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Schirm zurück. Er reichte ihn Fricke.

      »Danke. Ist dieser Reiter noch vor Ort?«

      »Nein, aber ich habe die Personalien überprüft und die Aussage aufgenommen.«

      »Gut.« Fricke holte sein Handy aus der Jackentasche. Er drückte Malin den Schirm in die Hand und tippte eine Nummer in die Tastatur. »Ole? Fricke hier. War schon jemand bei den Angehörigen von Richard Woy? Nein? Gut, dann übernehmen wir das.« Er murmelte einen kurzen Abschiedsgruß und wendete sich an den Beamten der Schutzpolizei. »Sie rühren sich nicht vom Fleck und warten auf die Kollegen von der Spurensicherung. – Und wir, Brodersen, fahren jetzt mal zu dieser Adresse in Poppenbüttel.«

      Fünfzehn Minuten später standen Malin und Fricke vor einem weißen Bungalow aus den siebziger Jahren. An der Eingangspforte warnte ein Schild vor einem bissigen Hund.

      Malin drückte die Klingel. Eine elegante Frau mittleren Alters öffnete und ein Westhighlandterrier flitzte aus dem Haus. Wild mit dem Schwanz wedelnd sprang er an Malins Beinen hoch und versuchte, ihr die Hand zu lecken. Das zum Thema bissiger Hund, dachte sie und tätschelte seinen Kopf.

      Fricke stellte sich und Malin vor. »Sind Sie Frau Woy?«

      Der Blick der Frau wurde ängstlich. »Ja, ich bin Henriette Woy. Kommen Sie wegen meines Mannes?«

      Fricke nickte.

      »Dann kommen Sie bitte herein.« Sie führte sie in ein behaglich eingerichtetes Wohnzimmer mit cremefarbener Sitzgruppe und Sesseln aus Korbgeflecht. Mit einer einladenden Geste wies sie auf die Couch. »Bitte, was ist mit meinem Mann, haben Sie ihn gefunden?« Henriette Woy strich sich eine dunkle Haarsträhne aus dem diskret geschminkten Gesicht.

      Fricke räusperte sich. »Frau Woy, bitte schildern Sie uns, was Sie dazu veranlasst hat, Ihren Mann als vermisst zu melden.«

      Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Mein Mann hat sich vorgestern Abend mit ein paar alten Kollegen getroffen. Alles pensionierte Ärzte. Sie treffen sich immer einmal im Monat. Jeden ersten Dienstag. Gegen halb elf hat er mich angerufen, um mir zu sagen, dass er auf dem Weg nach Hause ist. Aber er ist nicht gekommen.« Sie wischte sich eine Träne von der Wange. »Gegen Mitternacht habe ich dann angefangen, seine Freunde und die Krankenhäuser anzurufen. Niemand wusste etwas. Und bei der Polizei hat man mir dann gesagt, es gebe derzeitig keinerlei Veranlassung, eine Vermisstenanzeige aufzunehmen. Das ist erst heute früh geschehen.« Mittlerweile war Henriette Woys Gesicht tränenüberströmt, und sie musste sich räuspern, um weitersprechen zu können. »Bitte sagen Sie mir endlich … Ist ihm etwas passiert?«

      Fricke warf Malin einen unbehaglichen Blick zu und wandte sich dann an die zitternde Frau. »Frau Woy, der Wagen Ihres Mannes wurde verlassen an einem Waldweg im Rehagen gefunden. Können Sie sich vorstellen, was er dort vielleicht gewollt hat?«

      Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Was sollte er dort gewollt haben? Er wollte doch nach Hause kommen.«

      »Frau Woy, ich würde Ihnen das gerne ersparen, aber wir haben gestern Morgen eine Leiche gefunden, die auf die Beschreibung Ihres Mannes passt. Ich muss Sie leider bitten, uns zu begleiten.«

      »Mein Mann soll tot sein? Das glaube ich nicht«, sagte Henriette Woy kraftlos.

      Malin setzte sich neben die verstörte Frau. »Gibt es jemanden, der Sie begleiten könnte?«

      »Meine Tochter, ich muss meine Tochter anrufen.« Zitternd erhob sich Henriette Woy von der Couch und verließ den Raum.

      »Sie denken es auch, oder?« Malin sah ihren Chef fragend an. »Ich meine, dass er es ist.«

      Fricke nickte. »Trotz all meiner Dienstjahre habe ich mich immer noch nicht an diese Augenblicke gewöhnt.« Er schien zu sich selbst zu sprechen. Resigniert starrte er auf den Boden. Malin wagte nicht, ihn länger anzuschauen, sie kam sich vor wie ein Eindringling.

      Die Leiche war von Henriette Woy eindeutig als die ihres Mannes identifiziert worden. Es war schon später Nachmittag, als Malin zusammen mit ihrem Vorgesetzten erneut den weißen Bungalow verließ. Routiniert hatte Fricke in der letzten Stunde die Befragung durchgeführt. Laut Henriette Woys Aussage hatten sie und ihr Mann eine harmonische Ehe geführt. Außerdem hatte sie ihn als einen geradlinigen und integeren Menschen beschrieben. Unvorstellbar, dass jemand einen Grund gehabt haben könnte, ihn umzubringen.

      Malin war froh, der bedrückenden Atmosphäre im Haus zu entkommen. »Chef, glauben Sie, dass seine Frau etwas mit dem Mord zu tun hat?«

      »Bisher glaube ich überhaupt nichts.«

      »Auf mich wirkte sie ehrlich erschüttert.«

      »Trotzdem sind zu diesem Zeitpunkt alle verdächtig. Auch die Hinterbliebenen. Sie wissen genauso gut wie ich, dass mehr als neunzig Prozent aller Tötungsdelikte Beziehungstaten sind. So leicht lass ich mich durch ein paar Tränen nicht täuschen. Und Sie sollten das auch nicht tun.«

      »Wie Sie meinen, Chef.«

      »Lassen Sie die Telefondaten des Anschlusses überprüfen. Und sehen Sie zu, dass wir die Liste mit den Adressen von den Angehörigen und Freunden der Familie bekommen. Außerdem müssen wir dringend in Erfahrung bringen, wo er seine alten Praxisunterlagen aufbewahrt.«

      »Vermutlich wird er sie seinem Nachfolger übergeben haben«, bemerkte Malin.

      »Dann überprüfen Sie das.«

      Malin zuckte resigniert mit den Schultern und folgte ihrem Vorgesetzten zum Auto.

      Die Tür klemmte. Charlotte Leonberger stemmte ihren Körper gegen die schwere Eingangstür ihres Reetdachhauses. Dann wuchtete sie ihren Koffer über die Schwelle in den Flur. Zufrieden sah sie sich um. Zwei Stapel Briefe lagen säuberlich nach Größe sortiert auf der alten Nussbaumkommode. Daneben stand ein frischer Strauß gelber Astern, ihre Lieblingsblumen. Die gute Tante Alma, dachte sie. Sie ließ ihren Koffer stehen, hängte ihren Mantel an die Garderobe und ging in die Küche, um sich erst einmal einen Tee aufzubrühen.

      Endlich zu Hause, dachte sie und schaute aus dem Fenster. Dicke Wolken hingen am Himmel und Windböen peitschten die Ostsee zu hohen Wellen auf. Ein paar Möwen hatten sich unter einem Holzsteg ein trockenes Plätzchen gesucht. Dicht an dicht drängten sie sich zusammen.

      Die meisten Lokale an der Strandpromenade hatten bereits geschlossen und die verbliebenen Strandkörbe wirkten verwaist. Auf die meisten Menschen hätte der Strand trostlos gewirkt, doch Charlotte liebte ihn zu dieser Jahreszeit ganz besonders. Er lud zu langen Spaziergängen ein – ohne all die Touristen, die den kleinen Ort Strande im Sommer belagerten.

      Der Wasserkessel pfiff. Sie bereitete ihren Tee zu, legte noch ein paar selbstgebackene Kekse von Alma dazu und balancierte alles auf einem Tablett ins Wohnzimmer. Das Kofferauspacken konnte warten. Der Dreiwochentrip durch alle größeren Städte Deutschlands hatte seine Spuren hinter­lassen. Nach einem kurzen Nippen am Tee war Charlotte auch schon auf der Couch eingeschlafen.

      Das dumpfe Hämmern des Türklopfers riss sie aus ihren Träumen. Verwirrt setzte sie sich auf und rieb sich die Augen. Es war stockdunkel. Erneut war ein energisches Klopfen zu hören.

      »Ja, ich komme ja gleich!« Schlaftrunken tastete sie nach dem Knopf der Stehlampe. Gleißendes Licht erhellte den Raum. Gähnend ging sie in den Flur und öffnete die Tür.

      »Hallo, mien Deern, schön, dass du wieder da bist. Hier, ich habe dir ein gutes Süppchen gekocht. Du hast doch bestimmt heute noch nichts Warmes gegessen.«

      Charlotte unterbrach mit einer abwehrenden Geste den Wortschwall der alten Frau, die – in ein dunkles Regencape gehüllt – tropfnass vor ihrer Türschwelle stand. In ihren Händen hielt sie einen riesigen Topf, dessen Inhalt gut und gerne eine achtköpfige Familie sättigen konnte. »Guten Tag, Alma, komm doch rein, wenn du schon mal da bist.« Schmunzelnd trat Charlotte beiseite, um die kleine, rundliche Gestalt einzulassen.

      »Und, war die Reise ein Erfolg?«, fragte Alma neugierig. Sie hatte zielstrebig die Küche angesteuert und hantierte am Herd herum.

      Charlotte

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