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Dreck, aber Arnis war wirklich Scheiße … das Schlummerland vorm Nirgendwo! Da war wirklich nichts… hier konnte man nur rauchen und trinken. In Eckernförde war ich praktisch aufgewachsen, in einer Pflegefamilie, aus der ich abgehauen war. Jetzt hatte mir der Pfarrer ein Jahr Jugendaufbauwerk in Arnis vermittelt. Aber ich hatte das Gefühl, dort nicht hin zu gehören.

      Möwen kreisten um mich herum, die Sonne brannte rücksichtslos auf meiner Haut und wenn die Fähre nicht bald beschließen würde, die paar Meter zu meiner Seite abzurücken, dann wäre ich, verdammt nochmal, wieder an den Scheiß üblichen Strand gegangen und hätte mich dort gelangweilt. Es war heiß und ich sehnte mich nach einem trüben, kalten und regnerischen Herbsttag, der meiner Stimmung entsprach. Ich zündete mir noch eine Kippe an, schmeckte verdammt gut. Das Boot auf der anderen Seite hatte doch beschlossen abzulegen. Es begann zu rumpeln, zu zittern und dicken, wabernden, schwarzen Qualm aus dem Schiffsschornstein zu pusten und sich langsam wie eine Schildkröte vom Ufer wegzubewegen.

      „Hallo, entschuldige bitte, kannst Du mir sagen, wo die Fähre hingeht?“ Ein Typ stand hinter mir.

      Er rief es etwas laut und sah komisch aus. Meine Stimmung war sofort aufgeheitert. Der Junge trug Jeans, das Elvis-Shirt war zwar nur auf den ersten Blick rockig, aber er machte dennoch einen selbstbewussten Eindruck. In erster Linie aber machte ihn interessant, dass er ganz offensichtlich überhaupt nicht hierher gehörte. Längere Haare, kein Hemd, unrasiert, Rock’n’Roll-Shirt, womöglich ostdeutscher Stahl.

      Er grinste wie ein Sahnetörtchen.

      Ich schaute den Süßen an, was sollte ich schon darauf sagen: „Na, die Fähre, ja, … die fährt ma‘ vom Prinzip her auf die andere Seite!“ Meine Laune stieg schon, als ich den Satz noch gar nicht beendet hatte. Offensichtlich stark, das mir gleich was Hübsches eingefallen war. Und er, der Typ, der neigte den Kopf auf die Seite, schaute wie ein Häschen und grunzte nur: „Aaaahh …!“.

      „Ok, dass hätte schlagfertiger ausfallen können!“ dachte ich mir und fügte noch hinzu: „Nee, ohne Witz, macht sie wirklich. Von dort aus kannste natürlich die Straße nach Schönhagen, Kappeln oder in das malerische Eckernföhrde nehmen, oder du fährst gleich bis Kiel,… mit deinem Fahrrad!“

      Der Brüller. Ich lachte diesen Kerl an, wohlweislich, dass es nach Kiel sechzig Kilometer waren und hörte dabei nicht auf, mitleidig auf das hernieder zu schauen, was wohl sein Fahrrad darstellen sollte. Er drehte den Kopf zur anderen Seite, schaute nun überzogen angestrengt und raunte nachdenklich „Ähhhh …“. Ich war echt enttäuscht. Da kam echt nicht mehr herüber. Die Schwüle wurde noch schwüler und die Hitze noch heißer. Ganz im Ernst, echt kümmerlich. Ich weiß noch, dass meine Laune wieder rapide sank. Ich dachte: „Ach, wer ja auch zu schön gewesen, so ‘n bisschen Abwechslung in diesem Dreckskaff.

      Und er sah ja eigentlich ganz lecker aus!“.

      Dann aber platzte es aus ihm heraus: „Haalloo, heee, isch bin der Raaalf, hob misch dodal verfahre ne …“. Zu meiner Überraschung nahm er unaufgefordert meine Hand und schüttelte sie mehr als kräftig. Er machte den Kasperl, das tat fast ein wenig weh! „Du soch ma, wie komm ik´ n hier aus diesem Drecks-Kaff heraus?“ Dieser Jung-Rocker hatte dabei etwas zu sehr gebrüllt, richtig laut, etwas Spucke raste umher und es war ein sehr, sehr komisches Bild. Er sah aus wie ein Idiot, machte den Clown, grinste bis über beide Ohren und hörte schlichtweg nicht auf, meine Hand weiter zu drangsalieren. Dazu kullerten seine Augen.

      Ich war ausreichend verdutzt und er hatte auch Drecksnest gesagt. Ein lustiger Kerl eben. „Hallo, ich bin die Inge“ rief ich. Was für ein unerwarteter Lichtblick an diesem düsteren Sonnentag. Ehrlich! Und er glotzte mit Silberblick und brabbelte: „Halloooo… isch bin da Ralf; Also eigentlich Ralf-Peter, aber alles sagen einfach nur Ralf. Und äh, ich habe mich in der Tat wohl etwas veriiiiirrt…!“ Dabei drehte er sich kurz weg, um sich mit einem Tuch angestrengt den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Sein Blick wanderte konzentriert den Fluss hinauf, als könne er dort etwas erkennen, was ihn irgendwie weiterbringen würde. Wieder fiel ich fast bildlich vom Tisch.

      Total lässig also.

      Und wie John Wayne auf Indianerjagd raunte er tief: „Kannst Du mir sagen, wie ich hier rauskomme?“ - „Das kann ich und das werde ich“ dachte ich mir und wir blickten uns tief in die Augen, nicht so, als würden wir gleich wieder unseres Weges gehen oder so, als wäre uns egal, was gerade Schönes passierte. Er setzte sich hin und deutete auf meine brennende Zigarette. „Konn isch och mohl?“ und persiflierte dabei weiter einen Sachsen. Wir konnten die Augen nicht voneinander lassen.

      Die Sonne war nicht mehr heiß und Arnis war auf einmal ein schöner Ort. Die Fähre war ein Freund, der Unterhaltungsstoff lieferte, und der nahe Strand ein möglicher Spielplatz.

      „Vielleicht sollte ich dich begleiten. Alleine findest Du doch nie hier raus. Mal im Ernst, wo soll’s denn hingehen?“ Er starrte mir einfach weiter in die Augen und sagte in normalem Deutsch: „Ich besuche Freunde in Schönberg, wir sind da in einer kleinen Pension untergebracht und werden dort einige Tage verbringen. Soll mein Sommerurlaub sein.“ Dabei kniete er sich nach vorne und schmiss ein paar Stullen. Ich ganz lässig: „Mhmm, Schönberg ist hübsch, habt ihr gut ausgesucht, ist aber sogar noch fast weiter weg als Kiel.“ Ich pustete gekonnt den letzten Rauch aus der Lunge, tötete die Zigarette und fügte ganz cool dazu: „Bis Schönberg verläufst Du Dich doch noch drei Mal. Wir nehmen die Fähre, dann später nochmal das Boot. Ich begleite dich dorthin, ist eh nicht so richtig aufregend hier … und du siehst nicht so aus, als wärst Du schon mal auf einem Boot gewesen.“

      Er schaute kurz und rief: „Du bringst mich hier raus? Besser hätte ich es nicht erwischen können! Ich freu mich, dann lass uns hier verschwinden, Inge!“ Ich dachte nur: „Ist ja irre, was für ein Typ! Keine Fragen, kein Gelaber … und er nimmt mich einfach mit.“

      Kapitel 3

      Am gleichen Tag / Ostseebad Schönberg, Nähe Schleier Fjord

      Erinnerungen von Uwe Dee

      Ich saß am Meer und blickte in die Ferne. Ich weiß noch, dass ich permanent grinste weil so viel Glück auf meinem Gesicht lag, denn ich war ein junger Abiturient aus Westdeutschland mit einer unbescholtenen Jugend. Einen Tag zuvor, gleich am Freitagabend, war ich angekommen und fühlte mich hier sofort wieder wohl. Ich war schon oft mit meinen Eltern in Schönberg gewesen. Mit dem Auto lag es nur drei bis vier Stunden von Bremerhaven entfernt, sodass ich bereits ein paar traumhafte Sommer an diesem Ort hatte erleben dürfen. Nun schlenderte ich gemeinsam mit meinen Klassenkameraden Michael und Matthias die Strandpromenade entlang. Das Café und Restaurant mit dem roten Ziegeldach lag bereits hinter uns und vor uns öffnete sich eine endlos lange Gerade am Meer, ein System aus Deichen, Stegen - Wellenbrechern, Wiesen und Wegen. Unser Ziel lag einige Kilometer süd-östlich, ein Seenbereich, in dem sonst wenige Gäste waren.

      Erst gingen wir an den großen Nationalfahnen, Tischgruppen und Stühlen vorbei, die vor den akkurat gemähten Wiesen lagen, dann liefen wir bis zum Ende des Schöneberger Strandes. Das Plaudern der Leute an der Promenade und das Klimpern der Teller und Tassen nahmen allmählich ab und machten der Stille des Meeres und dem Zirpen der Grashüpfer Platz. Nach einiger Zeit lockerte sich auch das Gelände und schien nicht mehr so streng angelegt. Vor uns lag eine Mischung aus weitläufigen Stranddünen, kleinen Seen und winzigen grasbedeckten Hügeln. Es gab ein paar Bäume und Sträucher, die natürlichen Schatten boten. Diese Stelle war schon immer mein liebster Platz gewesen; Und nun war ich genau hier mit meinen Kameraden auf Abiturreise. Als wir einen guten Platz gefunden hatten, breiteten wir unsere Strandtücher aus, legten die Kleidung ab und ließen es uns nicht nehmen, unter lautem Getöse in die schäumenden Wellen der Ostsee zu springen, die an diesem Tag nicht die Größten waren. Nur die Hitze war groß, es hatte gefühlte vierzig Grad, also ließen wir uns Zeit. Nach allerlei Spaß und Schwimmerei kamen wir wieder heraus, um unsere Brötchen zu essen, dazu tranken wir eine Sinalco. Es war ein herrlicher Tag, heiß wie nie und es gab keinen Ort, an dem ich lieber gewesen wäre.

      Später, am frühen Nachmittag, gesellte sich eine größere Gruppe Jugendlicher in unmittelbarer Nähe zu uns. Es waren Jungs und Mädchen, ungefähr in unserem Alter. Alle

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