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gerechnet.«

      »Das kann ich mir gut vorstellen.« Er lachte künstlich. »Es ist lange her, dass wir uns gesprochen haben.«

      »Über zwei Jahre, in der Tat. Was verschafft mir die Ehre? Anna ist jedenfalls nicht da, falls du mit ihr sprechen wolltest.« Maria hatte sich gefasst und zügelte bewusst ihre Freundlichkeit auf ein geringes Maß.

      »Das weiß ich. Ich habe gehört, dass sie nicht mehr in Hannover wohnt. Neulich habe ich eine ehemalige Kollegin von ihr in der Stadt getroffen. Wir haben uns kurz unterhalten, und da erwähnte sie, dass Anna ihr ihre Wohnung vermietet hat.«

      »Richtig, Anna wohnt nicht mehr in Hannover. Außerdem glaube ich nicht, dass sie mit dir sprechen würde, selbst wenn sie noch hier wäre«, sagte Maria mit fester Stimme, während sie vor dem großen Fenster im Wohnzimmer auf und ab ging wie ein Tier in einem Käfig.

      Sie blickte dabei in den Garten, der langsam aus seinem Winterschlaf erwachte. Es war Ende März. Der Winter mit seinem vielen Schnee hatte längst das Feld geräumt, und der Frühling hielt mit aller Macht Einzug. Die Tage wurden spürbar länger, und nachts war es nicht mehr so bitterkalt. Hier und dort waren die ersten zaghaften Triebe der Tulpen zu erkennen, die sich in sattem Grün aus dem Boden gen Himmel reckten. Die Krokusse waren dagegen fast verblüht. Ihre bunten Blütenblätter hingen bereits schlapp herunter. Ihr Anblick war erbärmlich und traurig zugleich. Nur spätere Sorten erstrahlten noch in ihrer ganzen Pracht und erfreuten das Auge des Betrachters mit ihren kräftig leuchtenden Farben. Die Büsche und Bäume hatten teilweise dicke Knospen, die nur darauf warteten, von den ersten wärmenden Sonnenstrahlen wachgeküsst zu werden. Rundherum erwachte alles zu neuem Leben. Eine Amsel war gerade dabei, mit ihrem gelben Schnabel in dem Beet an der Terrasse herumzustochern. Der Vogel hatte Glück, dass Volker nicht zu Hause war. Er hätte das Tier sicherlich verscheucht, da es den ganzen Rindenmulch aus dem Beet auf die Steine der Terrasse schleuderte und er anschließend alles zurück ins Beet fegen musste. Darüber konnte er sich jedes Mal furchtbar aufregen.

      »Ja, es tut mir schrecklich leid, wie damals alles gelaufen ist«, fuhr Marcus fort und riss Maria aus ihren Gedanken. »Anna ist so eine wunderbare Frau. Ich war wirklich ein Idiot. Das ist mir erst viel zu spät bewusst geworden. Wenn ich die Zeit doch nur zurückdrehen könnte! Ich würde heute so vieles anders machen, das kannst du mir glauben.«

      »Marcus«, unterbrach Maria ihn energisch, »was willst du? Warum rufst du an? Doch bestimmt nicht, weil dir langweilig ist und du mit deiner ehemaligen Fast-Schwiegermutter über die Vergangenheit plaudern willst oder über verpasste Chancen, die du sowieso nicht mehr beeinflussen kannst.«

      »Ach, ich habe neulich ein paar Sachen aufgeräumt, und da ist mir eine Schachtel mit Briefen, Fotos und diversen Kleinigkeiten in die Hände gefallen. Sie gehört Anna. Ich wollte sie nicht wegwerfen und dachte, sie würde die Sachen bestimmt gerne zurück haben. Solche Erinnerungsstücke waren ihr in der Vergangenheit immer sehr wichtig gewesen«, sagte Marcus mit leicht wehmütigem Ton in der Stimme.

      »Du kannst die Sachen gerne bei Gelegenheit bei uns vorbeibringen. Unsere Adresse kennst du, die hat sich nicht geändert. Ich gebe Anna die Sachen, wenn wir sie das nächste Mal sehen.«

      »Prinzipiell wäre das kein Problem, aber ich bräuchte darüber hinaus dringend eine Unterschrift von Anna.« Maria Bergmann kräuselte skeptisch die Stirn. »Es geht um eine Versicherung, die wir damals zusammen abgeschlossen haben«, fuhr Marcus fort. »Eigentlich keine große Sache, aber es gibt eine Frist, die in Kürze abläuft. Die habe ich verschlafen, um ehrlich zu sein, und deshalb drängt die Zeit.« Er lachte verlegen. »Deshalb würde ich Anna gerne alles so schnell wie möglich auf dem Postweg zukommen lassen. Könntest du mir ihre neue Adresse geben? Danach werde ich sie nicht länger belästigen, versprochen. Und euch auch nicht.«

      Maria Bergmann zögerte einen Moment lang und überlegte, ehe sie antwortete. Wenn es wirklich nur um diese eine Unterschrift ging, würde Anna sicherlich nichts einzuwenden haben, wenn sie Marcus die neue Anschrift gab. Sie wollte nicht, dass ihre Tochter Ärger bekam, nur weil sie ihretwegen diese Unterschrift nicht fristgerecht leisten konnte. Sie wusste zwar nicht, wie wichtig diese Versicherung war, aber Volker war bei solchen Dingen sehr korrekt. Und danach gehörten die alten Geschichten endgültig der Vergangenheit an, das hatte Marcus ihr eben versprochen.

      »In Ordnung. Aber das ist wirklich das letzte Mal, dass ich dir einen Gefallen tue. Ich möchte nicht, dass Anna Ärger bekommt. Also, hast du etwas zu schreiben?«

      Kapitel 3

      Pepper lief bellend zur Haustür, als ein Auto in der Einfahrt vor dem Haus hielt. Ich stand gerade in der Küche und bereitete mir eine Tasse grünen Tee zu. Beim Blick aus dem Fenster sah ich, dass es Nick war, der mit seinem Wagen von der Arbeit gekommen war. Ich ging den gläsernen Gang, die Verbindung zwischen der Küche und der Diele, entlang und öffnete ihm die Haustür. Die Küche befand sich in einem Nebengebäude des Hauses, das vor einigen Jahren von dem Vorbesitzer komplett saniert und aufwendig umgebaut worden war. Das gesamte Gebäude war ursprünglich ein alter Bauernhof gewesen. Auf Nicks Gesicht erschien ein Lächeln, als er mich im Türrahmen erblickte. Pepper lief ihm schwanzwedelnd entgegen und empfing sein Herrchen voller Freude.

      »Hallo, Sweety«, begrüßte Nick mich und gab mir einen Kuss.

      »Hallo, Nick! Wie war dein Tag?«, fragte ich und schloss hinter ihm die Tür.

      »Ganz normal, keine besonderen Vorkommnisse. Ich konnte endlich mal Papierkram erledigen. Da hatte sich einiges angesammelt. Dazu komme ich sonst kaum während der regulären Arbeitszeit. Aber noch ist es einigermaßen ruhig auf der Insel.«

      »Stimmt. Das ändert sich spätestens nächste Woche, wenn die Osterferien in den meisten Bundesländern beginnen. Dann füllt es sich hier schlagartig. Britta hat mir neulich erzählt, dass ihr Hotel über Ostern komplett ausgebucht ist.«

      »Kann ich mir gut vorstellen. Aber das bedeutet auch, dass endlich wieder Frühling ist, die Tage länger werden und die Insel Farbe bekommt. Diese kargen, farblosen Bäume und Sträucher kann man langsam nicht mehr sehen. Wie war dein Tag?«, wollte er wissen und hängte seine Jacke an die Garderobe.

      Pepper war mittlerweile kurz im Wohnzimmer verschwunden und kam mit einem Hundespielzeug in der Schnauze zurück, das er aus seinem Körbchen unter der Treppe geholt hatte. Er legte es Nick direkt vor die Füße. Nick streichelte den Hund und kickte das Spielzeug mit der Fußspitze weg. Es rutschte einige Meter über die glatten Fliesen. Pepper fand es großartig und jagte sofort hinterher.

      »Erfolgreich«, beantwortete ich Nicks Frage. »Komm mit in die Küche. Ich mache mir gerade einen Tee, dann erzähle ich dir alles ausführlich.«

      Nick folgte mir in die Küche. Pepper lief uns neugierig hinterher, sein Spielzeug fest in der Schnauze.

      »Magst du einen Kaffee?«, fragte ich, während ich den Teefilter aus meiner Tasse entfernte.

      Nick hatte für meine Teeleidenschaft nicht viel übrig. Er trank lieber Kaffee. Obwohl er auf Sylt geboren wurde, hatte er fast sein ganzes bisheriges Leben in Kanada verbracht. Sein Vater war Kanadier, seine Mutter eine waschechte Sylterin. Irgendwann hatten seine Eltern beschlossen, Sylt den Rücken zu kehren und nach Kanada zu gehen. Nicks Vater zog es zurück in seine Heimat. Nicks Mutter besaß aber noch ihr Elternhaus auf der Insel, in dem Nicks Schwester Jill lebte. Allerdings arbeitete sie zurzeit für drei Monate auf dem Festland in der Nähe von Flensburg. Nach einem schweren Schicksalsschlag war Nick vor fast drei Jahren aus Kanada auf die Insel Sylt zurückgekehrt und wollte einen Neustart wagen. Er war Polizist und arbeitete auf dem Westerländer Revier.

      »Gerne.« Er setzte sich auf einen der Stühle an dem großen Tisch.

      Dann lockerte er mit einer Hand die Krawatte und öffnete die obersten Knöpfe seines Uniformhemdes. Ich nahm einen Becher aus dem Küchenschrank über der Spüle, stellte ihn unter den Kaffeeautomaten und drückte die entsprechende Taste. Die Maschine begann mit einem leisen Surren, die Kaffeebohnen zu mahlen. Dann floss der heiße Kaffee langsam in die Tasse und verströmte dabei einen angenehmen Duft. Ich liebte diesen Geruch. Selbst trank ich wenig

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