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Es waren die Privatnummern, sie waren Teil meines Netzwerkes, aber eben auch echte Freunde. Wir teilten einander die gleichen Vorsätze, Prinzipien und Ideen.

      Mittlerweile hatte ich allerdings reichlich italienische, russische und deutsche Telefonnummern in meinem Notizbuch, von denen die meisten offiziell nicht einmal existierten. Vor allem jene der Russen in Italien, jene, die Agenten und Diplomaten der UdSSR waren. Deswegen wusste ich um die Trainingslager hier in der Gegend und klebte deswegen so inbrünstig mit einem Ohr am Nachbartisch der Jugendlichen. Scheinbar hatte es eine Rauferei gegeben, beim näheren Betrachten erkannte ich, dass einige der Jungs Schürfwunden und blaue Augen hatten.

      Die Jugend von heute! Wieder wollten wir eine Generation für die Schlachtbank züchten. Meine Verlobte und ich, wir waren mit den großen kommunistischen Führern einer Meinung, was den Imperialismus und den Faschismus anging.

      Halb zuhörend, halb nachdenkend, wartete ich so weiter auf meine Verlobte. Sie war eine Halbjüdin und Fotografin aus einer bekannten deutschen Familie. Ich lernte sie ein Jahr zuvor, ganz in der Nähe, in einem Hamburger Verlagshaus kennen. Als Verlagsinhaber war ich dort zu geschäftlichen Gesprächen gewesen. Meine Inge war wirklich bildhübsch und so herrlich deutsch. Man musste sie lieben und das tat ich, leider musste man aber wirklich immer auf sie warten. Aber Madonna Mia! Immer, wirklich immer, lohnte sie dieses Warten.

      Als ich weiter am Nachbartisch lauschte, war es inzwischen eindeutig, dass die Gruppe Jugendlicher in die Fänge der Trainingseinheiten geraten war, die hier rund um Eckernförde ihre paramilitärische Ausbildung erhielten. Die armen Bambini! Da ich erstens gut informiert war und zweitens nicht dumm, wusste ich haargenau, wer hier trainierte. Und sie waren nicht nur gut ausgebildet, sie waren auch gut finanziert, bestens versorgt und europaweit vernetzt. Kämpfer, die bereits sechs, sieben Jahre nach dem Weltkrieg wiederbewaffnet gewesen waren und jederzeit mindestens fünf bis sechs Bataillone bereitstellen konnten, um Deutschland zu verteidigen. Und das zu einer Zeit, in der in Deutschland nur über eine offizielle Wiederbewaffnung gesprochen wurde und das Ganze ohne das Wissen der parlamentarischen oder ministeriellen Institutionen. Eine Hand voll Deutscher wusste Bescheid, der Kanzler und jene, welche den Inhalt der Kanzler- und Unterwerfungsbriefe kannten, die es nach jeder Wahl zu unterschreiben galt. Ich dachte nur: „Gäbe mir jemand so viel Geld und Unterstützung, Mamma Mia! Ich würde den Sozialismus in Europa zu echtem Erfolg verhelfen, die richtige Initialzündung geben. So wird ganz Europa erneut von den Rechten überrollt!“.

      Obwohl ich selbst Unsummen in die Finanzierung der italienischen und europäischen Linken pumpte, war es doch nur ein Bruchteil dessen, was die Gegenseite zur Verfügung hatte. Die Jugendlichen hatten Glück, dass sie hier beim Eis saßen. Man zog hier Bestien groß, die gewissenlos töten konnten.

      Ehe ich mich versah, wurde ich in meinen düsteren Gedanken angenehm unterbrochen. Meine bezaubernde Inge kam zu unserem Tisch, ich stand wie immer umgehend auf, um ihr einen Stuhl anzubieten. Sie lächelte erfreut, legte ihre kleine Tasche etwas hektisch auf den Tisch und setzte sich mit einem ebenso kecken wie eleganten Hüftschwung. Ihr Kleid war kurz, aber niveauvoll, ein Mix aus schwarzen und weißen Bögen, die sich ineinanderschlangen und ein wunderbares Muster ergaben. Ihr großer weißer Hut passte mit seiner ebenfalls tiefschwarzen Schärpe perfekt, sie sah wirklich aus wie Audrey Hepburn. Ich war wie immer begeistert!

      „Und Amore, was möchtest Du trinken?“ fragte ich und sie antwortete gestresst: „Champagner, mein Liebling,… und schnell, ich verdurste!“. Ich lächelte verständnisvoll und winkte dem Ober zu. Er sah mich, verstand schnell und huschte davon. Wir waren ja auch schon ein paar Tage da. „Und?“ stöhnte sie, „Was hast Du während des Wartens getan, mein Liebling? Ist etwas Aufregendes geschehen?“ Dann steckte sie sich eine Zigarette an.

      „Nein, es ist nichts Aufregendes passiert, ich habe nur etwas Zeitung gelesen“, erwiderte ich kurz. Aber ich war mir meiner Sache nicht mehr ganz so sicher. Ich dachte noch länger über die Geschichte mit den Jugendlichen nach.

      Kapitel 7

      12. Juli 1959 / Schönberger Strand

      Erinnerungen von Ralf-Peter Devaux

      Unsere Gruppe saß noch lange in einem der Zimmer unserer kleinen Herberge. Wir scherzten und unterhielten uns immer wieder über das Geschehene. Rudi, Harald und ich disponierten um, damit wir bei unseren neuen Freunden bleiben konnten. Die Stimmung war gut, wir tranken etwas Wein und Bier. Nur wenn jemand über den blonden, kleinen Hitzkopf und seine Attacken vom Strand sprach, ließ sich eine gewisse Bedrücktheit erkennen. Er war eben nicht normal gewesen, dieser Bursche, ohne jede Vernunft, sodass es einen immer noch das Mark in den Knochen gefrieren ließ.

      Im Osten gab es so etwas nicht. Gerade wenn es einer ganzen Gesellschaft schlecht geht, schweißt das zusammen und die Spreu wird vom Weizen getrennt. Es liefen ja auch schon genug Menschen davon. Matthias und Michael legten sich zuerst schlafen, danach Harald.

      So blieben Uwe, Rudi, Inge und ich alleine sitzen.

      Jeder erzählte etwas von sich. Rudi konnte reden wie ein Wasserfall, er fand dabei immer die richtigen Worte. Ich mochte ihn immer schon, auch was er sagte, aber unser Kontakt war aktuell eher locker. Meine Eltern wollten nicht, dass ich zu viel Zeit mit ihm verbrachte, weil sein Vater wegen Aufwiegelei gegen die DDR inhaftiert worden war. Deswegen hatte es einen ungenannten Grund, dass wir uns doch noch hin und wieder sahen. Uwe schien ein Mordskerl zu sein. Er sah aus wie ein blonder Teutone, wenn auch nicht so kräftig wie Matthias. Und Inge, nun, die hatte ich ja inzwischen etwas besser kennengelernt. Sie war sehr interessant für mich.

      Inge schien sich bei uns sehr wohl zu fühlen, so, als wäre sie noch nie Menschen wie uns begegnet. Ihre Augen glühten wie Christbaumkugeln im Kerzenschein und je nachdem, wer gerade redete, dem hing sie an den Lippen und saugte jedes Wort auf. Irgendwann flüsterte sie es auch, ganz vorsichtig: „Ich habe noch nie Leute wie euch getroffen. Ihr wirkt so offen und ohne Hintergedanken, ehrlich und freundlich …“

      Uwe war es etwas peinlich, er unterbrach sie: „Du passt aber gut zu uns Inge! Wir sind die weißen Ritter. Möchtest du Teil unseres magischen Quartetts werden? Eine Gruppe edler Ritter?“ Rudi Dutschke lachte, er amüsierte sich über den Schelm, aber Inge strahlte indessen von Ohr zu Ohr.

      Sie war Teil von etwas, vielleicht das erste Mal.

      Strahlend flüsterte die Kleine: „Ja!“.

      Sie freute sich weiter, legte ihren Kopf auf meine Schulter, nahm meinen Oberarm mit beiden Händen und drückte mich ganz fest. Ich küsste ihr auf die Stirn und flüsterte: „So machen wir’s, wann immer uns jemand angreift, dann rufen wir Inge mit den Steinen. Sie ist die glorreiche Verteidigerin unseres Quartetts: Uwe, Rudi, Ralf und Inge!“ Dabei drückte ich sie weiter an mich, während sie fast Tränen vergoss, weil sie ganz offensichtlich so gerührt war. Etwas lauter verkündete ich mit fester Stimme: „Wir machen es so! Ab jetzt treffen wir uns jedes Jahr hier am Strand und veranstalten einen Wettkampf im Steine-Weitwurf.“ Dazu lachte ich herzlich.

      „Wir können ja den Wahnsinnigen vorher anrufen, vielleicht stellt er sich als Ziel zur Verfügung!“ rief Rudi und anschließend Uwe: „Ein jährlicher Kampf der Knöpfe, wir kommen über sie wie John Wayne.“ Dabei feuerte Uwe mit den Fingern nach links und rechts! Wir lachten alle. „Lieber wie Romy Schneider als guter Engel“ schob Inge noch hinterher.

      Sie konnte schon goldig sein.

      Soweit wurde es doch noch ein richtig schöner Sommerabend. Wir gingen irgendwann schlafen und Inge begleitete mich. Es war so, als würden wir uns bereits ewig kennen. Sie war äußerst liebevoll und sehr erfahren. Nie würde ich diese Nacht vergessen, aber das hatte viele Gründe, unter anderem auch deshalb:

      Es dürfte kurz vor Mitternacht gewesen sein, als plötzlich und vollkommen unerwartet die Polizei unser Hotel stürmte! Sie brachen sogar die Tür unseres Hotelzimmers auf, als seien wir gefährliche Halunken!

      Wir wurden überwältigt und festgenommen!

      Als sie uns die Handschellen anlegten, sah ich in Inges Augen: Sie schaute, als wäre ihr von Anfang an klar gewesen, dass das Gute von begrenzter Dauer war und das Schlechte augenblicklich

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