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der Zukunft meiner Heimat war allerdings zum großen Teil gespielt. Jeder, der etwas Einblick hatte, wusste, dass 1959 ein, mit Verlaub, miserables Jahr für die Deutsche Demokratische Republik war. Dennoch: Tief in meinem Innersten gab es einen gewissen Glauben an das, wofür wir lebten und arbeiteten. Dieser Glaube war aber nie frei von Zynismus,… und alles in allem war es natürlich der Glaube jener, die auf der Sonnenseite des Systems standen, wie ich selbst eben auch.

      Ich hatte bereits die erweiterte Oberschule und den Militärdienst abgeschlossen; Das jetzt anstehende Studium würde mich noch einmal etwa drei Jahre beschäftigen. Danach wartete die Schule der Hauptverwaltung Aufklärung, Jackpot! Tatsächlich sah ich es auch nicht als ausgeschlossen an, im Kollektiv etwas Positives bewirken zu können. Was das System brauchte, waren frische Kräfte, Pragmatismus und mehr Flexibilität. Es sprach nichts gegen eine staatliche Planung, sofern sie Planauflage gut war. Fakt ist, die Leute klauen die Kartoffeln nicht, wenn es ihnen gut geht. Wenn es eine tolle Jahresendprämie gibt.

      Doch die aktuelle Zukunft bereitete mir mehr sorgen:

      Gerüchte von einem antifaschistischen Bollwerk, von einer Mauer, gingen um, die uns angeblich schützen sollte. Es gab ebenso Gerüchte darüber, dass die Russen Atombomben ins Land gebracht hätten.

      Ich wurde in meinen Gedanken unterbrochen.

      „Was denkst Du?“ fragte sie verträumt, weil sie gesehen hatte, wie stark ich abwesend gewesen war. Ich erzählte ihr nicht, was ich dachte. Die Kleine war süß, aber so viel Zucker hatte ich nicht erwartet. Als ich ihr begegnete, und auch danach, war sie »tough« gewesen, blies ordentlich ins Horn. Das hatte ich sofort bewundert und mich deswegen auch unmittelbar angezogen gefühlt. Aber schon nach einer Weile fühlte ich mich bereits wie in einer langjährigen Beziehung. Noch nie hatte ich im Leben jemanden aufgelesen. Wie, wann und woher auch? Es musste diese enorme Hitze gewesen sein. Anders war es nicht zu erklären. Ich fühlte mich nicht so souverän, erst recht nicht, wie ich es hätte sein können und wollen. „Weißt du Inge, die Zeit an der See ist doch immer die Schönste. Ich genieße das. Diese herrliche Luft, die kräftigen Farben und die Unbändigkeit der Natur. Und dann schaue ich gern verträumt zum Horizont und genieße den Moment … mit Dir!“ Ich lächelte sie an und wir küssten uns erneut. Sie bemerkte wohl nicht, dass ich sie gerade zum ersten Mal angelogen hatte.

      Gleicher Tag - Erinnerungen Inge Viett

      Wir waren an Land gegangen und nahmen die Route über Schönberg, trafen dort zwei von Ralfs Freunden. Sie waren ihm nicht unähnlich: Schlaksig, aber athletisch, hart, aber auch smart, umgänglich und in jedem Fall zu nett. Einerseits fand ich es schade, dass wir jetzt nicht mehr alleine waren, andererseits befand ich mich nun gleich in der Gesellschaft von drei Kerlen. Während wir südlich von Schönberg in Richtung Meer fuhren, quetschten Ralfs Freunde, sie hießen übrigens Rudi Dutschke und Harald Jäger, uns aus, wie es dazu kam, dass ich mit dabei war. Sie waren einigermaßen überrascht, freuten sich aber und waren zu allerlei Scherzen aufgelegt. Meine dunklen Gedanken verschwanden immer mehr. Seit sehr langer Zeit war ich nicht mehr so ausgelassen gewesen. Das Wetter war herrlich, mein neuer Geliebter küsste gut und ich war sehr begierig zu erfahren, was er sonst noch konnte. Er machte Lust darauf, es auszuprobieren, vielleicht würden wir die Nacht am Schönberger Strand verbringen.

      Im Ort kauften wir auch zwei Flaschen Wein und etwas Bier. Und jeder trank direkt im Ort bereits eines der herrlich kühlen Bier. Ich war etwas angetrunken, auch weil es so heiß war und weil ich auch noch nichts gegessen hatte. Wir lachten und scherzten, während die Landschaft mit ihren weitläufigen Feldern an uns vorbeizog.

      Gleicher Tag - Erinnerungen Matthias

      Ich stand bis zum Bauch im kalten Wasser, bereits seit zehn Minuten, aber meine Beine bemerkten die Kälte nicht. „Gott, bist du schön, bist du liebreizend!“ Mehr dachte ich nicht. Ihre naturblonden Haare hatte sie zu zwei Zöpfen zusammengebunden und nachdem sie ihre Brille abgenommen hatte, strahlten mich zwei große eisblaue Augen an. Man sah ihr an, dass sie um ihr Aussehen wusste, aber sie ließ es sich so nicht anmerken. Sie war freundlich und zuvorkommend, hieß Christa und war mit einer großen Sportgruppe auf dem Campingplatz. Die Sonnenstrahlen fielen schräg auf das Meer und funkelten in tausend Lichtern. Sie stand vor mir wie Aphrodite persönlich, ihr schlanker, göttlicher Körper entblößt und strahlte mit der Sonne um die Wette.

      Sie war mein Glücksstern!

      Zum Thema Glück fielen mir sogleich ihre Begleiter ein, ich wollte sie unbedingt wiedersehen, jedoch mein Glück nicht allzu sehr herausfordern. Wie könnte es mir dennoch gelingen, dass sie mit mir einen Kaffee trinken ging? „Was habt ihr die nächsten Tage hier noch so vor?“ flüsterte ich ganz vorsichtig, um den Moment nicht zu zerstören.

      „Eine Menge Sachen, unsere Trainingsgruppe ist fortlaufend mit Kursen und Aktivitäten zugekleistert“ antwortete sie kokett, während ihre Augen mich anglühten. Dann fügte sie hastig hinzu: „Wir können uns sehen, aber du musst sofort hier weg. Morgen Nachmittag beim Minigolf am Campingplatz Bonanza?“ - „Perfekt“ unterbrach ich sie hastig, „da wollten wir morgen auch hin!“ Während ich das säuselte verschwand plötzlich das Lächeln meiner Angebeteten und ihr Gesicht verzog sich.

      Fragend drehte ich mich halb um, damit ich in die gleiche Richtung wie sie blicken konnte. Verdammt, die Truppe war zurück und kam zügig auf uns zu. Einer der Typen schnauzte bereits die an, die ursprünglich dageblieben waren. Offensichtlich, weil sie nicht bemerkt hatten, dass ich mit ihrer Christa im Wasser war. Aus dem Augenwinkel heraus nahm ich ebenfalls wahr, dass Uwe und Michael aufgesprungen waren, um den Strand herunter zu kommen. „Macht euch doch mal locker, Jungs. Freie Marktwirtschaft, oder? Keine Konkurrenz gewohnt?“ dachte ich und drehte mich lässig wieder zu Christa, die unglaublicher Weise Tränen in den Augen hatte.

      „Ach herrje, was soll das denn jetzt? Sie werden mich ja nicht umbringen, oder?“ feixte ich und musste dabei innig lachen, bis ich erkannte, dass ihr überhaupt nicht zum Lachen zumute war.

      „… das ist ein Jux, oder?“ stöhnte ich fassungslos.

      Sie wimmerte: „Hör zu, es tut mir leid, wir hätten nicht reden dürfen. Ich dachte wirklich, sie sind länger weg. Renn weg, solange du kannst. Bitte, sofort!“ und drückte dabei meine Hand. Das war töricht, denn es sah so aus, als würden wir Händchen halten. Davon zu laufen war in diesem Moment sinnlos. Ich war viel zu weit im Wasser, mein Fluchtversuch wäre sofort erkannt worden. Außerdem bräuchten sie nur etwas locker zu laufen, um mich an der Wasserlinie abzupassen.

      Es sollte wohl so sein.

      Ich drehte mich um und marschierte rudernd und ruhigen Schrittes im Wasser in die Richtung der Gruppe, die herangerauscht kam. Christa rief mir noch hinterher „Prügel dich nicht mit ihnen, bitte! Wir sind alle vom Bund Deutscher Jugend und bei der Abteilung Technischer Dienst dabei. Wir waren auch in Eckernförde bei den Kampfschwimmern zum Training

      …sie sind einfach zu gefährlich!“

      Ich hielt inne, überlegte erneut und drehte mich noch einmal zu ihr um: „Weißt du, Christa, eine so schöne Frau kennenzulernen, muss offensichtlich schmerzhaft sein. Aber trotzdem noch ein Hinweis:

      In so einer Begleitung wie der deinen sollte man vielleicht besser gar niemanden ansehen.“ Ihr fiel der Kiefer herunter und der Ärger in ihren Augen stand ihr, offen gesagt, weit weniger gut. Mein Adrenalin stieg ins Unermessliche, als ich mich wieder in Richtung Strand orientierte. Meine innere Stimme versuchte mich zu beruhigen: „Erinnere dich an deine letzte Schlägerei, profitiere von deiner Schnelligkeit! Und sei keine Memme! Niemand stirbt so schnell, es gibt nur reichlich Schmerzen …“.

      Ich sah, dass meine Freunde sich zum Kampf bereitmachten und auch ich war nur noch wenige Meter von den herannahenden Sportlern entfernt. Meine innere Stimme sprach weiter: »Technischer Dienst« was? »Bund Deutscher Jugend«? Was sollte das sein? Und warum sind in einem Technischen Dienst junge Männer zwischen 15 und 20? Und warum trainieren die bei der Bundeswehr, bei den Kampfschwimmern in Eckernförde?

      Um die Situation zu entschärfen rief ich mit gekonnter Lässigkeit: „Hey, Jungs, tut mir leid. Ich habe nur ein kleines Schwätzchen gehalten.

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