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ich nicht weiß, wie sie zu diesem Thema steht - ob sie freiwillig hierhergekommen ist oder ob ihre Eltern es unbedingt so wollten. „Was ist los, warum starrst du mich so an?“, reißt sie mich aus meinen Gedanken. Ich verschlucke mich. „Ich… ich…“ Mal wieder kommt mein Stottern zum Vorschein. Seit dem Unfall habe ich diese Angewohnheit in Situationen, die mich nervös machen. Das muss ich mir unbedingt wieder abgewöhnen, schießt es mir durch den Kopf. Ich kann nicht davon ablassen, Antonia unverhohlen von der Seite anzuschauen und sie wird ganz nervös. Dabei merke ich, dass ihr das Thema nicht gefällt. Sie setzt an zu reden und spricht dabei so leise, dass ich mich näher über das Waschbecken lehnen muss, um sie zu verstehen. „Meine Eltern haben mich immer in typische Mädchenkleider gesteckt. Du kennst mich ja mittlerweile…“ Sie zögert. „Ich bin etwas burschikos und eher ein Rabauken-Mädchen. Ich lasse mir nicht alles gefallen und ziehe mich gerne an wie ein Junge. Das haben meine Eltern nie akzeptiert, deshalb haben sie mich hier her gesteckt. In der hohen Gesellschaft meiner Familie muss man immer gediegen aussehen und so schön geschminkt sein wie eine Barbiepuppe.“

      Antonia runzelt seufzend die Stirn. „Weißt du, mein Vater verdient ziemlich gut und meine Mutter muss immer Abende mit seinen Kollegen organisieren. Er ist Archäologe in China und organisiert Ausgrabungen. Meine Mutter muss dann immer die coole Gattin spielen - da passt eine Tochter wie ich nicht ins Bild. Leider habe ich auch keine kleine Schwester, die für unser Ansehen herhalten könnte und keinen jüngeren Bruder, der in die Fußstapfen meines Vaters treten könnte. Also müssen sie es so aussehen lassen, als ob ich nicht ganz dicht wäre - damit sie sich nicht für mich schämen müssen. Meine Familie habe ich jetzt seit vier Jahren nicht gesehen…“

      In diesem Moment fällt mir auf, dass ich vor lauter Spannung die ganze Zeit die Luft angehalten habe. „Oh, Antonia…“ Ich drücke sie einfach nur, ohne etwas dazu zu sagen. Sie zuckt nur mit den Schultern. „Ach ja… so ist das Leben. Man kann sich die Familie, in die man reingeboren wird, nicht aussuchen.“

      Plötzlich verspüre ich das enorme Bedürfnis, sie das ganze Leben lang beschützen zu wollen. „Wir haben doch alle unser Päckchen zu tragen, sonst wären wir ja nicht hier!“, sagt sie zum Abschluss. Ich nicke zustimmend. „Allerdings“, fügt sie beruhigend hinzu, „fühle ich mich hier wohl. Ich habe wirklich zu mir gefunden und raste weniger aus - der Boxsack tut also, was er soll. Ab und zu muss ich mal zum Psycho-Doktor, um alles aufzuarbeiten. Morgen möchte ich dir ein paar Freunde vorstellen, die genauso crazy sind wie wir alle hier - aber keine Angst, sie sind keine Zicken. Das wird eine Überraschung… j etzt putz' dir erstmal die Zähne! “ Antonia grinst. „Ich will nicht, dass du mich bemitleidest“, sagt sie noch, als sie hinaus geht. „Das brauche ich wirklich nicht! Das möchtest DU bestimmt auch nicht. Ruf mich, wenn du Hilfe brauchst!“ „Ja, okay“, nicke ich ihr zu.

      Nun stehe ich mit meinen vier Rädern unterm Hintern in einem sehr geräumigen Bad. Mein Kopf produziert Bilder, wie Antonia früher zu Hause gelebt hat. Im Stillen danke ich Gott dafür, dass meine Familie so liebevoll zu mir ist. Dabei kullern mir wieder einmal salzige Tränen über die Augenlider. Ich hieve mich aus dem Rolli und hangele mich mit Hilfe der Stange auf die Toilette. Mein Gehirn verarbeitet weiter das Gespräch, während ich meine Blase erleichtere. Jetzt greife ich wieder nach einer Stange und hangele mich auf den Boden. Blöd, nun sitze ich hier unten und mein Duschgel steht dort oben! Da gibt es nur eine Lösung: Mir ein Handtuch überzuwerfen und Antonia zu rufen.

      Sie kommt herein und reicht mir das Duschgel. „Du arme Sau! Komm, ich helfe dir! Hier sind dein Duschgel und dein Peeling. Ruf' mich einfach, wenn du noch etwas brauchst! “ Dann schließt sie die Tür hinter mir und ich lasse die wohlig warme Dusche meine Sorgen wegwaschen. Wie wohl mein erster Schultag werden wird? Ich hoffe, nicht so wie an meiner alten Schule. Erst nach einer Weile bemerke ich, wie sich meine Hände zu Fäusten geballt haben. Wieder einmal muss ich mich ermahnen: du hast den Unfall überlebt und musst deine zweite Chance bis zum Letzten ausnutzen! Um zehn Uhr lasse ich mich erschöpft auf's Bett fallen.

      „Tut mir leid, Antonia, dass ich so lange gebraucht habe, ich muss noch ein bisschen üben. „Ich kenne das! Ist schon okay! Stell' den Wecker bitte auf sieben Uhr, die Schule fängt um acht Uhr an und du brauchst ja deine Zeit. Auf mich musst du keine Rücksicht nehmen, mich kannst du ruhig rufen, wenn du Hilfe brauchst.“ „Das ist lieb von dir.“ Beruhigt schlafe ich ein.

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