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zu betreiben und so viel dafür zu bezahlen, erstrecht, wenn derjenige dann neben einem herläuft. Bei gewissen Dingen kannten die Preise kein Limit. So war ich in einer besonderen Lage und konnte mich freier bewegen als andere, wir wurden grundsätzlich nicht von der Stasi kontrolliert, sowieso gab es nur zwei offizielle Hanseln im Ort, die nahm keiner Ernst, sie waren da, um das Gesicht zu wahren,… und sie gingen abends brav nach Hause. Besser für sie, das wussten sie. Grenztruppen gab es nur in Schneeberg und der umliegenden Region. Sie waren hauptsächlich an der innerdeutschen Grenze, also in Erfurt, Stendal, Schwerin, Rostock. Und die russischen Militärs in Plauen, der Verband der 20. Garde-Motorisierte Schützendivision, das waren nicht mehr als permanent betrunkene Komparsen. Mal davon abgesehen trainierten die Gardisten gerade in Berlin für den großen Geburtstag.

      Tja und als sich die Lage dann dieses Jahr zuspitze, verfasste ich im Frühjahr das erste Mal Handzettel, um zur Demonstration aufzurufen. Aber meine Aktion brachte gar nichts, es wurde nur wenig demonstriert. Die Leute hatten noch Reserven und hofften darauf, dass wieder alles so werde wie früher, wo sie einfach ihr Ding hatten machen können. Es gab eine Lethargie, man wartet auf etwas, dass etwas passiert, in irgendeine Richtung. Klar war, dass man nicht mehr einfach so weiter machen konnte wie bisher, aber keiner hatte eine Ahnung, was zu tun war, nicht gegen einen Staat, nicht gegen die Stasi und deren düsteren Schergen, die dann kommen würden. Sich zu bewaffnet stand außer Frage, nein, das stand niemals zur Diskussion.

      Ich hatte beschlossen, am 7.Oktober zu den Feierlichkeiten für das 40-jährige Jubiläum der DDR es wieder mit Flugblättern zu versuchen. Die Handzettel waren bereits gedruckt. Am Sonntagvormittag machte ich mich also auf den Weg, von Haselbrunn nach Plauen, die Tasche voller Reißnagel und Flugblättern, warm eingepackt, weil es plötzlich Herbst wurde. Da ich in gerader Luftlinie nach Plauen gehen wollte, nahm ich von Haselbrunn aus dem Waldweg dorthin. Er führte vorbei am Vogtlandstadion und dann direkt in die Wohngebiete, ideal also. Voller Ungewissheit, ob meine Aktion diesmal Erfolg haben würde, ging ich mäßig schnell, in Gedanken versunken, durch den Wald und kam erst nach einer viertel Stunde am Sportgelände des Vogtlandstadions vorbei. Ich war so im inneren Dialog, dass mir lange gar nicht auffiel, dass hier nichts stimmte.

      Erst gut auf der Hälfte des Geländes, an dessen südlichen Ende ich entlang des Waldrandes lief, blickte ich erstmals mit der nötigen Aufmerksamkeit nach links. Angewurzelt blieb ich stehen

      und glotze mit offener Mund.

      Das sonst oft verwaiste und leere Leichtathletik-Gelände war voll mit Militärgerät. Wo sonst der VFC Plauen mit Jugend trainierte standen jetzt Panzer, Geschütze, Laster, Jeeps und vieles mehr. Ich hatte noch nie so viel militärisches Material auf einem Haufen gesehen! Es war als hätte ein Bienenvolk auf der Wanderung sich hier niedergelassen. Überall wurlerte es, es wurde geschoben, gemacht, getan. Auf den zweiten Blick dann das noch viel Unglaublichere: Sie trugen Camouflage und reguläre westdeutsche Bundeswehr-Uniformen, in jedem Fall aber nicht die der DDR. Auch ihr Material war ganz offensichtlich westlich. Sie wirkten aber ehrlich gesagt auch wie Fußball Hooligans oder windige Komparsen in Uniform.

      Ehe ich länger darüber nachdachte, machte ich mich einfach zum Eingang des Geländes auf, da wo der Fußballplatz keinen Zaun hatte und sie keinen provisorischen Zaun hinzugefügt hatten. Zwei Bewaffnete hielten mich auf. Ohne Umschweife fragte ich die: „Hallo? Was machen sie bitte hier?“ Der Soldat antwortete nur: „Wer sind sie?“ Ich antwortete: „Mein Name ist Jörg Schneider, ich bin hier aus dem Ort.“ Die Beiden glotzten sich verdutzt an, dann packten sie mich, der eine nur so: „Mitkommen!“ und schon schleiften sie mich unaufgefordert Richtung Stadion. Ängstlich rief ich: „Hey!“, aber eigentlich war ich ganz still. Es waren ja Westdeutsche. Was konnte schon passieren? Ganz im Gegenteil, konnte das die ersehnte Befreiung sein?

      War etwas Geheimes im Gange?

      Sie mussten mich also nicht zerren, ich ging ja mit. Ich sagte es ihnen auch: „Ihr müsst mich nicht zerren, ich komme ja mit!“ aber es interessierte sie nicht, sie waren ganz versessen. Im schnellen Schritt betraten wir das Vogtlandstadion, das ich nicht mehr wiedererkannte, denn es war voller Mannschaftszelte und Geschützstellungen, die mit Sandsäcken ummauert waren. Ohne Worte spähte ich nach links, dann nach rechts, versuchte alles aufzunehmen. Es mussten hunderte Soldaten sein. Unglaublich. Die Männer führten mich direkt ins Zentrum, zu einem kleineren Zelt, ebenfalls mit Sandsäcken geschützt und bereits mit einem Tarnnetz abgedeckt, offensichtlich die Kommandantur.

      Im Zelt angekommen erkannte ich allerlei Offiziere, Männer an Funkgeräten und allerlei Landkarten von Sachsen.

       Und das in Plauen!

      Der offensichtliche Befehlshaber, der in der Mitte stand, mit einer pompösen Uniform, sah uns fragend an. Er hatte einen breiten, weißen Spitzbart und unter seiner Schirmmütze schimmerte leicht seine Glatze. Unter seinen ebenfalls breiten, blauen Augen lagen tiefe Augensäcke. Als er uns ansah, hob er die Augenbrauen und runzelte die Stirn. Der Soldat neben mir salutierte, nannte den Befehlshabenden »Major Hoffmann«, berichtete ihm, dass ich hier aus dem Dorf sei und am Eingang gestanden hätte. Der Vorgesetzte beriet sich sogleich mit den Anwesenden. Absicherung der Waldseite, noch offen. Einsetzen von Zaunwachen und Patrouillen im Wald.

      Dann fragte er mich, wer ich sei. Erneut berichtete ich, dass ich der Herr Jörg Schneider aus Plauen sei und erneut fragte ich: „Wer sind sie?“ Doch dieser Hoffmann besprach sich nur erneut mit allen Anwesenden, als hätte ich eine Top Information geliefert!

      Er antwortete auch weiter nicht auf meine Frage, wollte nur allerlei zu Plauen, zu den Plauenern und das südliche Sachsen wissen. Ich antwortete, so gut ich konnte. Erneut wurde ich aber lästig: „Dürfte ich wissen, wer sie sind?“ Der Major sah mich prüfend an, dann erklärte er mit fester Stimme: „Wir sind ein Freiheitsbataillon aus dem Westen, wir bilden die rechte Flanke für den Marsch alliierter Westmächte auf Berlin“ und führte aus: „Geheimagenten haben bereits beide Teile Berlins in der Hand, ohne dass jemand es gemerkt hat. Das Ende der DDR ist da, der Aufstand der Bevölkerung wird jetzt, von Truppen wie uns, in die Städte getragen! Daher ist jeder DDR-Bürger aufgerufen, sich den westdeutschen Truppen anzuschließen! Wir arbeiten mit kleinen Bataillonen und befreien das Land sukzessive, ehe der Russe es merkt. Dann werden wir das vereinte Deutschland völkerrechtlich anerkennen lassen. Auch steht das gesamte westdeutsche Militär in aktiver Bereitschaft, falls diese Anerkennung dann nicht erfolgt!“

      Ich stand also im Hauptquartier der deutschen Befreiungstruppen

      und war baff wie Sau. Mit meinen Handzetteln, die zur Demonstration aufriefen, kam ich mir extrem dämlich vor. Konnte es sein? Aber ja, sie waren ja hier, dies war kein Traum… wie sonst konnten sie hier sein? Spontan kamen mir Freudentränen hoch, ich konnte mich kaum halten. Weinerlich bibberte ich: „Sie sind da… um… um uns zu befreien?“

      Der Major stampfte um den Kartentisch herum, packte mich mit beiden Armen links und rechts und rief voller Freude: „Natürlich mein Freund. Westdeutschland ist da, wir befreien euch!“ Dann hielt er kurz inne, wurde ernst und mahnte: „Aber das dauert noch… der Kampf liegt erst vor uns und daher muss jeder helfen! Das ist jetzt die Stunde der Patrioten!“ Er nahm einen meiner Zettel in die Hand, las es sich durch. Dann rief er: „Das ist doch prima, machen sie das hier! Das ist gut! Gehen Sie demonstrieren, gleich übermorgen am Montag,… und danach jeden darauffolgenden Montag, bis diese Schweine verjagt sind, mit unserer Hilfe! Würden sie das tun? Und am Wichtigsten… am 7. Und 8.Oktober muss die Hölle los sein, da werden wir zu schlagen. Wollen sie einen wichtigen Beitrag leisten, zur Befreiung dieses Landes? Sie demonstrieren und wir kämpfen für sie? Und ansonsten bleiben sie ruhig und erzählen niemanden von uns, dem sie nicht vertrauen. Machen Sie das?“

      Voller Freude jubelte ich: „Ja natürlich, dass ist mir eine Ehre! Gott ich bin so glücklich! Es ist so toll das sie endlich da sind!“ Spontan fiel ich ihm in die Arme. Dieser Major Hoffmann sagte nur väterlich: „Oh je… ist ja gut, danke, danke“. Dann bat er mich, mit einem seiner Soldaten mitzugehen, der alles Weitere mit mir klären würde.

      Ich nickte nur, dann drehte ich mich aber doch noch einmal um, schritt zurück und schluchzte voller Freudentränen: „Vielen Dank, vielen, vielen Dank!“ Diesmal nahm er mich kurz in

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