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nächsten Morgen, nachdem wir gemeinsam gefrühstückt hatten und Nick zur Arbeit gefahren war, machte ich mich mit Pepper auf den Weg. Ich wollte mir das Grundstück meiner ersten Auftraggeber in Kampen ansehen. Dort wurde zwar am Haus gebaut, aber es konnte nicht schaden, wenn ich mir ein grobes Bild machen würde, wie der Garten im Verhältnis zum Haus geplant war. Bislang waren mir nur wenige Details bekannt. Bei der Gestaltung war es nicht unerheblich zu wissen, wie die Nachbargrundstücke gelegen und gestaltet waren. Schließlich sollte alles zueinander passen und sich gefällig ins Landschaftsbild einfügen. Das Grundstück grenzte unmittelbar an eine freie Heidefläche, daher wollte ich die Übergänge nicht zu abrupt und hart, sondern fließend gestalten. Zäune im klassischen Stil, wie man es vom Festland her kannte, gab es auf Sylt selten. Meistens waren die Grundstücke von einem Steinwall umgeben, der sogenannten Sylter Mauer, oder sie waren überhaupt nicht eingezäunt. Die Sylter Mauer war meistens mit Heckenrosen oder kleinen Kiefernbüschen bepflanzt.

      Ich fuhr mit meinem Wagen die Hauptstraße in Morsum entlang nach Archsum und weiter in Richtung Keitum. Als ich den Bahnübergang kurz vor Keitum erreicht hatte, schaltete die Ampel auf Rot und die Bahnschranken schlossen sich. Ich hielt direkt an dritter Stelle hinter einem anderen Auto und stellte den Motor ab. Nach höchstens einer Minute Wartezeit fuhr ein Autozug aus Richtung Niebüll mit lautem Scheppern an uns vorbei. Er war mit wenigen Pkw und einigen Kleintransportern besetzt. Für die vielen Urlauber, die täglich auf die Insel kamen, war es zu früh am Morgen. Der große Ansturm begann um die Mittagszeit, da erst dann die allermeisten Fahrzeuge in Niebüll an der Verladestation ankamen. Schließlich kamen die Gäste aus ganz Deutschland und hatten dementsprechend oft eine lange Anreise. Ab und zu sah man Wagen mit Kennzeichen aus der Schweiz, Frankreich und sogar Italien auf der Insel herumfahren. Ich sah im Rückspiegel, dass Pepper neugierig aus dem Fenster der Heckscheibe blickte, um zu prüfen, warum wir hielten. Während der Fahrt war von ihm meistens nichts zu sehen oder zu hören, und er tauchte erst auf, wenn sich die Geschwindigkeit verlangsamte oder das Auto zum Stehen kam. Behäbig öffneten sich die Schranken, die rote Warnleuchte erlosch, und die ersten Fahrzeuge rollten über den Bahnübergang. Ich beschloss, die Route nach Kampen über Munkmarsch und Braderup zu nehmen und bog entsprechend an der nächsten Abzweigung nach rechts ab. Damit wollte ich dem morgendlichen Berufsverkehr in und um Westerland herum entgehen. Außerdem gefiel mir die Strecke an der Wattseite der Insel entlang besser. Man konnte das Meer und dazwischen Weide- und Heidelandschaft sehen. Auf einigen Wiesen standen große Wasserlachen, die langsam versickerten. Bald würden hier Rinder und Schafe weiden. Der vergangene Winter hatte viel Schnee gebracht, was eher ungewöhnlich für die Nordseeküste war. Ich hatte es trotzdem sehr genossen, denn ich liebte schneereiche und kalte Winter. An der Nordsee rief eine verschneite Landschaft einen ganz besonderen Zauber hervor. Die verschneiten reetgedeckten Häuser wirkten besonders hübsch und behaglich und strahlten eine friedliche Ruhe aus. Man hatte das Gefühl, dass der Trubel und die Hektik völlig an ihnen abprallen würden. Auch der verschneite Strand war ein einmaliger Anblick und ließ mein Herz jedes Mal höher schlagen. An der Wattseite hatten sich in diesem Winter durch die lang anhaltende Kälte dicke Eisschollen gebildet und die Landschaft erstarren lassen. Am späten Nachmittag wurde alles von der untergehenden Sonne in ein bizarres rötliches Licht getaucht. Ich konnte mich an diesem Anblick gar nicht satt sehen. Doch jetzt Ende März war der Winter vorbei. Die Insel erwachte zu neuem Leben und wurde in zartes Grün gehüllt. Auf dem Deich und den Wiesen wurden die ersten Lämmer geboren und staksten auf ihren wackeligen Beinen ihren Müttern hinterher.

      Mittlerweile hatte ich den Ortseingang von Kampen erreicht. Mein Navigationsgerät verriet mir, dass ich mein Ziel in weniger als zwei Minuten erreicht hatte. Ich bog gemäß Anweisung zweimal ab und stand vor einem großen Grundstück, umgeben von einem gitterartigen Bauzaun aus Metall. Einige Kleintransporter unterschiedlicher Baufirmen parkten davor, Handwerker liefen geschäftig hin und her. Die Dachdecker waren dabei, das halbfertige Haus mit einem Reetdach zu versehen. Auch im Inneren des Hauses wurde gehämmert und gesägt. Ich stellte meinen Wagen etwas abseits ab, stieg aus und öffnete die Heckklappe meines Geländewagens, um Pepper rauszulassen. Dann marschierte ich mit ihm zu der Baustelle.

      »Kann ich Ihnen behilflich sein, junge Frau?«, fragte mich einer der Männer in grauer Arbeitshose und schwarzem Fleecepullover, als ich das Grundstück über eine Bretterbohle betrat.

      »Nein danke. Ich wollte mich nur umsehen«, sagte ich und bemerkte seinen misstrauischen Blick. Daher ergänzte ich schnell: »Ich bin die Landschaftsarchitektin, die den Garten anlegen soll, und wollte mir ein Bild von allem machen. Anna Bergmann ist mein Name.«

      Ich reichte ihm meine Hand zur Begrüßung. Sein Händedruck war kräftig, und sein sonnengegerbtes Gesicht bekam einen freundlichen Ausdruck. Kleine Fältchen um Augen und Mund wurden beim Lächeln sichtbar.

      »Okay, kein Problem! Ole Phillips, entschuldigen Sie bitte mein anfängliches Misstrauen, aber hier laufen manchmal Leute herum, die hier nichts zu suchen haben, da kann man nicht vorsichtig genug sein. Na, dann viel Spaß, Frau Bergmann! Sehen Sie sich in Ruhe um. Aber passen Sie auf, dass Sie nicht über irgendetwas stolpern«, sagte er und nickte mir zu.

      Dann schulterte er mit Leichtigkeit einen großen Sack Mörtel von der Ladefläche eines der Kleintransporter und verschwand im Haus. Ich ging mit Pepper über das gesamte Grundstück. Bislang war von einer Gartenfläche nicht viel zu erkennen. Überall waren Sand- und Erdhügel aufgeschüttet und dazwischen Paletten mit Steinen und anderen Baumaterialien gestapelt. Pepper steckte neugierig seine Nase in einen schwarzen Eimer. Ich würde erst aktiv werden können, wenn alles komplett beseitigt war, dachte ich. In Gedanken stellte ich mir Gruppen von Hortensienbüschen auf der einen und den typischen Sylter Heckenrosen auf der anderen Seite vor. Ich liebte den betörenden Duft der Heckenrosen, den sie zur Blütezeit ab Mai überall auf der Insel verströmten. Im Herbst und Winter boten ihre dicken roten Hagebutten eine willkommene Nahrung für Vögel. Und zwischen alledem könnte man einzelne Gehölze, die nicht zu groß werden, aber dennoch einen gewissen Sichtschutz boten, pflanzen, überlegte ich. Das Grundstück sollte nach Aussage der Eigentümer möglichst pflegeleicht gestaltet werden. Das waren ohnehin die meisten Gärten auf der Insel. Das hatte in erster Linie den Grund, dass die meisten Häuser als Feriendomizil oder Zweitwohnsitz genutzt wurden, besonders hier in Kampen. Die Besitzer waren selten mehr als ein paar Wochen im Jahr vor Ort und konnten oder wollten sich nicht selbst um die Pflege ihrer Grundstücke kümmern. Aus diesem Grund gab es genügend Unternehmen auf der Insel, die eigens dafür ihre Dienste anboten und sich darauf spezialisiert hatten.

      Nachdem ich das gesamte Grundstück ausgiebig inspiziert und Ole Phillips signalisiert hatte, dass ich gehen würde, schlenderte ich noch zu Fuß durch die Straßen von Kampen. Hier und da waren Gärtner dabei, die Gärten aus dem Winterschlaf zu befreien. Es wurde geschnitten, geharkt und gepflanzt. Ich sah zum Himmel, wo sich ein Sonnenstrahl den Weg durch die Wolkendecke freibahnte. Die Wolkenlücken wurden immer größer und die Sonne würde nicht mehr lange brauchen, um den Kampf gegen die Wolken zu gewinnen. Der Tag versprach, sonnig zu werden. Herrlich! Plötzlich hörte ich mein Handy in der Jackentasche klingeln. Ich blieb kurz stehen, um nachzusehen, wer mich anrief. Ein Blick auf das Display verriet mir, dass es Britta war.

      »Hallo, Britta! Wie geht’s? Was kann ich für dich tun? Ich hatte schon befürchtet, meine Mutter ruft wieder an«, fragte ich gut gelaunt und ging währenddessen langsam weiter. Pepper schnüffelte intensiv an einem Laternenpfahl, der wahrscheinlich von einem seiner Kollegen markiert worden war. Er hob kurz das Bein, um es seinem Vorgänger gleichzutun.

      »Hallo, Anna!«, hörte ich die Stimme meiner Freundin. Mir fiel sofort auf, dass sie nicht so unbeschwert wie gewöhnlich klang.

      »Was ist los?«, wollte ich wissen.

      »Wo bist du gerade? Können wir uns treffen? Gleich?«

      »Ich laufe durch Kampen und habe eine Baustelle angesehen, aber ich habe Zeit. Ist etwas passiert?«

      Ich war ernsthaft besorgt.

      »Erzähle ich dir gleich, nicht am Telefon. Kannst du nach Westerland kommen? Sagen wir in 20 Minuten im ›Café Wien‹? Geht das?«

      »Ja, kein Problem. Kann sein, dass ich etwas länger bei der Parkplatzsuche brauche. Aber ich fahre

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