auf die große weite Welt und einer wirklich erfüllenden Tätigkeit, begann langsam wieder zu schwinden.

      Zeitgleich mit dieser Resignation kam ein unbestimmbares Gefühl, eingesperrt zu sein. Es war allerdings kein unangenehmes Eingesperrtsein. Ich fühlte mich wohl damit. Es hatte etwas Vertrautes, Heimeliges und es gab mir Sicherheit. Die Orientierung an einer selbstverständlichen, patriarchalen Welt mit einer subtil unhinterfragbaren Autorität, welche ich dereinst von meinen Eltern und meinem Umfeld aufgesaugt hatte, tat mir gut. Mehr noch. Ich begann mich nach einer eigenen Familie zu sehnen.

      Mit Tante Marias Tod, war die Sicherheit einer andersdenkenden Welt weggefallen. Wie verlockend war da die Orientierung am Selbstverständlichen.

      heimat

      War es Zufall oder Schicksal, dass mich eine meiner Freundinnen zu einem lustigen Abend in die Pfarre mitnahm? Gott war mir immer wichtig und vertraut gewesen, aber, abgesehen von einer losen Bindung zu der Kirchengemeinde bei Tante Maria, hatte ich mich nie besonders mit einer Pfarre identifiziert. An diesem Abend fühlte ich mich sofort wohl.

      In den darauffolgenden Monaten machte ich nicht nur die Erfahrung einer eingeschworenen Gemeinschaft, sondern erlebte diese Zusammengehörigkeit eingebettet in den Gottesdienst. Ich entdeckte meine Liebe zur katholischen Liturgie, was mir später noch zum Verhängnis werden sollte. Damals war ich einfach nur begeistert.

      Wir hatten einen sehr einfühlsamen Kaplan, der uns den nötigen liturgischen Freiraum zur Verfügung stellte. Im Prinzip war es sehr einfach. Der Dienstagabend gehörte uns. Für die Liederauswahl und die Musik waren w i r zuständig und wir fühlten uns wie die Großen. Meine spärlichen musikalischen Kenntnisse erfuhren auf einmal Entfaltung. Ich konnte meine Talente und Fähigkeiten einbringen. Ich wurde gebraucht. Es dauerte nicht lange und wir beherrschten die liturgischen Feinheiten einer Messe wie ein Priester. Nicht nur die Antworten, sondern auch die Gebete waren uns in Fleisch und Blut übergegangen. Wir wussten, wann wir welche Lieder singen konnten, wo frei oder streng nach Vorschrift gebetet wurde, wir hatten den Messablauf im kleinen Finger und die Leseordnung auf der Kühlschranktür hängen.

      In Gemeinschaft geborgen blühte ich auf. Ich erlebte Gleichgesinnte und Zusammenhalt. Das war es, was ich mir immer gewünscht hatte. Sich entfalten. Sich einbringen. Musikalisch mitreden. Gemeinsam Kirche leben. Als energiegeladene Jugendliche wollten wir die Welt retten. Und es kam noch ein Zweites hinzu: Im Gegensatz zu meiner strengen patriarchalen Erziehung erschien mir Pfarre als Freiheit schlechthin.

      Ich verliebte mich. In die Gemeinschaft in der Pfarre, in meine neuen Freunde und vor allem in den rotblonden Rebellen aus der anderen Jugendgruppe. Ich erlebte eine lebendige katholische Kirche, die noch dazu keineswegs eine Einheit war, sondern in der es interessante, progressive oder auch konservative Strömungen gab. Ich lernte, dass verschiedene Gruppen ihren ganz persönlichen Platz in der Kirche beanspruchten, und dass unterschiedliche Menschen eben höchst unterschiedliche Zugänge zu dem e i n e n Glauben der katholischen Kirche besitzen.

      Da diese Platzkämpfe auch in unserer Pfarre ausgetragen wurden, rief Roman, besagter rotblonder Jugendlicher, dazu auf, den Rosenkranz zu boykottieren. Das wären alles „konservative, altmodische, engstirnige, lebensentsagende Menschen“. Ich protestierte mit und hatte bald die Aufmerksamkeit meines angebeteten Roman auf mich gezogen.

      „Schreiben wir einen Brief an den Bischof“, rief uns Roman kämpferisch zu. Es sei schließlich eine Frechheit, wie Mädchen in der Kirche behandelt wurden.

      „Warum dürfen Mädchen in der Kirche nicht ministrieren?“, fragte er provokant in die Runde und wir mussten ihm recht geben. Wir wussten es nicht. In Zeiten in denen man kaum Ministranten fand, war es ein Hohn, dass Mädchen dieser Dienst am Altar verweigert wurde. Aber die Forderungen unseres Rädelsführers gingen noch weiter: Priester sollten heiraten und Frauen Priester werden dürfen.

      Ich fühlte mich als die Superrebellin. Was für unverfrorene Forderungen wir doch hatten: Frauen als Priesterinnen. Das wagte ich ja gar nicht zu denken. Doch dann wurde es ernst. Roman formulierte tatsächlich einen Brief, den er uns eines Freitags in unserer Jugendstunde herumreichte. Alle sollten unterschreiben. Ich schämte mich plötzlich. Würde ich wirklich die Kraft haben, so etwas zu unterschreiben? Mein Zögern hatte für mich enorme Auswirkungen, denn sofort war ich im Ansehen des rotblonden Jünglings gesunken.

      „Na, wenn du meinst, dann unterschreib halt nicht. Ich schicke meinen Brief trotzdem ab“, sagte er und zog los, um sich andere Gleichgesinnte zu suchen. Ich war mir sicher, er war schwer enttäuscht, dass ich meine Unterschrift verweigerte.

      Roman war für mich das Bild eines Traummannes. Gerade weil er älter war (vier Jahre!), verkörperte er für mich das, was ein Mann zu sein hatte: Er wusste wo es langging.

      Ich beschloss mich zu informieren. Vielleicht hatte Roman ja doch recht. Mit einer großen Portion Überwindung und einem ratlosen Herzen machte ich mich auf den Weg zu unserem Pfarrer, um ihn um Rat zu bitten. War schon Roman die Verkörperung eines perfekten Mannes, so war es unser Pfarrer noch mehr. Er war für mich d i e Respektperson. Geweiht und nahezu heilig. Untadelig und unangreifbar.

      An einem Tag, von dem ich wusste, dass der Pfarrer in der Kanzlei war, nahm ich meinen Mut zusammen und marschierte ins Pfarrhaus. Ich war ein schüchternes, dünnes Mädchen, sehr unauffällig und musste sogar vor mir selbst einen Vorwand finden, um nicht im Vorhaus stehenzubleiben, sondern die Tür zur Kanzlei aufzustoßen. Mit gesenktem Blick schlich ich in das durchaus geräumige Büro und sah den hochehrwürdigen Pfarrer am Schreibtisch sitzen. Ich umklammerte ein paar Liederblätter, schob mich selbst ins Zimmer hinein und murmelte ein leises:

      „Entschuldigen Sie, ich muss was kopieren.“ Der Kopierer stand im hintersten Eck in der Pfarrkanzlei und so musste ich unweigerlich um den Schreibtisch des Priesters herumgehen. In diesem Moment erschien mir der Schreibtisch riesig. Ich tastete mich mit vorsichtigen Schritten langsam näher. Der Pfarrer saß mit dem Rücken zu mir und war in ein Schriftstück vertieft. Ich wusste nicht, ob ich etwas sagen konnte oder durfte und überlegte verzweifelt, wie ich denn auf mich aufmerksam machen

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